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  3. Nr. 472

Gustav Seyffarth an Wilhelm von Humboldt, 28.06.1829

Hoch u Wohlgeborner Herr
Höchstgebietender Herr Staatsminister

Ew. Excellenz habe ich meinen verbindlichsten Dank für Hochdero gütigste Zuschrift zu sagen u mein Bedauern auszudrücken, daß ich die Ehre nicht haben konnte, Hochdenselben meine persönliche Aufwartung machen zu können, ob ich wohl nicht bergen kann, daß es mir sehr schmerzhaft gewesen seyn würde, Ew. Excellenz höchstverehrte Frau Gemahlin nicht wieder zu finden. Die traurige Nachricht von Hochdero Frau Gemahlin Tode hat mich unbeschreiblich ergriffen u die Stunden, wo ich das letzte mal die Ehre hatte im Britischen Museum in London dieselbe zu sehn, werden mir unvergeßlich bleiben. Damals hätte ich nicht geglaubt, daß die Fürsehung so bald einen so traurigen Verlust Ew. Excellenz u so manchem theilnehmenden Herzen zu laßen würde.

Mein neulicher Aufenthalt in Berlin ist mir sehr angenehm u von vielen Nutzen gewesen, ob ich wohl nicht leugnen kann, bei weitem nicht zum Ziele gekommen zu seyn, das ich mir gesteckt hatte. Gern hätte ich die neuen Papyrus u Inschriften vollständiger benutzt u die früher gesehenen genauer untersucht, zumal da ich seit der Zeit um vieles weiter gekommen zu seyn glaube, u es sich erwarten ließ, manches andere neue und wichtige zu finden. Die Reichhaltigkeit u Schönheit der Passalaquaischen Sammlung hat mich sehr überrascht. Sie enthält nicht nur viele ausgezeichnet schöne Exemplare, sondern auch eine Menge von Gegenständen, die ich bisher noch in keinem anderen Museum gefunden habe u daher bis jetzt in Europa einzig sind. Die ganze Sammlung wissenschaftlich geordnet wird keine geringe Zierde des ausnehmend schönen neuen Museums[a] werden.

Unter die kleinen Entdeckungen, welche ich während meines kurzen Aufenthaltes gemacht habe, gehört auch das demotische Ziffernsystem, welches Ew. Excellenz ich beizulegen so frei bin[b]. Es befindet sich auf einem kostbaren hieratischen Papyrus’ im Besitze S. Exc. des Generals v. Minutoli. Diese Ziffern sind zwar größten Theils nicht neu, indem ich schon im Jahr 1825 davon 17 in meinen Beiträgen u später in Turin die mehrsten der übrigen bestimmt habe, auch aus den gegebenen viele andere durch Conjectur sich leicht bestimmen ließen; allein die Formen derselben sind größtentheils neu u ihre Folge schließt jeden Zweifel über den Werth der einzelnen Zeichen aus. Da ich damals durch Hilfe künstlicher Combinationen die Ziffern bestimmt habe, so freue ich mich sehr, eine solche Bestätigung dieser kleinen Entdeckungen gefunden zu haben. Der genannte Papyrus gehört zu den am schönsten u sorgfältigsten geschriebenen u ältesten, daher diese Ziffern als vollkommen u gleichsam als urförmlich angesehen werden können. Zugleich spricht diese Urkunde für eine meiner frühen Vermuthungen, daß die liturgischen Papyrus’ Abschriften aus den heiligen Schriften der Aegypter sind, da nach dem historischen Theile dieses Textes die einzelnen Capitel, welche in andern Handschriften in derselben Ordnung folgen, hier u da mit Weglassung einzelner, mit diesen Ziffern überschrieben sind. Halten Ew. Excellenz nicht für gut, ein Paar Worte über diesen Papyrus’ in irgend einer Zeitschrift einrücken zu lassen, damit mir dieser kleine Fund nicht wieder streitig gemacht werden könne? So fand ich im Jahr 1826 in Turin fast das vollständige hieratische Ziffernsystem, was ich die Unvorsichtigkeit hatte, mehern Personen mitzutheilen. Jetzt ist dasselbe mit einigen andern Dingen von mir in Frankreich unter einem andern Namen herausgegeben worden. Vor der Hand kann ich noch nicht daran denken, meine Schrift über die Zahlen u Ziffern der Aegypter zu bearbeiten.

Ew. Excellenz bin ich noch so frei einen kleinen Aufsatz beizulegen[c], worinne ich unter andern etwas über mein Verhältniß zu Champollion u Young gesagt habe.

Youngs Tod werden Ew. Exc. ebenfalls nicht wenig betrauern, nun schon der zweite des alten Aegyptischen Triumvirats’ abgetreten ist. Es steht zu erwarten, wer an Dr. Youngs Stelle kommen wird.

Noch muß ich die unterthänige Bitte hinzufügen, meinem langen Schreiben u meiner Offenheit gnädigst nachzusehn. Im Gefühle der tiefsten Ehrfurcht u Ergebenheit empfehle ich mich Hochdero fernener Gnade als
Ew. Excellenz
unterthänigster Diener
Prof. Seyffarth
Leipzig am 28ten Juni 1829.

Anmerkungen

    1. a |Editor| 1828 wurde auf Anregung von Alexander von Humboldt die Sammlung der Aegyptiaca Passalacquas durch Friedrich Wilhelm III. für die Königlichen Museen erworben. Passalacqua wurde zugleich erster Direktor des Museums, welches anfangs im Galeriegebäude von Schloss Monbijou untergebracht war. [FZ]
    2. b |Editor| Siehe Bl. 7 unter den Facsimiles.
    3. c |Editor| Damit ist eventuell ein dreiseitiger Artikel in der The London Literary Gazette gemeint, in dem sich Seyffarth u.a. über die Arbeiten Champollions und Youngs auslässt. – Als Bl. 8–11 folgt dem Brief in Coll. ling. fol. 26 ein (namentlich nicht gekennzeichneter) Beitrag aus dem Wegweiser im Gebiete der Künste und Wissenschaften vom 21. und 24. Januar 1829 mit dem Titel "Ueber Champollion’s jetzige Reise in Aegypten". Laut Mueller-Vollmer 1993, S. 171 soll der Artikel von Seyffarth stammen. [FZ]
    Zitierhinweis

    Gustav Seyffarth an Wilhelm von Humboldt, 28.06.1829. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/472

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