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Wilhelm von Humboldt an Johann Severin Vater, 26.03.1808

|1*r| Rom, den 26. März, 1808.

Es ist fast ein Monat, seitdem ich, verehrungswürdigster Herr Professor, Ihren gütigen Brief, vom 14. Januar, empfieng, und wenn ich nicht augenblicklich antwortete, so bitte ich Sie, dies weder einer Kälte des Antheils an Ihnen oder Ihrem Unternehmen, noch einer Nachlässigkeit zuzuschreiben. Aus dem heute an Sie abgehenden u. mit einem eignen Briefe einiger Zeilen begleiteten Kistchen werden Sie sehen, daß die meisten der Hülfsmittel zur Kenntniß der Amerikanischen Sprachen, die ich mir das Vergnügen mache, Ihnen zu übersenden, Handschriften sind. Da mir nun die Originale nicht selbst gehörten, mußte ich Abschriften machen lassen, u. obgleich die meisten dieser Abschriften längst für mich selbst angefertigt waren, so war durch die Entfernung des Abschreibers von hier, ein Theil zurückgeblieben. Diesen habe ich jetzt copiren lassen, u. dies ist die einzige Ursache des Verzuges gewesen.

Wie gern ich |Ihnen|[a] übrigens alles, was ich in diesem Fache besitze, zu jedem beliebigen Gebrauche überlasse, davon könnten Sie nur dann vollkommen überzeugt seyn, wenn Sie ganz wüßten, wie sehr ich mich freue, daß eine so wichtige u. interessante Arbeit gerade in Ihre Hände gekommen ist. Bekannt mit Ihren bisherigen Werken, habe ich eine aus eigner Untersuchung geschöpfte Ueberzeugung, daß niemand in jeder Rücksicht dazu so fähig u. einem solchem Unternehmen so gewachsen ist. Ohne hierüber weiter ein Wort hinzuzusetzen, eile ich, Ihnen etwas Nähres über die Hülfsmittel zu sagen, die Sie mit, oder unmittelbar nach diesem Briefe empfangen werden.

Sie müssen meinen Bruder misverstanden haben, wenn Sie meynen, daß von den von ihm mitgebrachten Büchern über Amerikanische Sprachen noch das Geringste in meinen Händen sey. Er hat alles u. sehr natürlich (da er diese Werke in mehr als Einer Rücksicht brauchen konnte, ich hingegen keine Absicht hatte, unmittelbar damals darüber zu arbeiten) mit sich von hier weggenommen. Was ich besitze u. was Sie jetzt (ohne Ausnahme, denn es bleibt kein Blatt in meinen Händen) empfangen, besaß ich schon, ehe er von America zurück kam, u. der Unterschied zwischen dem von ihm u. mir Gesammelten besteht darin, daß seine Hülfsmittel bei weitem besser, authentischer u. brauchbarer sind, als die meinigen, aber nur Neu Spanien u. Peru u. eine Sprache von Neu Grenada betreffen, da sich hingegen die meinigen über fast alle Theile Americas|1*v| verbreiten, nur freilich in sich weniger gut sind.

Damit Sie vollständig übersehen, was mein Bruder u. ich besitzen, lege ich Ih dem Kistchen ein Blatt bei, auf dem ich, den Gegenden Americas nach, alles, ohne Ausnahme, u. mit Bezeichnung ob das Buch von meinem Bruder mitgebracht ist, oder nicht, aufgezeichnet habe. Sie werden daraus sehen, daß außer den Werken, die sich über mehr als Eine Sprache zugleich verbreiten, zur Kenntniß von 21 verschiednen Sprachen Hülfsmittel in der ganzen Sammlung enthalten sind.

Von dem Ihnen jetzt Ueberschickten lege ich die Liste diesem Briefe bei. Eine zweite gleichlautende werden Sie in dem Kistchen finden, u. eine dritte behalte ich hier zurück.

Ueber die gedruckten Bücher brauche ich nichts hinzuzufügen.

Die Handschriften sind sämmtlich Arbeiten von Exjesuiten, die der hier lebende Exjesuit Abate Hervas hat gesammelt u. mir mitgetheilt hat, u. die ich habe theils vor Jahren, theils jetzt abschreiben lassen. Sie haben das Nachtheilige, daß sie theils nicht gut geordnet sind, u. daß theils auch zu fürchten steht, daß Irrthümer bei ihrer Anfertigung mit untergelaufen seyn mögen. Denn sie sind großentheils nicht an Ort u. Stelle, sondern nur nach mitgebrachten Noten, oder aus dem Gedächtniß gemacht. – Die Abschriften habe ich durch sorgfältige Leute, die |sie|[b] auch nachher wieder durchgesehen, anfertigen lassen. Aber sie alle selbst zu collationiren ist mir schlechterdings unmöglich gewesen. Um mich indeß jetzt noch einmal zu versichern, daß die Abschrift keine oder sehr wenige Fehler enthält, habe ich mir alle Originale noch einmal geben lassen, u. nun in einer Menge Stellen hie u. dort die Americanischen Namen verglichen. Das Gleiche habe ich durch Ein einen andern thun lassen, u. wir beide haben nur Eine einzige falsche Stelle gefunden. Im Italienischen oder Spanischen Text kamen eher kleine Unrichtigkeiten vor, weil der Abschreiber da natürlich mehrere Worte zusammen ins Gedächtniß gefaßt hat. Aber bei den fremdartigen Americanischen Tönen mußte er wohl Buchstaben für Buchstaben nachsehen. Sollten aber am Ende auch einzelne Fehler vorkommen, so wird das für Ihre Arbeit, die mehr auf das Grammatikalische, als das Lexikalische zu gehen scheint, minder wichtig seyn.

Wie Sie diese Hülfsmittel zu benutzen denken, hängt durchaus von Ihnen ab. Ich habe dem Abate Hervas gesagt, daß ich Ihnen diese Abschriften schicke, u. er ertheilt Ihnen alle mögliche u. ersinnliche Freiheit deshalb.

Dagegen wünschte ich aber sehr, daß Sie dieses wirklich außerordentlich gefälligen Mannes auf eine Weise gedächten, die ich ihm übersetzt zukommen lassen könnte. Ich vermuthe, Sie kennen seine Werke. Die, die Ihnen am |2*r| nützlichsten, seyn würden, sind:

1., Origine, formazione cet. degli Idiomi. Cesena. 1785.
2., Catalogo delle lingue conosciute. Cesena. 1784.
3., Saggio pratico delle lingue con prolegomeni, e una raccolta di orazioni dominicali in più di 300. lingue e dialetti cet. Cesena. 1787. ⎬ 4°
4., Aritmetica delle Nazioni. Cesena. 1786.
5., Vocabolario Poligloto sopra più di 150. Lingue. Cesena. 1787.

Gewissermaßen ist nun zwar allerdings vor diesen Schriften zu warnen. Denn wie Sie, wenn Sie dieselben (wie doch eigentlich wieder nothwendig ist) besitzen, selbst gefunden haben werden, so wimmeln sie von Nachlässigkeiten u. Unrichtigkeiten, u. es fehlt dem guten Mann ebensosehr an Methode, als gründlicher Gelehrsamkeit, da er wirklich keine alte Sprache mit Tiefe kennt, u. keine neuere correct u. rein spricht. Allein sein Eifer, seine Thätigkeit u. das Verdienst, eine Menge von Notizen gesammelt zu haben, bleibt immer in hohem Grade lobenswür|dig, u.|[c] von dieser Seite nun wünsche ich, daß Sie ihm einige Zeilen in Ihrem Werke widmen. Bemerken muß ich noch, daß der Abate Hervas aus dem Werk nr. 2 ein großes in Spanischer Sprache gemacht hat, von dem indeß erst drei Theile erschienen sind. Diese drei Theile habe ich meinem Bruder mitgegeben, u. vermuthe daher, daß Sie |sic| jetzt in Ihren Händen sind.

Den Mithridates kenne ich bloß aus der, wie es mir scheint, äußerst oberflächlichen und wenig befriedigenden Recension der Jenaischen Literaturzeitung . Ich bin aber sehr begierig, ihn selbst zu sehn. Nur ist jetzt der Umstand der, daß ich seit mehreren Monaten schon eine Reise nach Deutschland zu unternehmen im Sinn habe, was ich bis zum Herbst auch höchst wahrscheinlich ausführe. Darum muß ich Sie bitten den zweiten Theil des Mithridates, den Sie mir mit gütiger Gewogenheit anbieten, so lange bei Sich zu behalten. Ich komme alsdann natürlich selbst nach Halle, u. freue mich vorzüglich, dann Sie u. den braven Tiedge zu sehen u. einige Tage zu genießen.

Alles, was Sie mir über meine versprochene Arbeit über die Vasken sagen, hat mich innigst gefreut u. ist mir überaus schmeichelhaft gewesen. Aber leider muß ich Ihnen nun gestehen, daß diese ganze Arbeit seit Jahren liegt, u. ich nur sehr wenig Hofnung noch für sie hege.

|2*v| Die nächste Ursach davon ist mein Aufenthalt in Italien. Wenn Sie meine Geschäfte, meine Familie (in der ich, bei dem Mangel zweckmäßiger Lehrer hier, sogar selbst noch nebenher einigen Unterricht geben muß) meinen Briefwechsel, Gesellschaft u. einige kleine Reisen nehmen, so bleibt mir überaus wenig Zeit übrig, u. diese wenige irgendetwas Anderem, als einem in genaue Verbindung mit Italien gesetzten Studium der Alten zu widmen, kann ich mich, vorzüglich bei der Ungewißheit, ob ich, wie ich allerdings wünsche, mein Leben hier werde beschließen können, nicht entschließen.

Eine andre wichtigere Ursach ist aber noch folgende. Die Vaskische Sprache müßte, meiner Meynung nach auf eine von folgenden beiden Arten bearbeitet werden.

Man müßte entweder einen sich bloß beschränken, sie selbst darzustellen, dann aber eine vollständige Grammatik u. ein vollständiges Wörterbuch geben, oder man müßte nun über sie, ihre Verwandtschaft mit andern Sprachen u. ihren Ursprung schreiben, oder endlich beides verbinden.

Aber zum Ersteren fehlt es wirklich, so man wenn man nicht unter der Nation selbst lebt, noch an Hülfsmitteln. Sogar wollte der Astarloa (dem ich eigentlich meine Kenntnisse danke, u. dessen Apologia de la lengua Bascongada. Madrid. 1803. 8. Ihnen vermuthlich bekannt ist) ein Wörterbuch schreiben, das man fast nothwendig abwa|rten m|[d]üßte.

Die zweite Bearbeitung führt in unendliche Untersuchungen, u. geht, mit Genauigkeit gemacht, durch das ganze Sprachstudium; erfordert daher weit mehr Kenntnisse, als ich jetzt besitze, u. viel mehr Hülfsmittel, als über die ich hier gebieten kann.

Bloß aber eine ziemlich leere Reisebeschreibung, mit einer ohngefähren Idee der Sprache zu geben, dies war mir, u. ist mir noch eine unangenehme Art vor dem Publicum aufzutreten.

Hielten Sie es indeß für zweckmäßig, daß ich zu dem, was Sie vermuthlich über die Vaskische Sprache gesagt haben, insofern es mir nöthig schiene, Anmerkungen machte, oder einen Nachtrag zum 2. oder 3. Theil aufsetzte, so gebieten Sie ganz über mich. Ich werde dann dieser Arbeit gern 6–8 Wochen widmen. Wir können uns hierüber mündlich besprechen, oder Sie könnten auch die Güte haben, mir (da meine Reise doch ungewiß ist) die Bogen über die Vaskische Sprache mir wohlbeschnitten zuzuschicken. Nur müßten Sie die Güte haben, mir recht genau zu sagen, was ich machen, u. in wieviel Zeit ich es Ihnen liefern soll?

Ich bemerke jetzt nur noch, daß wir nie weder von Ihnen noch von Herrn Tiedge, dem ich Sie uns sehr zu empfehlen bitte, eine einzige Zeile über Ihren Wunsch die gegenwärtigen Bücher betreffend erhielten, und ersuche Sie herzlich, mir ferner Ihre freundschaftliche Gewogenheit zu schenken u. auf |sic| meine herzlichste Verehrung u. Freundschaft unverbrüchlich zu nehmen.
Humboldt.
abgeg. am 30. März, 1808.


|Anhang|

|1*r: kopfstehender Nachtrag, oben auf der Seite notiert|

Das Kistchen geht durch die Post nach Nürnberg an die H. Zamponi e Comp: die es weiter besorgen, u. bei der Sie, wenn es länger ausbliebe, nachfragen könnten. Ueber die Länge der Zeit, wo Sie diese Schriften behalten werden, sage ich nichts. Es versteht sich, daß Sie den vollsten Gebrauch davon machen. Hernach verstehen wir uns über die Art der Zurücksendung.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Ergänzt. Überdeckt durch Fleck.
    2. b |Editor| Ergänzt. Überdeckt durch Fleck.
    3. c |Editor| Ergänzt. Überdeckt durch Fleck.
    4. d |Editor| Ergänzt. Überdeckt durch Fleck.

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
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    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Marbach, Deutsches Literaturarchiv, I 570
    Druck
    • GS III, S. 374, 376 (Reg.)
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 1847

    In diesem Brief

    Werke
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Johann Severin Vater, 26.03.1808. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/602

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