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Wilhelm von Humboldt an August Wilhelm von Schlegel, 12.08.1831

|297| Norderney den 12.t August 1831.

Ew. Hochwohlgeboren werden sich wundern, einen Brief von mir aus dieser äußersten Insel Deutschlands zu empfangen. Obgleich aber das hiesige Baden nicht mit dem Eintauchen in die heiligen Fluthen des Ganges verglichen werden kann, welches der Indische Spruch zu den drei Dingen zählt, welche der Welt (die nie mehr als jetzt das ihr dort gegebene Beiwort verdient hat) <Wesenheit und Mark geben> so ist es doch auch heilsam und wohlthätig, und scheint dies auch an mir beweisen zu wollen. Die Schwäche, an der ich leide, und die vorzüglich wohl aus dem Rückenmark entspringt, hat sich schon in den vier Wochen, die ich jetzt hier bin, zu heben angefangen. Ew. Hochwohlgeboren haben den Slokas, den ich soeben anführte, aus Ihrem Hitopadesa weggelassen, und wenn man den Zusammenhang betrachtet, sollten Sie auch keinen anderen Grund dazu gehabt haben, gewiß mit Recht. Sie sehen hieraus, daß ich mich mit Ihrer neuen Ausgabe beschäftige, sie ist sogar das einzige Buch, welches ich mithergenommen habe. Ich vergleiche sie genau mit der von Wilkins, und kann Ihnen nicht genug sagen, wie sehr ich mich freue, daß man jetzt das zugleich so liebliche und gehaltvolle Werk ohne allen Anstoß und mit |298*| unendlich erhöhtem Genuß zu lesen im Stande ist. Es liegt in der Natur des Werkes, in der gediegenen Kürze der Sprüche und in dem Umstande, daß viele von diesen aus ihrem ursprünglichen Zusammenhange gerissen sind, wenn die Auffassung des richtigen Sinnes angestrengteres Nachdenken erfordert, auch in einigen Stellen immer noch Dunkelheit zurückbleibt. Die Schwierigkeiten aber, welche ein verdorbener Text mit sich führt, sind durch Sie sehr glücklich gehoben, und Sie haben sich dadurch ein neues großes Verdienst um die Litteratur, wirklich nicht bloß um die Indische, erworben. Die Reinigung des Textes von den Zahllosen |sic| leicht in die Augen fallenden Fehlern der Londonner |sic| Ausgabe, da diese noch mehrere zu der von Calcutta hinzugefügt hatte, war schon ungemein wichtig, wenn es auch nur das geringste Verdienst Ihrer Arbeit ist. Das wahre liegt natürlich in der höheren Kritik, durch welche die<Sie> Stellen verbessert, Sprüche weggeschnitten und andere aufgenommen haben. Es ist mir eine sehr angenehme Beschäftigung, den Gründen dieser Veränderungen nachzuspüren, und ich bin ungeduldig, aus den Noten der Ausgabe zu erfahren, in wie weit Sie hierbei durch Handschriften unterstützt worden sind. Aus kleinen und ganz gleichgültigen Veränderungen schließe ich, daß Sie Ihrer Ausgabe eine ganz andere Handschrift zum Grunde gelegt haben, der Sie nun auch, da sie in den wichtigen Stellen die besseren Lesarten enthält, mit Recht in den gleichgültigeren folgen. Ein großes Verdienst sollten Sie sich noch in Absicht des Hitopadesa erwerben, ich meine |299| eine Uebersetzung, aber eine Deutsche, um das Werk wirklich allgemein bekannt zu machen. Niemanden, als Ihnen, könnte dies allerdings sehr schwierige Unternehmen gelingen. Ihnen aber würde es, dächte ich, nicht einmal sehr viel Mühe und nicht übermäßige Zeit kosten. Wenn man in einer durchaus originellen Litteratur, wie die Indische ist, das ihr allereigenthümlichste herausheben soll, so muß man den Hitopaseda |sic| nennen. Er läßt sich durchaus mit nichts, was wenigstens mir sonst bekannt ist, vergleichen, man mag auf Sammlungen von Sittensprüchen oder von Fabeln in anderen Sprachen sehen. Die sinnreiche und zierliche Kürze der Erzählungen, die naive Schilderung der Thier-Charaktere, die Verwebung der Fabeln in einander, und die Schönheit und Gediegenheit der Sprüche dazwischen macht, daß man in der Bewunderung des kleinen Werks und in dem Interesse daran nie müde wird. Auch hat es nicht so, als z. B. die Gita, Stellen, die durch Wiederholungen und sonst die Theilnahme herabsinken lassen.

Mit dem Anfange des künftigen Monats werde ich wieder in Berlin sein. Mein Bruder dürfte wohl erst später im Jahre dahin zurückkehren. Er ist aber auch jetzt in Paris mit wissenschaftlichen Arbeiten sehr anhaltend beschäftigt.

Ich bitte Ew. Hochwohlgeboren mich Ihrem Freunde Herrn Dr. Lassen angelegentlichst zu empfehlen, und die Versicherung meiner freundschaftlichsten Hochachtung anzunehmen.
| Handschrift wvh| Humboldt.

|Links am Rand, von oben nach unten geschrieben:|
| Handschrift Schreiber| Ich habe ja noch nirgends Ihre Schrift, welche in London gedruckt werden sollte, angezeigt gesehen. Ist sie wirklich noch nicht erschienen?[a]

|300*|
An
den Königlichen Professor und Ritter
Herrn von Schlegel
Hochwohlgeboren
in
Bonn [b]

Anmerkungen

    1. a |Editor| Die hier erwähnte Übersetzung der Réflexions sur l'étude des langues asiatiques ist vermutlich nie erschienen. [FZ]
    2. b |Editor| Über der Adresse ein Stempel: "Norden / 14 Aug"
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an August Wilhelm von Schlegel, 12.08.1831. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/1108

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