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  3. Nr. 428

Carl Friedrich Neumann an Wilhelm von Humboldt, 19.01.1830

Ew. Excellenz

übersende ich hiermit gehorsamst einen kleinen Nachtrag zu meinen frühern Bemerkungen[a]. Ich schrieb, „das Chinesische (Rém § 337) gleicht dem տա, ta der Arm. und nai dem նա na.“ – Diese meine Vermuthung wird auch von einer andren Seite her bestättigt |sic|. Wir sehen nämlich an andren chines. Wörtern, daß der Begriff des Wortes durch Anhängung eines i verstärkt oder vergrößert wird. So heißt ta, groß tai, sehr außerordentlich groß, und dem gemäß heißt na fern, die erste Entfernung, տա und nai, ganz fern, նա, die zweite Entfernung. Diese Bemerkung scheint mir auch deshalb interessant, weil wir hier Spuren gramatischer |sic| Categorien sehen, die mit dem Worte (dem Stamm) zusammenflossen, so scheint mir das i. Dies ist ein Zwielicht, welches aus den Zeiten herüberschimmert, wo die Stämme durch die Charaktere noch nicht auseinander gehalten wurden; denn die Sprache ward doch sicherlich lange gesprochen, ehe sie in die Charaktere eingezwängt ward. Auch wollten die Charakterbildner anfänglich von der Verschiedenheit des Ta und Tai gar keine Notiz nehmen, sie schrieben bloß ta, wie der Tse gnuy[b] ausdrücklich bemerkt und später erst setzte man noch einen Punkt hinzu, tai. Mehrere solche Erscheinungen, kritisch zusammengestellt, könnten wohl über den ganzen Bildungsgang der chines. Sprache ein neues Licht verbreiten. Es scheint mir daß man bey dieser Untersuchung vorzüglich darin fehlte, daß man die Schrift zu hoch hinauf rückte. Wie war die Sprache beschaffen, ehe sie geschrieben wurde, scheint bey dem ersten Anblick eine ganz curiose Frage, hat aber bey der eigenthümlichen Natur des Chinesischen, ihre recht gute Bedeutung.

Ich habe in der zu Moskau gedruckten armenischen Grammat., die Ew. Exc. Bruder mitgebracht haben[c], über սա, տա, նա nachgesehen, aber diesen Artikel sehr schlecht abgehandelt gefunden. In dem Foreign quarterly Review von Nov. 29 steht eine Notiz über ein Mexikanisches Werk, welches über alle Verhältnisse des Lebens der alten Mexikaner sich verbreiten soll, – es sey bald nach der Eroberung durch die Spanier geschrieben[d]. Ew. Excellenz beschäftigen sich, wie ich weiß, auch mit diesem Theil der Völkergeschichte, vielleicht interessirt Sie das Werk. Der Name des Autors ist mir entfallen, sollten Sie aber es wünschen, so werde ich Ew. Excellenz die ganze Notiz mit Vergnügen abschreiben.

Ich habe die Ehre zu unterzeichnen
Ew. Excellenz
ganz Gehorsamster
Neumann Prof.
Berlin 19ter Jan. 30.


|Anhang|

Die einheimischen armenischen Grammatiker nennen ս. տ. ն. bestimmende Partikeln und wissen schon daß sie das Fundament sind des persönlichen, demonstrativen und possesiven |sic| Pronomens. Vergl. Awedikean Armenische Grammatik, gedruckt in armenischer Sprache zu St. Lazaro im Jahre 1815. § 1070. S. 449.

Im Chinesischen findet sich auch ein Pronomen der ersten Person  Sankskrit in (12406, nach dem tonischen Lex. von Morrison), ein Wort welches ursprünglich wechselseitig geben bedeutet. Der ursprüngliche Charakter war rein symbolisch; er stellte zwey ineinander verschlungene Hände dar, wie dies noch aus der Siegelschrift erhellt. Einige Beyspiele bey Morrison nach Radicalen S. 44a.

Eben so wie սի im Armenischen bloß im Allgemeinen etwas bestimmt, so im Chinesischen 自 tse ( ex), welches dann, wie aus dem Zusammenhang erhellt, häufig für ego ipse genommen wird. Morrison 11305.

Bas. 39.[e] 乃 nai (7874 M.) ist in Beziehung auf den Ursprung des Pronomens ein sehr merkwürdiges Wort und bestätigt ganz die in der Abhandlung aufgestellte Ansicht. Der Charakter ist symbolisch und soll den gewaltsam ausströmenden Athem bedeuten. Diese Bedeutung hat sich im Laufe der Zeiten abgeschliffen und es blieb nur noch der allgemeine Begriff der Entfernung, des Absonders überig |sic|. Es hat jetzt alle Bedeutungen des Englischen but und des Deutschen sondern und bezeichnet demnach Alles außerhalb des Sprechenden oder Handelnden Existirende, mag es nun, um mit der gewöhnlichen Grammatik zu sprechen, die zweite oder dritte Person seyn, das persönliche oder demonstrative Fürwort. Z. B. Am Ende des 2ten Kapitels des Schu king heißt es: Als Schun 50 Jahr war  Sankskrit tchy fang nai, hse erhob er sich (tchy) in eine Gegend (fang), in eine entfernte (nai) und starb (hse). In dem dritten Capitel, welches Ta Yu mo, die Vorschriften des großen Yu, überschrieben ist, sagt der Minister I Folgendes:  Sankskrit  Sankskrit  Sankskrit Ti te huang yun, nai sching nai schin, nai mu nai nien. Des Kaisers (ti) Tugend (te) weit (huang) sich verbreitend (yun) zu den entfernten (oder bloß zu den) (nai) Weisen ( sching), zu den Geistern (schin), zu den Kriegern (mu) und zu den Gelehrten (nien).

In demselben Kapitel lobt der Kaiser Schun den Yu; er preist das Glück des Reiches und der Welt und setzt dann hinzu  Sankskrit schy nai kong, es sind (schy) die fernen, die außerhalb mir seyenden oder (nach dem Context der Rede) deine (nai) Verdienste (kong).

Diese oben angeführten Stellen finden sich in meiner Schulausgabe der 5 King, gedruckt im Jahre 43 der Periode Kinn long (1778 unserer Zeitrechnung), Schu king I Blatt 5b, 6a, 6b und 7a. Es finden sich Beyspiele dieser Art auf jeder Seite. Wie die chinesischen Grammatiker diese Partikel erklären, kann man sehen in Morris. nach Radicalen S. 32.

տիւ (div) heißt Tag, im Gegensatz zur Nacht z. B. ստիւ և ստիշեն ß’div iev ß’kischen, Tag und Nacht. աւր oder օր (ur), der Tag d. h. 24 Stunden. Ein Tag nach dem andern heißt nicht տիւ րստ տիւ sondern աւր րստ աւրէ (‘div esd div, ar esd ore.) Man findet auch einige Beyspiele in Aucher’s Lexikon unter day, տիւ und աւր.

Die geistreiche Bemerkung S. 8 der Abhandlung[f], daß ս, տ, ն die Stelle des ausgelassenen Substantivs vertritt und daraus ս ß, das Zeichen des Accusativs zu erklären ist, findet sich auch schon in der oben angeführten Armenischen Gram. § 869. S. 346. Man findet selbst (ohne ս տ ն) das Zeichen des Accus. allein für oder an der Stelle des Wortes im Accusativ. z. B. Նոքա սի սեսմանելի պսակն առ նուցուն, և մեք սանեսմու Քեան Brief an die Korinther I 9. 25. Das ս ß vor dem Genit. անեսմու * steht für սպսակն.

Es scheint mir immermehr, daß das ք k des Plurals aus dem Wahrheits-Suffixum իկ, ig entstanden ist. In einzelnen Wörtern hat es sich noch ganz rein erhalten, wie in պարսիկ Parsig, die Perser նտիկ hentig, die Indier und in vielen andern Völkernamen, so auch մարտիկ, martig die Menschen. Es gibt im Armenischen viele Wahrheits-Partikel wie անի, եան, եար, եր, կոեար, կան, ան, տի und իկ. ani, ean, ear, gnear, gan, an, di und ig.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Siehe den Anhang zum Brief vom 16. Januar 1830. [FZ]
    2. b |Editor| Zu dem im Jahr 1039 fertiggestellten phonetischen Wörterbuch Chi-yün siehe Mueller-Vollmer 1993, S. 158 Anm. 22. [FZ]
    3. c |Editor| Zu dieser 1827 in Moskau im Druck erschienenen armenischen Grammatik siehe Hartmut Walravens (2017): Zu den von Alexander von Humboldt aus Russland mitgebrachten Büchern. In: HiN XVIII, 34, S. 104 mit Anm. 20. [FZ]
    4. d |Editor| Diese Notiz lässt sich nicht verifizieren. Über Neumann selbst wird auf S. 356 in der Rubrik "Oriental Literature" berichtet.
    5. e |Editor| Basile de Glemona (1648–1704), ein Missionar des Minoritenordens in China, verfasste ein handschriftliches chinesisch-lateinisches Wörterbuch, das 1813 von Chrétien-Louis-Joseph de Guignes in Paris leicht verändert (ohne Nennung des eigentlichen Autors) veröffentlicht wurde. Die genannte Nummer (39) bezieht sich auf die Ausgabe von Guignes, S. 4. – Zu Basile de Glemona siehe das Dizionario Biografico degli Italiani, Band 14, 1972. [FZ]
    6. f |Editor| Diese Stelle bezieht sich auf S. 22f. der 1832 gedruckt vorliegenden Abhandlung über die Verwandtschaft der Ortsadverbien. Neumann wird eine Handschrift der Abhandlung vorgelegen haben. [FZ]

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
    Schreibort
    Antwort auf
    -
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 17, Bl. 132, 135, 136
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 158 (dort nicht verzeichnet und Datierung einem anderen Brief zugeordnet)
    • Mattson 1980, Nr. 12242 (?)

    In diesem Brief

    Zitierhinweis

    Carl Friedrich Neumann an Wilhelm von Humboldt, 19.01.1830. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/428

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