Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 13.05.1801
Ich habe sehr frohe Tage in Durango verlebt, ach! und wie oft an Dich und die Kleinen auf meinen einsamen Spaziergängen gedacht. Denn ob ich gleich sehr viel gearbeitet habe, habe ich es mir nicht nehmen lassen, täglich ein paar Stunden allein herumzustreifen. Das Land ist göttlich. Du solltest nur die kleinen Eichenwälder, die von Weinreben umrankten Häuser darin, die reizenden, von Bergen umschlossenen Wiesen sehen. Der Pfarrer[a], der mein Haupt Mann hier war, ist ein sehr guter, lieber Mensch. Gutmütig, aufgeklärt, lustig, ein Freund der Kinder, und dabei gar nicht ohne viel Kenntnisse. Er hat mich auf Händen getragen. Ich habe den ganzen Tag, die paar Stunden, wo ich spazieren ging, ausgenommen, bei ihm zugebracht, und bei ihm versammelten sich dann seine Freunde, freilich keine vornehmen Leute, ehrliche Bürger, der Schreiber, der Apotheker des Orts usw., aber alle gutmütig und sehr verständig. Alle voll Enthusiasmus für ihr Land und ihre Sprache, und mit viel Sinn, in diese auch wissenschaftlich einzugehn. Sie haben mir alles, was im Lande eigentümlich ist, gezeigt; wir sind in den einzelnen Landhäusern bis auf die Böden herumgekrochen, und nach den ersten zwei Tagen war ich als Don Guillermo so bekannt, daß mich unbekannte Leute so auf der Straße anredeten. Dann gibt es hier auch eine Doña Leona, eine Schönheit in meiner Art, ein Pendant der Doña Raphaela, nicht ganz so hübsch, aber eigentümlicher noch. Sie kleidet sich französisch in einer ganz simplen, weißen Chemise, aber den ersten Tag, als ich sie sah, hatte sie eine Perücke auf, nein, etwas Affröseres ist mir nicht vorgekommen. Die aber hab ich gleich abgeschafft, und seitdem geht sie nach der Landessitte, das bloße Haar auf der Mitte des Kopfes mit einem Band zusammengebunden und dann frei hinten im Nacken herunterhängend. Bokelmann hätte sie gewiß auch zu derb und ungestüm gefunden. Wahr ist’s, daß ihre Stimme und ihr Gang in der Stube die Organe ein wenig erschüttert. Aber im freien Felde hatte diese ungestüme Wildheit mit den fliegenden Haaren und einem sehr hübschen Wuchs etwas sehr Reizendes. Du mußt aber nicht denken, daß ich über der Doña Leona meine Zeit verloren habe. Ich habe hier einen göttlichen Fund getan. Mein Pfarrer ist der einzige Mensch, der eigentlich recht Baskisch weiß, er hat stupend und mit viel richtigem Sinn über die Sache gearbeitet. Er hat ein Werk im Manuskript, wozu es ihm an Gelegenheit fehlt, es drucken zu lassen. Daraus habe ich Auszüge gemacht[b], und noch künftig wird er mir einige Abschriften schicken.
Adieu, meine liebe, teure Li.Anmerkungen
- a |Editor| Humboldt 2010, S. 419: Astarloa y Aguirre, Pablo Pedro de (1752–1806; bask. Geistlicher und Sprachforscher; durch seine Schriften wie durch die persönliche Begegnung zentraler Bezugspunkt für Humboldts linguistische Arbeit).
- b |Editor| Humboldt 2010, S. 385: Veröffentlicht als Gárate (1935a) [= Gárate, Justo (1935): Extracto del Plan de Lenguas de Astarloa por Guillermo de Humboldt. In: Revista Internacional de Estudios Vascos 26, S. 94–121].
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