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  3. Nr. 1022

Wilhelm von Humboldt an Friedrich August Rosen, 23.07.1829

Ew. Wohlgebornen theilnehmendes und freundschaftliches Schreiben vom 10. huj. ist mir gestern zugekommen,[a] und indem ich Ihnen zu Ihrem Besuch Ihres Vaterlandes von Herzen Glück wünsche, eile ich Ihnen nach Detmold hin zu sagen, daß ich vermuthlich schon am 20. Sept. gewiß aber am 25. Sept. von Gastein hierher zurückgekehrt seyn werde. Es würde mich ungemein freuen, Ew. Wohlgeboren hier zu sehen.

Ihre Ideen über die Sanskrit-Gramm. haben mich sehr interessirt. Indeß möchte ich die Sprache nicht für syntaktisch unbestimmt erklären, Sie scheinen mir den Mangel an scharfer Bestimmung, der sich in einigen Punkten wohl findet, zu groß darzustellen.

Die Rede in Einem Fluß hinrollen zu lassen, halte ich für Eigenthümlichkeit alles Sprechens. Die Worttrennung ist eine Sache der Reflexion. Dies sehen wir an der Schwierigkeit, die wir haben, im Hören einer weniger bekannten Sprache die Wörter zu trennen, u. an der ungebildete Personen, dies selbst in ihrer Muttersprache im Schreiben zu thun. Nuancen mögen darin allerdings seyn, u. insofern mag das Sanskrit noch enger verbunden haben.

Die wahre Ursach der Sandhi-Regeln in der Sprache ist aber die Reizbarkeit u. Empfindlichkeit des Ohres gewesen, Töne wegen vorhergehender u. nachfolgender zu verrücken. Auch dies ist allem Sprechen eigen, aber nach Graden bei den Völkern verschieden.

Den Zeichenreichthum des Devanagari Alphabets teile ich nicht vom Sandhi, sondern auf andre Weise ab. Das Alphabet aller Nationen hat eine bedeutende Anzahl von verschiedenen Lauten. Das Alphabet der Zeichen ist aber mehr oder weniger vollkommen. So ist unser e ein Zeichen für mehrere Laute u. s. f. Die Vollständigkeit eines Zeichen-Alphabets, namentlich des Devanagari, beweist nun erstlich, daß es ein in der Nation erfundenes war, nicht ein fremdes, dem sich die Laute, wie es immer gehen wollte, anpassen mußten, u. 2. daß das Lautgefühl der Nation so klar u. bestimmt war, daß sie die Verbindung zweier Laute unter demselben Zeichen nicht dulden konnte. Dies Alphabet kam nun aber dem Sandhi zur Hülfe und vereinigte dessen Regeln in der Sprache, da sie im Griechischen bei einem unvollkommnen Alphabet sich verloren. Die Alten sagten noch τομ πολεμον. Die NeuGriechen thun es meines Wissens nicht, oder achtet man nur nicht darauf? Ein Ohr ist darin anders, wie das andre. Wir sagen ohne Anstoß Schulenburg, jeder Franzose sagt und schreibt Schulemburg.

Die Handschriften beweisen gar nichts. Bei allen Völkern ist die ursprüngliche Schrift ohne Worttrennung. Diese kommt erst später hinzu. Die Art wie Haughton u. Dursch schreiben, ist aber nur den Bengalischen Handschriften eigen. Die andren theilen alle Sylben ab, u. lassen jede Sylbe isolirt stehen.

Um nun auf eine Schreibmethode zu kommen, so halte ich

1. die Sandhi Regeln u. das Aneinanderhängen der Worte nicht für in dem Grade (wie Ew. Wohlgeboren) dem Sanskrit vorzugsweise eigenthümlich. Es theilt wirklich diese Eigenschaft einigermaßen mit allen Sprachen, und mit einigen in ziemlich bedeutendem Grade. Wenn aber auch

2. diese Eigenschaft dem Sanskrit allein angehörte, so würde ich darin keine Nothwendigkeit sehen, dieselbe dem Auge, auf Kosten höherer Vorzüge, beständig sichtlich darzustellen. Gewahr wird der Leser des Sandhis doch an den Apostrophen, an den sonst illegitimen Endbuchstaben u. an den veränderten Buchstaben. Wozu nun noch dies Zwingen aller Worte unter Einen Strich? Wer verständlich vorlesen will, muß ja doch die Wörter kenntlich machen. Daß dies auch im Sandhi selbst die Indier thaten, habe ich an der Verwandlung der Surden in Sonanten, die in demselben Wort wohl Statt findet, zu beweisen gesucht.

Ueber die Schlegelsche Schreibung ist meine Meinung, daß sie, wenn man, gegen die Worttrennung eingenommen, Consequenz sucht, der Haughtonschen bei weitem nachsteht, ihr aber vorzuziehen ist, wenn man zwar die Worttrennung billigt, sie aber nur nicht für durchgängig ausführbar hält.

Auf diese Weise würde ich Ew. Wohlgeboren Einwendung zu beantworten versuchen. Glauben Sie aber ja darum nicht, bester Freund, daß ich Ihre Freiheit, über meinen Vorschlag, was Ihnen gut dünkt, zu sagen, beschränken will. Leben Sie herzlich wohl, ich reise in wenigen Tagen ab, u. muß Sie also bitten mir erst gegen die Zeit meiner Zurückkunft zu schreiben, wenn ich Sie denn nicht, was viel schöner wäre, selbst hier fände.

Mit der hochachtungsvollsten und herzlichsten Freundschaft
der Ihrige,
Humboldt
Tegel, den 23. Julius, 1829.


An
Herrn D.r Rosen der Sohn
Wohlgebohren
in
Detmold.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Dieser Brief ist anscheinend nicht erhalten.
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Friedrich August Rosen, 23.07.1829. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/1022

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