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Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 01.04.1823

Ew. Excellenz

habe ich die Ehre hierbey mit vielem Dank den Brief von Schlegel zurückzuschicken, welchen ich, sowie die beygefügten gelehrten Bemerkungen Ew. Excellenz, mit großem Interessen gelesen. Ich finde ebenfalls, daß die von Schlegel angenommene Versetzung (Nal. S. 58) diese schwierige Stelle in einen faßlicheren Zusammenhang bringt; ich würde jedoch nicht wagen sie in den Text aufzunehmen. Die Handschriften mit Bengalischer Schrift weichen zuweilen von denen mit Devanagari Schrift und mit Nilakantha’s Scholien versehenen ab, und geben nicht selten bessere Lesarten, wo aber beyde Klassen von Handschriften mit einander übereinstimmen, da gewinnt der Text an Autorität und ich halte es dann für zu gewagt auf Conjektur gegen die Autorität aller Handschriften Aenderungen vorzunehmen. In der erwähnten Stelle stimmen die Bengalischen und Devanagari Handschriften in Bezug auf die Aufeinanderfolge der Verse vollkommen überein. Eine unbedeutende Abweichung, welche aber die Schwierigk. nicht auflößt, finde ich in der Pariser Handschrift wovon ich eine Abschrift habe. Es steht nämlich Sl. 4 statt kânanê mâm͂ gata:“. Die Ansicht Schlegels  tathâ satyam͂ für eingeschaltete Rede des Nalus zu nehmen, war mir früher selber in den Sinn gekommen, allein die Erklärung des Commentars hat mich abgehalten ihr zu folgen, denn nach dieser Erklärung kann man nicht anders übersetzen als: Wie wird auf diese Weise wahr was du (bey der Gattenwahl) gesagt hast (nämlich „ich werde dich nicht verlassen“). Da ich aber die Scholiasten nicht für untrüglich halte, so möchte ich nun der Auslegung Schlegels den Vorzug geben, und dann wäre wohl auch die Pariser Lesart vorzuziehen: Wie, gesagt habend „so ists wahr“ bist du, die schlafende mich verlassend, weggegangen? – Ich dachte schon bei meiner Uebersetzung in London daran, daß hier eine Anspielung auf S. 50 Sl. 30 seyn könne, wo Nalus der Damajanti sagt: Wie Du sagtest, so ist es, (mit andern Worten) „so ist’s wahr“. Damajanti wirft nun S. 58 dem Nala vor, daß er früher ihr zugebend, es gebe keine der Gattin ähnliche Arzney für jeglichen Schmerz – nun sie verlasse. Allein, wie gesagt, der Commentar will die Stelle auf das, was sich bey der Gattinwahl zugetragen, bezogen wissen. – Es kommt darauf an, ob man im Sanskrit eine Frage ohne Fragepartikel annehmen könne. Ist dies, wie ich glaube, der Fall, so sehe ich keine strenge Nothwendigkeit eine Versetzung anzunehmen. Ich werde suchen Belege hierzu zu sammeln, und im Falle ich keine finde, meine Uebersetzung der Sl. 6 zurücknehmen, und dann bliebe wohl kein anderer Ausweg als eine Versetzung anzunehmen. In jedem Falle ist der von Schlegel gegebene Aufschluß dieser Stelle sehr beachtungswerth. çakyasê nahm ich nicht für das verbum dessen Passiv auf den Inf. einfließt, sondern für dasjenige welches Wilkins durch suffer, endure etc. übersetzt. – „Duldest du (erträgst du es) alle jene Reden an mich zu richten?“ – Dieses Distichon scheint die Vermuthung des Scholiasten veranlaßt zu haben, und hat mich ebenfalls veranlaßt ihr Gehör zu geben, ich glaube aber jetzt man könne annehmen, Damajanti erinnere den Nala an zwei verschiedene Epochen. – Ich bin in kurzem mit meiner Deutschen Uebersetzung des Nala fertig und werde darin einige Varianten der Pariser Handschrift nachtragen, deren jedoch nur sehr wenige sind, und keine von Wichtigkeit. – Ich theile ganz die Ansicht Ew. Excellenz über das Hülfsverbum çak; man kann eigentlich nicht sagen, daß seine passivische Bedeutung auf den Infinitiv übergehe, sondern, während wir das Passiv an dem Infinitiv ausdrücken, wird es im Sanskrit an dem Hülfszeitwort ausgedrückt. Der Accusat. des Infinitivs läßt sich wohl am besten durch „in Bezug auf“ erklären, so daß çakyatê jêtum͂ so viel heißt als, er ist leidend in Bezug auf das Siegen, er wird vermocht, er wird gekonnt (wenn man so sagen könnte).

Die Analyse des Hitopad. ist von Hamilton, mit dem ich selber davon gesprochen habe. Er sah nicht gern, daß sie verbreitet würde, weil er wußte, daß sie mehrere Versehen enthalte. – Mit Schlegel theile ich vollkommen den Wunsch, daß es Ew. Excellenz gefallen möge, bald Ihr für die Sprachwissenschaft so wichtiges Werk über die Amerikanischen Sprachen herauszugeben.

Mit tiefster Ehrerbietung
Ew. Excellenz
Unterthänigster
Bopp.
Den 1ten April 1823.
Zitierhinweis

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 01.04.1823. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/97

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