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  3. Nr. 646

Wilhelm von Humboldt an Christian Gottfried Körner, 03.01.1812

[Wien, 3. Januar 1812.]

[…] Meines Bruders Hierseyn ist mir ungemein angenehm und sogar tiefer wohlthätig gewesen. Auch für mich, der ich den Naturwissenschaften ziemlich fremd bin, und auch an den statistischen Discussionen einiger Kapitel in seiner Schilderung Neu-Spaniens keinen großen, oder lebhaften Antheil nehme, ist sein Umgang doch darum so anziehend, weil er eigentlich immer im Centrum seiner Kenntnisse, nie in irgend einer Gränzregion derselben steht. Er sucht wirklich nur Alles zu umfassen, um Eins zu erforschen, dem man nur von allen Seiten zugleich beikommen kann. Gegen das Einzelne, insofern es isolirt dasteht, und isolirt bleibt, hat er wahren Abscheu, so gegen botanische Nomenclatur u. s. f. Er arbeitet jetzt unablässig an der Vollendung seiner eigentlichen Reisebeschreibung, und wird erst dann seine neue Reise nach Tibet antreten.

Von mir, liebster Körner, können Sie in wenigen Wochen eine Kleinigkeit gedruckt lesen, die aber auch sehr zerstückt erscheinen wird. Vater, der Fortsetzer des Mithridates, hatte mich um eine Abhandlung über die Vaskische Sprache gebeten. Diese habe ich gemacht, allein eigentlich nur als Vorläufer und Ankündigung eines ausführlichen Werkes darüber. Vater hat indeß für gut gefunden, nur einen Theil dieser Abhandlung in den 3ten Theil[a] des Mithridates aufzunehmen, und den andern, welcher Sprachproben enthält, in einer in Königsberg herauskommenden Zeitschrift abdrucken zu lassen. In dieser, wenn sie Ihnen, mein Bester, zu Gesichte kommt, werden Sie ein Alt Vaskisches Lied finden, das ich für ächt halte, und dem es wenigstens in keiner Rücksicht an Originalität mangelt.

Jetzt bin ich für meinen Bruder mit einer Abhandlung über die Amerikanischen Sprachen beschäftigt, die er seinem Werk einzuverleiben wünscht. Ich bin mit der Untersuchung des Mexicanischen schon recht weit vorgerückt, und auch schon jetzt auf interessante Bemerkungen gestoßen. Sollte ich bei dieser Gelegenheit, bei der ich nicht versäume, zugleich die bekanntesten der übrigen Sprachen immer mit zur Vergleichung zuzuziehen, in einigen Ideen, die ich längst bei mir herumtrage, so weit vorrücken, daß ich glaubte allgemeine Grundsätze über die Art aufstellen zu können, wie sich von den Sprachen auf die Nationen, ihre Abstammung und Geschichte, und ihren Charakter und ihre Bildung zurückschließen läßt; so wäre ich nicht abgeneigt, darüber etwas Allgemeines zu schreiben, worin dann die Entwicklung der philosophischen Ideen die Hauptsache wäre, und aus den Sprachen selbst nur Beispiele und Beweise hergenommen wären.

Herr von Rühl ist mir eine sehr angenehme Bekanntschaft gewesen, für die ich Ihnen, liebster Freund, herzlich verbunden bin. Wir haben ihn so oft gesehen, als unsre gegenseitige gesellschaftliche Lage es erlaubte.

Leben Sie herzlich wohl, und erhalten Sie mir auch in diesem Jahre Ihre gütige Freundschaft. Meine Frau grüßt Sie und die Ihrigen herzlich, denen ich gleichfalls recht viel Schönes von mir zu sagen bitte.

Mit inniger Liebe
Ihr H.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Später umdisponiert und dann im 4. Teil erschienen.

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    Quellen

    Handschrift
    • Ehem. Berlin, AST
    Druck
    • Grundlage der Edition: Leitzmann 1940b, S. 86f. Nr. 26. – Freese 1955, S. 679f.
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 2953

    In diesem Brief

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    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Christian Gottfried Körner, 03.01.1812. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/646

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