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  3. Nr. 356

Wilhelm von Humboldt an Heinrich Julius Klaproth, [9.] September 1830 (Konzept)

|112r|
An Herrn <Hofrath und> Professor von Klaproth, Hochwohlgeboren, in Paris.
Tegel, den       August, 1830.[a]

Ew, haben mich durch Ihren gütigen Brief vom 1. v. M. sehr angenehm überrascht. Es ist von hohem Werthe für mich, daß Ihnen meine letzte Abhandlung einiges Interesse eingeflößt hat, u. daß Sie den Hauptideen Ihre Zustimmung ertheilen. Ew, wissen aus eigner Erfahrung, daß es man bei Arbeiten <allgemeinen Arbeiten> über das Sprachstudium nicht selten in den Fall kommt, auch über Sprachen reden zu müssen, die man nicht selbst <genau> kennt, u. daß man alsdann von seinen Quellen abhängt. So ist es mir in meiner <eben erwähnten> Abhandlung über das A gegangen. Mit dem Armenischen bin ich, ohne selbst <gerade> viel Armenisch zu wissen, meiner Behauptungen, wenn auch in Nebensachen Irrthümer seyn sollten, gewiß, weil die Sache zu klar in der Sprache daliegt. Von den polynesischen Dialecten habe ich durch eignes Lesen von Texten sichere Kunde, vom Japanischen glaube ich Alles zu Rathe gezogen zu haben, was man in Europa gedruckt besitzt. Nur beim Chinesischen mußte ich mich auf die einzige lebende Quelle beziehen, die ich nahe hatte. Es ist mir daher sehr angenehm gewesen, mich aus Ew, Briefe über einige irrige Behauptungen Hrn. Neumanns[b] belehren zu können. Ich begreife, wie Hr. Neumann, indem er einige wirklich scharfsinnige Conjecturen machte, geglaubt haben kann, Beweise dafür bei De Guignes u. Morrison zu finden. So sagen beide bei ta, magnus, grand, great, bei tai, summum, très-grand, very great. Ich halte mich aber dabei nicht * nicht auf. Die Frage, die mich interessirt, ist: ob die Chinesische Sprache einen Fall enthält, aus dem es wahrscheinlich wird, daß ein Ortsbegriff |112v| die etymologische Grundlage eines Pronomen 1. oder 2. Person gewesen ist? In diese Frage geht leider Ew, Brief gar nicht ein. Sie ist aber die Hauptfrage bei meiner Abhandlung. Denn wenn sich dieselbe bejahen ließe, so wäre ich doch Hrn. Neumann, ungeachtet seiner übrigen irrigen Behauptungen <u. Uebersetzungen,> für die Mittheilung Dank schuldig, u. so hätte er doch im Chinesischen etwas Scharfsinniges aufgefunden. Ich muß nun gestehen, daß es mir noch heute scheint, als sey dieser Fall bei nài <vorhanden>. Denn dieser Charakter u. diese Sylbe bedeutet zugleich das Pronomen 2. Person u. ist eine Conjunction, in der mir der Begriff von außerhalb, also ein Ortsbegriff zu liegen scheint. Da ich mich aber doch in dieser Ansicht irren könnte, so läge mir außerordentlich daran, <wäre es mir sehr wichtig,> hierüber durch Hrn. Ew, u. Hrn. Abel-Remusat belehrt zu werden, u. ich bitte Sie recht dringend darum. Ich würde dann wünschen, daß Ew, bestimmt auf folgende zwei <drei> Punkte einzugehen die Güte hätten.

1. Ew, sagen: nài ist niemals etwas andres, als eine Conjunction oder Disjunc Disjunction, u. nennen es eine paradoxe Meinung, daß es zuweilen Pronomen sey. Haben Sie dies wirklich in dieser Allgemeinheit behaupten wollen? oder haben Sie nur die nothwendige Beschränkung ve hinzuzufügen vergessen? Ich muß das Letztere glauben. Denn sonst würden Sie nicht nur De Guignes u. Morrison, sondern auch Hrn. Remusat (Gr. nr. 262.) <widersprechen,> die alle einstimmig nài als ein Pronomen 2. Personae angeben. Dies genügt aber, das Wort braucht nicht auch ein Pron. 3. personae zu seyn. In meiner Abhandlung rede ich sogar immer nur von dem Prono-|113r|men 1. od. 2. Person.

2. Ew, sagen: nài sey eine Conjunction oder Disjunction. Bei so genauen Sprachzergliederungen, als von welchen hier die Rede ist, genügt dies aber nicht. Ich hätte gewünscht, Ew, wären in den speciellen Sinn dieser Conjunction eingegangen. Ew, übersetzen es also auch, Sie nennen es aber auch disjunctiv. Um dies zu vereinigen, möchte ich an den ursprünglichen Sinn von außerhalb, draußen glauben. Denn was man hinzunimmt, auch, u. was man trennt, aber, liegt draußen u. abgesondert. Dazu kommt nun noch, was man von dem Bilde des schwer hervorgehenden Odems sagt. Die Partikel braucht gar nicht mehr jetzt: außerhalb zu heißen, und kann doch ursp ursprünglich den Sinn gehabt haben.

3. Die letzte Frage ist nun: existirt ein wirklicher etymologischer Zusammenhang zwischen der pronominalen u. der partikelartigen Bedeutung von nài? Ich kann mich noch jetzt nicht erwehren, an <einen> solchen Zusammenhang zu glauben. Ein du od. ihr, ist ein Etwas, das man von sich trennt, oder mit sich verbindet, ein aber, oder auch. Schon daß derselbe Laut u. dasselbe Schriftzeichen diese beiden Bedeutungen hat, ist höchst merkwürdig, u. deutet auf einen Bedeutungszusammenhang hin. Es scheint mir nicht so unverdienstlich von Hrn. Neumann, darauf aufmerksam gemacht u. eine Erklärung versucht zu haben. Ich bitte aber Ew, wohl zu bemerken, daß ich gar nicht auf die von Hrn. Neumann übersetzten Stellen, sondern nur auf die Thatsache gehe, daß , nài, zugleich du, aber, auch heißt.

|113v|[c] | Handschrift Schreiber| Was übrigens den Professor Neumann selbst betrifft, so stehe ich mit ihm durchaus in keiner näheren Verbindung<,> achte ihn aber sehr als einen Mann von glücklichen Geistes Gaben<,> schätzbaren Kenntnissen und einen < | Handschrift wvh| einem> | Handschrift Schreiber| aufopfernden Eifer<,> den Kreis derselben zu erweitern. In Berlin hat er durch< | Handschrift wvh| aus> | Handschrift Schreiber| nicht Herrn Abel-Remusats Verdienste zu schmälern gesucht<,> sondern von diesem trefflichen Manne gegen mich und andere mit gebührender Achtung gesprochen. Wieviel Chinesisch er weiß<,> kann ich nicht beurtheilen. Armenisch mag er nicht genau genug kennen<,> um ohne fremden Rath<,> in der Sprache drucken zu lassen<,> wozu<,> namentlich zur Worttheilung mit philologischer Genauigkeit in allen Sprachen viel gehört; daß er aber eine gute Kenntniß der Sprache besitzt<,> habe ich daraus gesehen<,> daß er in Armenischen Büchern<,> welche keine Übersetzung bei sich haben<,> mit Geläufigkeit die Stellen<,> worauf es ankommt<,> auffindet und übersetzt. Man hat ihn seit seinem Weggehen von hier wirklich < | Handschrift wvh| beinahe> | Handschrift Schreiber| verfolgt. Ich nenne |114r| dies darum so<,> weil man sich nicht begnügt hat von ihm begangene wissenschaftliche Irrthümer zu berichtigen<,> sondern mehr oder weniger persönliche Angriffe auf ihn gemacht hat. Herr Neumann hat sich geraume Zeit in Venedig aufgehalten um Armenisch zu lernen und macht jetzt für das Chinesische und andere Asiatische Sprachen eine mühselige Reise[d]. Daß dies keine Brotstudien sind, weiß Jedermann. Anstatt ihm aber dies als Verdienst anzurechnen<,> hat man ihn ohne allen Grund absichtlicher Verfälschungen beschuldigt, von seiner Eitelkeit und seinen Anmaßungen gesprochen und bei mehreren Gelegenheiten < | Handschrift wvh| sogar hier und dann> | Handschrift Schreiber| seines Jüdischen Ursprungs erwähnt. Dies letztere hat man nicht gethan<,> um es ihm zum Verdienste zu schätzen daß er sich in einer Nation<,> welcher es die Christen schwer machen sich hervorzuthun<,> durch vorzüglichere Kenntnisse ausgezeichnet hat<,> sondern gerade um ihn auf eine Weise<,> über die man doch endlich in unserer Zeit hinweg sein sollte<,> herabzusetzen. Alle diese <Diese> Angriffe sind gegen ihn erst zu einer Zeit gerichtet worden<,> wo |114v| wo |sic| er abwesend war und sich nicht selbst vertheidigen konnte. Diese beiden letzteren Umstände vorzüglich haben allen billigen u partheilosen Urtheilern mißfallen müssen<,> und daher ist es denn gekommen, daß auch diejenigen auf Herrn Neumanns Seite getreten sind<,> welche übrigens Irrthümer hier <die er> begangen haben kann<,> nicht in Schutz nehmen. Ich namentlich habe längst vor allen diesen Angriffen die Meinung gesagt<,> daß er sich im Chinesischen nicht immer auf ganz sicherem Grunde befände u habe ihn veranlaßt<,> auch in seinen Behauptungen <seiner Arbeit> über den Gegenstand meiner Abhandlung von einigen mir zu gewagt scheinenden Behauptungen zurückzugehen.

Ich bin gegenwärtig wieder ganz mit Untersuchungen über den Malayischen Sprachstamm beschäftigt[e], und habe besonders über die Sprache Madagascars vieles aufgefunden, was durchaus neu erscheinen wird.

Empfangen Euer Hochwohlgeboren die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
|115r/v vacat|

Anmerkungen

    1. a |Editor| Links Notiz in fremder Schrift: "mund. den 9 September 1830."
    2. b |Editor| Carl Friedrich Neumann (1793–1870), Orientalist.
    3. c |Editor| Ab hier Schreiberschrift in Kurrent.
    4. d |Editor| Neumann reiste 1830/31 nach China, wo es ihm gelang, ca. 12.000 chinesische Bücher zu erwerben und diese (deklariert als "Papier") mit nach Europa zu bringen. Siehe u.a. Hartmut Walravens (1999): Zur Geschichte der Ostasienwissenschaften in Europa, Wiesbaden: Harrassowitz, S. 176f. (Nachruf der Tochter, Emma Neumann, in der Allgemeinen Zeitung, Beilage März 1870, 111/112, S. 1737–1739, 1754–1756.). [FZ]
    5. e |Editor| D.h. den Vorarbeiten zum Kawi-Werk. [FZ]

    Über diesen Brief

    Eigenhändig in Antiqua bis Bl. 113v, ab dort Schreiberhand in Kurrentschrift mit Korrekturen Humboldts
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    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Berlin, SBBPK, Coll. ling. fol. 49, Bl. 112–115 (datiert auf August); Abschrift: Jena, ThULB, Nachlass Leitzmann, Inv.-Nr. 190. – Ausfertigung: St. Petersburg, Russische Akademie der Wissenschaften, Archiv, F. 783, Op. 2, Nr. 34, fol. 11–12 (datiert auf September)
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 201
    • Mattson 1980, Nr. 8265

    In diesem Brief

    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Heinrich Julius Klaproth, [9.] September 1830 (Konzept). In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/356

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