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Carl Eduard Meinicke an Wilhelm von Humboldt, 01.06.1834

|190r| Ew. Excellenz

erlaube ich mir endlich, zugleich mit dem innigsten Danke das Werk von Marsden wieder zuzustellen. Einen Bericht darüber für die kritischen Jahrbücher werde ich in wenigen Tagen nach Berlin absenden. Leider kann ich nicht günstiger darüber urtheilen, <als> daß die ganze Arbeit mir verfehlt erscheint, denn nur so kann ich eine Untersuchung bezeichnen, die das, was am Ende bewiesen werden soll, bereits im Anfang voraussetzt. Interessant ist es, daß Marsden, noch viel öfter,<öfter> als wo er es ausdrücklich sagt, Quellen besitzen muß, die, als ungedruckt, uns unzugänglich sind; (manches Gedruckte aber hat er übersehen,) allein selbst ausgerüstet mit allem, was das gesammte Europa darüber weiß, scheint es mir unmöglich, für jetzt zu unterscheiden, welche Sprache Malaiisch, welche Negrito sei, wenn dies überhaupt je möglich sein sollte. Ich bin nicht der Einzige, der mit großem Verlangen Ew. Excellenz Entscheidung darüber entgegensieht.

Außerdem werden Ew. Excellenz gleichzeitig in den Jahrbüchern eine kurze Anzeige von Raffles Memoirs finden, in der ich versucht habe, meine Ansicht über diesen Mann niederzulegen, so gut dies bei der mir auferlegten Beschränkung möglich war. Daher besorge ich, daß manches darin bloß Andeutung geblieben ist.

Ich werde mich jetzt zu der interessanten Untersuchung über das Malaiische de, mit der Ew. Excellenz mich so gütig beehrt haben,[a] und der ich, wie ich schon früher mich äußerte, in aller Beziehung beipflichten muß. Ich selbst hatte, als ich zuerst die Entwickelung dieses Punctes versuchte, sehr fehlgegriffen, verführt durch die unläugbare Verbindung zwischen der Verbalpartikel und der Präposition; ich hatte aber, wahrscheinlich durch das französische en verleitet, alles aus der letzten zu erklären versucht, und war darüber in unauflösbare Schwierigkeiten verwickelt worden. Dabei war mir |190v| das Verhältniß des possessiven nia, zumal da Marsden jederzeit wie beiläufig vor der Verbindung zwischen den personalen und possessiven Pronominen endet, nicht klar hervorgetreten, und die Stelle p. 100, die auf das richtige hinführen muß, hatte ich früher gar nicht beachtet.

Dennoch bleibt mir noch Einiges auffallend. Das Beispiel p 84 Z. 9 v. u. erklären Ew. Excellenz gewiß richtig so, daß ōrang Genetiv sei, allein das diesem entsprechende p 60 Z. 8. v. u. würde ich auch so erklären, daß von terima zwei Genetiven in verschiedenem Grade abhangig |sic| gemacht seien; nämlich: Nicht ist Gottes Annahme seiner Fasten. Denn zwischen dem nia in tañgkap-nia und allah im letzten Beispiel scheint mir kein syntaktischer Unterschied zu sein. Dann braucht man nicht anzunehmen, daß puasa-nia Accusativ sei, und rettet die Consequenz der Malaiischen Grammatik. Daß man dafür auch eben so gut puasa nia de terima allah sagen könnte, wäre möglich; allein ich finde bei Marsden zwar Beispiele, daß Pronomina als Subjecte (im Malaiischen Sinn) vor dem de stehen, allein kein reines Nomen, außer solche, wie S. 60 Z. 5 v. u., wo arta amba steht, und wo mir auch nur das Pronomen amba diese Abweichung hervorgebracht zu haben scheint. Für diese Stellung ist das Beispiel S 84 Z. 6 u. 7 v. u. sehr lehrreich. Daraus würde folgen, daß das Subject (nach malaiischer und auch nach europäischer, nämlich passiver, Construction), wenn es Pronomen ist, vor de stehen kann, wenn es Nomen ist, hinten stehen muß (als Genetiv), mit Ausnahme solcher Nomina, die mit Possessivpronomen verbunden sind. Dies genauer zu untersuchen, habe ich jetzt einige Seiten in dem Werke des Bochari, Makuta segala rajah rajah[b], das ich besitze, soweit es mir ohne Lexikon verständlich sein konnte, gelesen, allein zu meiner großen Verwunderung gefunden, daß darin jene Constructionsart nur sehr selten erscheint; nämlich auf 4 Quartseiten nur zweimal, und das stets in Versen, allein auch immer in Beispielen, die den bei Marsden ganz analog waren.

Ich muß besorgen, daß diese Bemerkungen Ew. Excellenz gar geringfügig erscheinen, dennoch sind sie für mich wichtig, da sie mit einem viel bedeutenderen Puncte genau zusammenhangen. Ew. Excellenz sagen nämlich, nachdem Sie bemerkt haben, daß puasania im obigen Beispiele Accusativ sei: „Wenn Völker in ihren Sprachen den Weg der richtigen Formerfindung verfehlen, so leitet sie doch ein undeutliches Gefühl dahin, die von ihnen an die Stelle der wahren Formen gesetzten Surrogate den ersteren so nahe als möglich zu bringen.“ Ich muß offenherzig gestehen, daß diese Worte, als eine Erklärung der Differenzen zwischen der malaiischen und etwa den europäischen Grammatiken, <mir> in hohem Maaße auffielen, ohne Zweifel deshalb, weil ich den Satz mit einer Reihe von Ansichten, an die ich mich bereits gewöhnt hatte, nicht zu vereinigen vermochte. Um kurz zu sein, so hat das Studium von Marsdens Grammatik ein höchst trübes Gefühl in mir erregt; ich sehe im Malaiischen allenthalben eine Zerstörung und Vernichtung, wie ich nur eine entfernte Analogie davon im Wesen des Neugrie-|191r|chischen finde. Mir erscheint diese Sprache als, wie etwa eine elende Hütte erscheinen würde, welche schiffbrüchige Matrosen aus den Brettern ihres stattlichen Schiffes gebaut haben, sich vor Wind und Wetter zu schützen. Abweichungen also von Grundregeln einer allgemeinen Grammatik, wie dies de vielleicht auch sein möchte, glaubte ich dabei erklären zu müssen, als schwache Versuche, zu denen die Noth das Volk trieb, genügendere Mittel, die im Sturme der Zeiten verloren gegangen seien, zu ersetzen. Und sollte ich mich daran irren, sollte dergleichen vielmehr in einem ursprünglichen Fehlgreifen des Volkes in der Bildung seiner Sprache seinen ersten Grund haben, so würde mich das gar sehr schmerzen. Ich habe nämlich aus jener Ansicht von der Malaiischen Sprache, und ich glaube mit Recht, weiter geschlossen auf ein sehr bewegtes Leben, welches das Volk durchlebt haben muß, ehe es zu der tiefsten Erniedrigung gekommen ist, in der es uns allein bekannt geworden ist; es konnte für mich keinen besseren Beweis geben, daß das Malaiische Volk viel älter und berühmter ist, als es jetzt selbst glaubt, und ich war manchmal nicht sehr fern davon, nach Analogie des Neugriechischen,<Neugriechischen> auf einen Zustand zu schließen, der dem der alten Griechen unfern sein möchte, ein Schluß, der nach der Vergleichung von<des> jetzigen Zustandes von Java mit demjenigen, welchen die Sage uns dort kennen lehrt, nicht zu gewagt scheinen möchte.

Indem ich hier diese Bemerkungen abbreche, denen ich bei Ew. Excellenz wohl sehr ein geneigtes Gehör wünsche, nehme ich mir die Freiheit, Ew. Excellenz mit einer Anfrage zu behelligen, die mich allein betrifft. Privatangelegenheiten nöthigen mich, im Laufe dieses Jahres nach Berlin zu kommen; ich werde dies aber jedenfalls so einrichten, daß ich zugleich Gelegenheit habe, Ew. Excellenz meine Aufwartung zu machen. Und deshalb bin ich so frei, Ew. Excellenz um gefällige Nachricht zu bitten, ob Sie vielleicht am Ende des Juli noch in Tegel sich befinden sollten, oder etwa in ein Bad reisen würden. Im letzten Falle werde ich erst im Herbste nach Berlin kommen.

Indem ich endlich noch die Versicherung meiner unveränderlichen Hochachtung und Verehrung hinzufüge, unterzeichne ich mich
Ew. Excellenz
ganz ergebenster
Meinicke
Prenzlau den 1sten Juni 1834.

|191v|
S. Excellenz
dem Herrn Staatsminister Freiherrn W. v. Humboldt
Berlin


|Nachtrag in fremder? Hand|
beiliegend ein Buch in gr. Leinwand
gez. K. B
Berlin.
|Poststempel Prenzlau vom 1. Juni|

Anmerkungen

    1. a |Editor| Siehe Humboldts Brief vom 16.02.1834.
    2. b |Editor| Bei dem genannten Werk müsste es sich um die malaiisch-niederländische Ausgabe von Roorda van Eysinga aus dem Jahr 1827 handeln. Dieser Band befand sich auch im Besitz von Wilhelm von Humboldt: Schwarz 1993, S. 42. 44 Nr. 317, mit Abb. des Titelblattes auf S. 43. Siehe zum Überlieferungsstand Anfang der 1830er-Jahre den Artikel von Eugène Jacquet (1832): Mélanges Malays, Javanais et Polynésiens, No. II. Bibliothèque Malaye. In: Nouveau Journal Asiatique 9, Février, S. 105f. Nr. 9. [FZ]

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    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 53, Bl. 190–191
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 223
    Zitierhinweis

    Carl Eduard Meinicke an Wilhelm von Humboldt, 01.06.1834. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/420

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