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Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 07.05.1801

Vitoria, 7. Mai 1801

Du wirst Dich wundern, meine liebe Li, daß ich Dir schon von hier aus schreibe. Aber wir haben unsern Reiseplan ein wenig abgeändert, und statt zuerst nach Bilbao zu gehen, sind wir vorher hierher gekommen. Ich schrieb Dir zuletzt aus Guetaria. Von Guetaria aus gingen wir an der Küste weiter fort, über Deba, Motrico und Ondarroa. Wir genossen noch sehr schöne Gegenden, herrliche Meeresansichten und den Anblick eines so schön kultivierten, so gut bevölkerten Landes, als es uns noch nirgends vorgekommen war. Von Ondarroa aus verließen wir die Küste, um landeinwärts einen kleinen Flecken, Marquina, aufzusuchen, in dem ein paar Leute gerade sein sollten, an die ich gute Empfehlungen hatte. Der Weg war auch dahin sehr schön, ein ziemlich enges Tal an einem kleinen Fluß, mit lauter einzelnen Bauerhäusern und sogenannten Ritterschlössern und vielen Eisenhämmern, bei deren Schleusen der Bach hübsche Wasserfälle bildete. In Marquina hatte uns der Graf Peñaflorida[a] in San Sebastiano an sein Palacio (wie man es hier nennt) gewiesen, um dort, weil die Posada schlecht sei, zu wohnen, und wir zogen also wirklich um achte auf dem gräflichen Palacio sehr Don Quixotemäßig ein. An der Tür empfing uns der alte Verwalter des Grafen, der ihn und seinen Bruder ehemals ans Reisen geführt hatte, in Paris gewesen war und uns, ehe er nur unsre Pferde in den Stall bringen ließ, auf dem Flur seine ganze Lebensgeschichte erzählte. Dieser Administrador schien dem armen Bokelmann in die Glieder zu schlagen. Denn als ich den Abend ein wenig ausgewesen war und zurückkam, fand ich ihn mit entsetzlichen Kopfschmerzen, und die Nacht nahm es so zu, daß es mir in der Tat bange wurde. Ich verordnete ihm aber ein Brechpulver, und dadurch brachte ich ihn doch in den Stand, daß er am überfolgenden Tage weiterreiten konnte und er nun wieder ganz wohl ist. Mir sind die zwei Tage, die wir da zugebracht haben, sehr merkwürdig gewesen. Du kennst die Art der spanischen Häuser, die Leere an Möbeln und Menschen, die da herrscht, und wenn Du Dir nun dazu denkst, daß dieses Schloß von dem Ort eine viertel Stunde entfernt allein in Wald und Bergen lag, so hast Du ein Bild der melancholischen Stille, die da herrschte. Ich leistete teils Bokelmann Gesellschaft, teils besuchte ich Leute in der Stadt. Dieser Ort, der im tiefsten Innern der Provinz liegt, ist gerade der, wo am besten Baskisch gesprochen wird, wo die Menschen am meisten Nationalstolz haben, und da ich gleich mit allen bekannt wurde, so kam ich dadurch ins Innerste der Nationaleigenheiten. Auch ging ich viel im Felde spazieren, und da die Leute, die dort arbeiteten, und die so außerordentlich gutmütig sind, sahen, daß ich auf ihre Arbeit und ihre Ackerwerkzeuge acht gab, daß ich etwas Baskisch verstand und sprach, so waren sie von einer ordentlich merkwürdigen Freude darüber und riefen mich schon von fern heran. Außerdem war der Generaldeputierte von Bilbao[b] dort, an den mich Esquia[c] empfohlen hatte, ein sehr aufgeklärter, unterrichteter, denkender und höchst liebenswürdiger Mensch. Im Schloß ging es indes auch so ziemlich. Freilich fehlte es an vielerlei. Aber die Betten waren doch gut, das Essen ohne Öl und der Salat sogar mit sehr gutem, und die Leute so willig und gutmütig, daß wir wenigstens Herren im Hause waren. Von Marquina aus war eigentlich unser Plan, wieder rückwärts nach Hernani, wo wir durchgekommen sind, zu gehen, um den König von Toskana dort durchreisen zu sehen. Man gab ihm dort ein Fest mit einem sehr sonderbaren alten Nationaltanz, dem Degentanz, und ich hätte sehr viel darum gegeben, dies Schauspiel zu genießen. Aber so mußten wir wegen Bokelmanns Krankheit liegen bleiben, und ich mochte ihn natürlich nicht mitten in Marquina, da er fast noch gar nicht Spanisch spricht, unter den Urgestalten der Öde die einzig redende Brust, allein lassen.

Auf dem Wege hierher kamen wir durch Bergara. Da versammelten sich meine alten Freunde um mich, und da ein Brief meines Bruders in den Anales de historia natural gestanden hat[d], so war der Baron de Humboldt so bei allen Seminaristen bekannt, daß Bokelmann versicherte, er habe unsern Namen nie so klar aussprechen hören. Hier hat mich der alte Prestuano[e], dessen Du Dich wohl noch erinnerst, mit der größten Herzlichkeit aufgenommen, mich gleich zu einer amiga geführt, wo sie mich mit Konfitüren und chiocolata traktiert haben, hat mir einen kleinen Garten gezeigt, den er jetzt bearbeitet, und mir gewiesen, daß er schon ein Bett für mich zurecht gestellt hatte. Er hat auch nach Dir und den Kindern sehr viel gefragt und ist wirklich ein sehr liebenswürdiger alter Mann. Ich werde noch heute und vielleicht noch morgen hier bleiben, dann ziehen wir weiter nach Bilbao zu.

Ich bin wohl, meine teure, gute Li, und wäre ganz glücklich, wenn ich mich weniger nach Dir und den Kindern zurücksehnte. Ich glaube nicht, daß ich mich wieder ohne Not entschließen werde. Euch alle zu verlassen. Hätte ich nur eins der Kleinen bei mir, so wäre es mir schon ein anschauliches Bild Deiner selbst. Verzeih, daß ich nicht mehr schreibe, meine teure, gute Li, aber ich habe viel zu tun und möchte gern, da ich einmal hier bin, die Zeit ganz benutzen.


H.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Humboldt 2010, S. 424: Munibe y Areizaga, Antonio María de, Conde de Peñaflorida.
    2. b |Editor| Humboldt 2010, S. 380 Anm. a: Josef Maria Murga; dort S. 424: Murga de la Barrera, Jose(ph) María de (1770–1834); Bürgermeister von Marquina/Markina und Generaldeputierter von Vizcaya/Biskaia 1800–1802.
    3. c |Editor| Humboldt 2010, S. 380 Anm. b: Vermutlich Joaquin Maria de Eguia, den Humboldt in Vitoria getroffen hatte.
    4. d |Editor| Anales de historia natural, Oktober 1800, Nr. 6, Band 2, S. 251–268. [FZ]
    5. e |Editor| Humboldt 2010, S. 380: Prestamero; dort S. 425: Prestamero y Sodupe, Diego Lorenzo de (1733–1817; bask. Gelehrter und Priester, wichtiger Informant Humboldt in Vitoria/Gasteiz).

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    Quellen

    Handschrift
    • H (alt): Berlin, A.v.Sydow (laut Hurch verschollen)
    Druck
    • Grundlage der Edition: Sydow 1906–1916, Bd. 2, S. 91–94. – Gárate 1933, 85–91 (span. Übersetzung); Humboldt 2010, S. 379–381 (B. Hurch)
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 660
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 07.05.1801. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/585

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