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Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 24.07.1826

Ew. Excellenz

habe ich die Ehre einige Bemerkungen über das Wisarga zu geneigter Prüfung vorzulegen. Es ist mir nicht möglich von der in meiner Grammatik hierüber ausgesprochenen Ansicht abzugehen, obwohl es mir vielleicht nicht gelingen wird diesen Gegenstand vollkommen ins Klare zu setzen.  Sankskrit {h} und  Sankskrit {ḥ} scheinen allerdings eine verschiedene Aussprache zu haben,  Sankskrit {h} wird wahrscheinlich wie im Persischen, stärker aspirirt werden ungefähr wie χ oder ch, auch findet man, daß es im Griechischen mit χ geschrieben wird, wie Βραχμανοι, Αμιτροχατης aus amitrahata, ομιχεω, μιχω von mih. Daß das Wisarga kein ursprünglicher Buchstabe sondern blos eine euphonische Veränderung sei, scheint mir dadurch bewiesen zu werden, daß es blos am Ende steht, wo die Buchstaben euphonischen Einflüssen ausgesetzt sind oder in Folge solcher Einflüsse gesetzt werden; ein jeder selbstständige Consonante kann am Anfange eines Wortes stehen, nur am Ende werden viele Buchstaben nicht geduldet. Daß s und r auch vor Pausen in  Sankskrit {ḥ} übergehen und daß sie eigentlich nur unter dem Schutze eines zu ihnen stimmenden folgenden Buchstaben stehn können, scheint mir nicht gegen ihre Ursprünglichkeit in grammatischen Formen zu beweisen, denn eine ganze Reihe von Consonanten, nämlich die Tönenden, sind, wenn sie entsprechende Dumpfe haben, vom Ende der Wörter ausgeschlossen. Man sagt asti puṇya:[a] wie man sagt asti vêdavit, nämlich weil s und d am Ende nur unter gewissen Bedingungen geduldet werden. Wäre Wisarga ein primitiver Buchstabe, der euphonisch verändert würde, so müßten pita:[b] Vater! und râma:[c] gleiche Veränderungen haben, man müßte râmarêti (nicht râma êti) sagen, wie man sagt pitarêhi … – Ich glaube, daß die Indischen Grammatiker mit Recht sagen, daß s in u übergehe, daher râmô aus rama-u, denn auch l geht im Italiänischen und Franz. in i und u über, so erklärt sich die Deklination des Artikels du, au, aux aus d’(i)l, a(i)l, a(i)ls, chevaux aus chevals . Die Erweichung eines Consonanten in einen Vokal scheint überhaupt etwas sehr natürliches.

Das letzte Heft des Journal Asiat. ist das 45., welches mir heute Hr. Rosen mitgetheilt hat; es enthält einen Artikel von Burnouf über Ceylon.

In tiefster Ehrerbietung
Ew. Excellenz
Ganz gehorsamster
Bopp.
Berlin, den 24. Juli 1826.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Zu lesen als: puṇyaḥ
    2. b |Editor| Zu lesen als: pitaḥ
    3. c |Editor| Zu lesen als: rāmaḥ
    Zitierhinweis

    Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 24.07.1826. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/149

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