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  3. Nr. 318

Guido Görres an Wilhelm von Humboldt, 19.12.1828

Der Dank für das so gütige Schreiben Ew. Exellenz hat sich etwas verzögert, weil es mich gerade bey der beendigung meiner Arbeit über das baskische traf[a]; da Ich diese nun gestern auf die Post gegeben, so eile Ich für die versprochene Unterstützung und die gute Meinung, die Ew. Exellenz von dem Erfolg hegen zu danken, was die erstere betrifft, so war es mir leider nicht gestattet von ihr Gebrauch machen zu können, wie es scheint ist der literarische Verkehr zwischen berlin und München sehr gering, denn Ich habe bis jetzt noch nichts von den an Reimer abgegebenen bücher erhalten Obschon Ich mich nun sehr freue über einige Punkte Aufklärung und anderes von mir übersehenes darin berührt zu finden, so war der Schaden für meine Arbeit selbst doch nicht so groß, da Ich beynahe viel mehr Material gesammelt hatte, als mir die sehr kurz zu gemeßene Zeit zu verarbeiten erlaubte. Man hatte mir nämlich von Wien das Larramendi arte ect geschickt, ich habe vor dem Verfasser den größten Respekt, indem er von den Schulvorurtheilen ungeirrt immer seinem gesunden, beynahe stäts das Richtige treffenden, Verstande folgt, wäre es in einigen Punkten nicht so lückenhaft, besonders aber seine Ordnung der logischen Sprachentwicklung angemeßener, so möchte wenig erhebliches an dem buche auszusetzen seyn; auf jeden fall steht es weit über Lécluse, der wohl etwas andres aus ihm hätte herausbrauen können, als er gethan hat: denn sein buch hat sonderbarer Weise eine sehr compendiöse Weitläufigkeit durch die schlechte Anordnung. Es hat sich also mit dem Larramendi ganz glücklich getroffen, aber wenn auch nicht, so müßte ich auf jeden Fall gegen eine so anmaßende Unbescheidenheit protestiren, als könne Ich es Ew. Exellenz übel deuten, besonders da Ich nie eine solche bitte gewagt haben würde wäre Ich nicht schon anderswoher von Ihrer zuvorkommenden Güte, wo es nur immer möglich, überzeugt gewesen. Gern hätte ich eine Abschrift meiner Arbeit beygefügt, denn Ich bin nicht weniger auf Ihr Urtheil begierig als auf das der Pariser, aber die Zeit drängt mich so daß ich einen großen Theil sogleich rein niederschreiben mußte und also selbst keine Abschrift besitze. Sie zerfällt in sechs Abschnitte, wovon der erste sich mit dem Lautsystem beschäftigt abgesehen von der bedeutung, über die Sympathien u Apathien der einzelnen buchstaben, den Sylbenbau ect, ein sehr wichtiges Kapitel, welches aber wegen Mangel an durchaus nöthigen Vorarbeiten schrecklich mager ausgefallen; es folgt hierauf das 2te Kap. über die Wurzeln zuerst im allgemeinen, dann über die baskischen insbesondre, auf philosophische Entwicklung des begriffs der Wurzeln und ihres Verhältnißes zu grammatisch oder logisch gebildeten Worten, ein Gegenstand der mich lange beschäftigt, ist besonderer Fleiß verwandt, zugleich habe Ich nachzuweisen gesucht den engen Parallelismus zwischen zwischen |sic| Körper u Geist, (Ton u bedeutung) in der Wurzelbildung, gewiß ein sehr intereßanter aber noch wenig durch umfaßende historische Untersuchungen ins Klare gebrachter Punkt, Ich behaupte nämlich, werde es auch wohl später durch eine in einer oder mehreren Sprachen gesuchte Claßifizirung ausführlich zu belegen suchen, daß so wie die einzelnen Wurzeln die Archegeten großer von ihnen abgeleiteter Familien sind, sie selbst wieder sich in große beynahe die ganze Sprache durchrankende Wurzelgeschlechter ordnen, und zwar daß ihre Geschlechter ihre nähere oder fernere Verwandtschaft in der parallel sich modifizirenden bedeutung und Lautbildung darstellen, so daß hierdurch der Reim eine viel tiefere bedeutung erhält als man ihm gewöhnlich zuschreiben möchte, daß diese Ansicht richtig davon bin Ich überzeugt denn die ganze Sprachentwicklung ruht auf ihr; da bekanntlich in einigen Sprachen die Modification des zur Wurzel gehörigen Vokals mehr die formelle als eigentlich eßentiëlle bedeutung derselben modifizirt, so wäre es auch intereßant zu untersuchen, ob in denselben Sprachen, wenn auch nicht ganz doch theilweise, das Verhältniß des anlautenden Consonanten zu dem des auslautenden daßelbe sey wie zwischen divisor & dividend oder was sonst ihr Verhältniß zueinander in logischer beziehung sey, ich glaube nicht daß das gleiche überall stattfindet, doch möchte wohl ein bestimmter vorherrschen. Das hierauf folgende dritte Kap. stellt die Entwicklung der Wurzel in der derivation, mit Ausschluß der conjugat & declination, die in einem weiteren Sinne eigentlich auch zur derivation gehören, dar. Auch dieser Abschnitt verlangt eigentlich große Vorarbeiten, Ich habe ihm anfangs auch nothgedrungen großen Fleiß gewidmet, weil ich das lexicon dieser Sprache vor der Grammatik hatte und also auf dieses beschränkt war, doch ist mein studium lange nicht hinreichend gewesen, indeßen habe ich vielleicht den Hauptpunkt getroffen in der behauptung daß die vielsylbigen derivations suffixa, eben so wie im Deutschen, composita aus einsylbigen sind, wodurch ihre Zahl sehr beschränkt wird auf bestimmte Elemente, deren combination freylich fast ins Unendliche geht, Ich glaube die Einsylbigkeit der (Stämme) Wurzeln auch für die suffixe in Anspruch nehmen zu müßen freilich findet hier mancherley Abwechsel statt so sind z b einige suffixa zusammengesetzt aus erkennbaren Stämmen mit einem wie es scheint eigentlichen suffix ect Ew. Excellenz Meinung hierüber zu wißen wäre mir sehr wichtig. Der vierte Abschnitt enthält eine ausführliche Darstellung des Conjugationsystems der fünfte die Deklination mit den postpositionen, der sechste endlich die construction. Dem ganzen geht eine Einleitung voraus über das Sprachstudium im Allgemeinen und die leitenden Ideen in der Abhandlung zur Orientirung. Dieses ist der freilich an sich noch mehr aber in der Ausführung lückenhafte Plan der Untersuchung. Sed ultra posse Nemo tenetur. Da Sie mir einmal die Erlaubniß ertheilt haben Sie mit solchen grammaticalien behelligen zu dürfen so will ich Ihnen noch einige Hypothesen mittheilen. Es ist sonderbar wie die baskische Sprache, da in ihrem lexicalischen Theil ihre Verwandtschaft mit den sogenannten indogermanischen Sprachen ziemlich tief verhüllt u nur in weiter Form nachklingen läßt, die auffallenste |sic| Übereinstimmung in einigen grammatischen Formen zeigt. So glaube Ich daß der Ursprung der griech. lateinischen ect Partizipien sich vielleicht aus ihr erklären läßt. Sie selbst haben im Mithridat, die wie mir scheint, ganz gegründete Vermuthung geäußert, daß die von Larramendi sogenannten relativ Formen des Verbums zusammengesetzt seyen durch die affigirte postposition an en (unsrem in). Sie werden wohl nichts dagegen einwenden, wenn ich diese bemerkung auch auf die eigentlichen einfachen Participien ausdehne, deren ein Hauptausgang im praeterit. pass., neben tu n ist ist |sic| Z b eman, egon, gan, joan, jasan ect, und eben diese postpositio en glaube. hat auch zu der bildung der griech. lat, indischen u s w Participien gedient, so scheint mir z b amans zusammengesetzt aus am-a-en-(i)-s, das Schluß s ist Charakterzeichen des pronomen 3tiae personae, das ganze würde also heißen „der im lieb(en) (lieb.en.der)|“| ebenso das griechische activ und passiv particip. Im imperfectum verwandelt sich jenes n in das affigirte ean z b sorthu cenean heißt eigentlich: gebohren er war als, dieses ean (als) abgeleitet aus en an, entspricht mir auffallend dem griechischen ἐὰν, ich vermuthe aber daß auch noch andere Formen dieser Sprachen ihre wahre Erklärung im baskischen finden, so scheint mir das suffix co welches bey den Städtenamen die bewegung von bezeichnet und zu nominibus gentilitiis damit gänzlich verwandt dem lat. cus (κος) z b Judea-co heißt von Judaea, Judea-co-a, der von Judaea, also Judaïcus, wo das eingefügte s gleichfalls der articel oder die Substanzbezeichnung ist, mit dem baskischen co ist aber das gleichfalls baskische ic, jener indefinite nominativ, der aber eigentlich wie aus den Städtenamen hervorgeht, auch die bewegung von bezeichnet und daher auch zum genitiv partitivus dient, verwandt und hieraus ließe sich vielleicht das im griechischen und lateinischen dem c (κ) vorangehende i erklären. Räthselhaft ist mir noch der Ursprung des so häufig vorkommenden suffix la. Zum Mithridat sagen Sie pag. 311 „Das Zusammenstoßen des l mit einem anderen Consonanten kommt, soviel ich bemerkt habe, wirklich nie vor.|“| Ich glaube nicht daß sich diese behauptung durchführen läßt, denn es gibt z b eine Anzahl verba welche als Auslaut der Wurzel ein l haben und diesem nun die das particip. praet. pass. bildende Sylbe tu, welches sich alsdann euphonisch in du verwandelt, anfügen, wie galdu, isildu, bildu ect. Ich weiß nicht ob Ihre Stelle vielleicht so zu verstehen, daß das Zusammenstoßen der Wurzel selbst angehören muß? Denn sonst ließen sich gar zu viele (auch andrer Art) beyspiele des Gegentheiles anführen. Mit dem zusammenstoßen zweyer auslautenden Consonanten einer Wurzel ist es aber eine sehr schwierige u feine Sache zu bestimen was nun eigentlich der Wurzel und was der Ableitung angehört. – Es findet sich auch öfter im baskischen der Fall daß jene beyden participial Endungen n u tu zusammen u zwar hintereinander, mit einem gewißen Pleonasmus, einem verbum angefügt werden, ließen sich diese Formen nicht vielleicht mit dem Latein gerundium auf ndu-s vergleichen? Denn es scheint mir fast, daß dieses d in dus, da, dum gleichfalls ein aus dem tus, ta, tum des partic. praet. pass. übergegangenes d ist, des vorhergehenden n wegen; im baskischen leidet dieser Übergang aus t in d nach n keinen Zweifel; Formen obiger sind z b ego-ndu, izandu, iguindu, die auch eine einfache Form auf egon, iguitu u izan besitzen, die Lateinische Sprache hätte alsdann diese Form zu einer Modifizirung der bedeutung benützt, was das baskische hier, wie in mehrerem andren, unterlaßen.

Was Sie hinsichtlich der allgemeinen Grammatik bemerken, daß es arg sey wenn jeder einer so auf seine eigene Faust von vorne an, unbekümert um seine Vorgänger, den bau aufführen wolle; damit bin Ich ganz einverstanden, weiß mich aber selbst von dieser Schuld glücklicher Weise rein, ich habe mich einmal, was Ich auch noch nicht ganz aufgegeben, mit einer Geschichte des Sprachstudiums im Occident sowohl als im Orient beschäftigt, bey welcher Gelegenheit ich gezwungen war nicht allein die besten sondern auch die mittelmeßigen |sic| u schlechten Arbeiten durchzugehen. Die allgemeine Grammatik in unserer Zeit leidet noch gar zu sehr an jener zweifachen Einseitigkeit, indem nämlich die Einen, beschrenkt auf einen ziemlich engen Kreis von Sprachen, hieraus ihre universalia entlehnen; einseitig historisch verfahrend haben sie einen gewißen Horror vor der Philosophie; die andern wollen umgekehrt alles a priori aus den Nägel heraus kauen, den lebendigen Reichthum der Sprache nach ihrer philosophischen beschränktheit modelnd, halten sie die Grammatik für für |sic| ein Gesetz was jeden im Kopfe stecke und man also auch aus dem eigenen herausziehen könne, nur allzu oft sieht man sie aber doch nach dem historischen, dem gegeben |sic|, verstohlen hinschielen; der Grundirthum dieser Weise scheint mir daß man nicht einsieht, daß es in der Grammatik einen Theil gibt der produzirt werden muß, ein Produziren welches der einzelne aus seiner Kammer nicht so ohne weiteres nachmachen kann, sondern eine Frucht von Jahrhunderten, eine Frucht der Organisation und geistigen Willensbestimmung von Nationen ist. Übrigens bin Ich mit der damaligen schroffen Scheidung zwischen Grammatik und Lexicon durchaus nicht einverstanden, diese Scheidung ist, wie mir scheint eine blos äußerliche und doch auch nur als äußerlicher Zwecke willen angenommen, betrachtet worden, da die Sprache ja ein lebendig zusammenhangendes Ganze ist.

Noch vor beendigung meines Briefes sind Ihre Abhandlungen mit dem Astarlao[b] hier eingetroffen, die Einlage an H v Schelling habe ich besorgt aber noch nicht mit Ihm darüber gesprochen. Mein Vater läßt sich Ihnen herzlich empfehlen und dankt für die Abhandlung über die Bhagavad Gítá. Daß Ihre Abhandlung über den Dualis mir sehr wohlgefallen, wird überflüßig seyn zu sagen Es hat mich besonders gefreut unter den allgemeinen Ideen einige zu finden denen ich selbst schon auf der Spur war. Daß Ihre Wahl auf den Dualis gefallen ist auch deswegen gut gewesen, weil dieser, neben dem genus, gerade eine solche Form ist welche apriori leicht verkannt wird, die man, weil man ihre tiefere bedeutung übersieht für überflüßig, unlogisch u.s.w. achtet. Es ist dies ein schönes aber leider auch nur ein Kapitel einer grammatica sermonis humani.

Ew. Exellenz |sic| werden mir verzeihen daß ich Sie so sehr mit meinen Geschichten behelligt, würden Sie mir über die allenfalsigen Irrthümer meiner behauptungen ihre Misbilligung zu erkennen geben, so würde dies hinreichen mich zu bewegen den Gründen des Irrthums nachzuforschen. Ich denke jetzt über die Gliederung der Sprache in ihre einzelnen Redetheile, ein Gegenstand der zu so ganz verschiedenen Resultaten Anlaß gegeben, zu arbeiten. besonders will Ich alsdann meine Ansicht über die bedeutung und den Reim|?| des Verbums entwicklen. Die Resultate werde Ich alsdann so frei seyn Ihrer gütigen beurtheilung mitzutheilen. Den Astarloa, mit meinem besten Dank, erhalten Sie in drey oder vier Wochen zurück.

Mit vollkommenster Hochachtung
ergebenster
Guido Goerres
München, den 19ten Dec. 1828.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Görres nahm mit einer Arbeit mit dem Titel "Structura grammatica Linguae Hispanorum veterum indigenae id est: Vasconicae philosophice explicata nec non comparata variis tum Orientis tum Occidentis linguis" an dem 1829 von der Pariser Akademie aus geschriebenen Prix Volney zu dem Thema "Grammaire raisonnée de la langue basque" teil; siehe Bernhard Hurch (2018): Humboldts Gegenwart im 19. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 48, S. 625f. (Online-Link). [FZ]
    2. b |Editor| Soll heißen: "Astarloa". Gemeint ist Astarloas 1803 erschienene Apologia de la lengua Bascongada ò ensayo critico filosofico de su perfeccion y antiguedad. Diese ist in Humboldts Bibliothek nachgewiesen: Schwarz 1993, S. 17 Nr. 49. [FZ]

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    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 54, Bl. 56–59
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 228

    In diesem Brief

    Zitierhinweis

    Guido Görres an Wilhelm von Humboldt, 19.12.1828. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/318

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