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Wilhelm von Humboldt an Johann Gottfried Schweighäuser, 08.06.1805

Rom, den 8. Junius, 1805.

Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht, mein lieber Freund, Ihren Brief vom 12. Januar so spät zu beantworten. Sie dürfen darum doch gewiß nicht zweifeln, daß der freundschaftliche, vertrauenvolle Ton, in dem Sie darin mit mir sprechen, mir eine innige und herzliche Freude gemacht hat. Mit Bedauern habe ich aus Ihrer Schilderung, die ich indeß gewiß für übertrieben halte, gesehen, daß Sie einige Monate traurig zugebracht u. für die Zukunft verloren haben. Lassen Sie Sich indeß das nicht niederschlagen. Man kommt nie vorwärts, wenn man über der Vergangenheit brütet. Arbeiten Sie jetzt u. bestimmen Sie nun Ihr Schicksal auf eine feste u. Ihnen angemessene Weise. Sie besitzen eine Menge äußerst schätzbarer Kenntnisse u. was mehr als das ist, ein Talent, mit Leichtigkeit jede Laufbahn mit Glück zu verfolgen, das wenig Menschen eigen ist. Schreiben Sie mir recht bald, u. sagen Sie mir, wie es geht, u. was Sie jetzt für Plane haben. Wählen Sie behutsam eine neue Lage, u. harren Sie darin aus. Wenn ich Ihnen, mein Bester, einen Fehler gekannt habe, so war es der der Unbeständigkeit.

Ich sehe, Sie beschäftigen Sich hauptsächlich mit Philosophie. Ich würde Ihnen aber weit[a] mehr Sprachstudium anrathen. Sie haben schon jetzt darin glücklichere Fortschritte gemacht, u. die Beschäftigung damit greift auch mehr ins praktische Leben ein, u. ist daher unmittelbarer zu brauchen.

Ich begreife es sehr wohl, wie Beschäftigungen mit Ideen von Urwelt u. ursprünglichen Nationen Sie sehr leicht weit vom wahren Ziel sichren Forschens können geführt haben. Es liegt ein erstaunlicher Reiz in der Größe u. selbst in dem Dunkel der Periode, in der Naturkunde u. Geschichte gleichsam zusammenstoßen, wo die noch unsichre Erde sich zugleich mit den Menschen bildet, wo man die Keime zu allem sieht, u. nichts bestimmte, die Phantasie einengende Gränzen hat. Aber es ist leider mit diesem Stoff nichts anzufangen. Wir sind u. bleiben einmal novi homines. Auch die ältesten Sprachen reichen gewiß nicht sehr weit hinauf u. wenn, wie billig, Geschichte aufhört, wo die deutlichen die Begebenheiten verknüpfenden Fäden abreißen, so muß man bald stehen bleiben. Dies flößt mir ordentlich einen Widerwillen gegen alle Systeme über Völkerzüge u. Sprachentstehung ein, wo man nicht mehr ganz unbestrittene Spuren hat. Es ist ein ödes Feld, auf dem tausend streifen können, ohne sich einmal zu begegnen.

Ich habe im vergangnen Herbst meinen Agamemnon vollendet, von dem Sie ja wohl den Anfang kennen. Allein auch dieser Anfang ist durchaus neu geworden. Ich habe unendlich strengere Regeln des Versbaus befolgt, u. daher fast Vers für Vers umändern müssen. Ganz, glaube ich, ist mir die Arbeit nicht mislungen, allein es ist ein schreckliches Unternehmen mit diesem Originale zu ringen, u. Stolberg, der Katholisch gewordene, hat schon sehr gut von den bisherigen Uebersetzern des Agamemnon gesagt, sie hätten die Kassandra noch einmal geschwächt. Gebe der Himmel, daß ich nicht ein dritter solcher Ajax Oileus sey! Ich lege jetzt noch die letzte Hand an meine Uebersetzung u. dann lasse ich sie drucken, u. werde Ihnen, mein Bester, gleich ein Exemplar zuschicken. Ich kann nicht läugnen, daß mir diese Arbeit einen großen Genuß gewährt hat. Allein eine zweite gleicher Art würde ich doch nie unternehmen. Es ist zu mühselig u. Zeit kostend, u. leider habe ich jetzt der Zeit nicht viel, da meine Berufsgeschäfte mir eine sehr große wegnehmen.

Meine Frau ist seit dem Ende Januars hier, u. recht wohl. Sie u. Kohlrausch danken sehr für Ihr Andenken, u. werden Sich freuen recht gute Nachrichten von Ihnen zu hören.

Nun noch Eine Bitte des Cavaliere Landolini |sic|, der Aufseher der Alterthümer in einem Theil Siciliens ist, u. wie Sie wissen in Nachgrabungen, die er am Syracuser Theater machen läßt, einen Aesculap u. eine Venus[b] gefunden hat, derselbe der durch seine Arbeit über den Papyrus der Alten bekannt ist, dieser nun schreibt eine Abhandlung über die Königinnen von Syracus, weil er Inschriften gefunden hat, die ihrer erwähnen. Deshalb nun wünschte er Ihres Herrn Vaters, dem ich Sie mich zu empfehlen bitte, Meynung über die Interpretation einer Stelle im Athenaeus. Es ist l. XIII. p. 577. A. wo Hieronymos die Peitho επ’ οικηματος προιστηκυιων[c] nennet. Man hat dies gewöhnlich von Freudenmädchen erklärt. Landolini wünscht zu wissen, ob andre Codices vielleicht die Lesart verbessern, u. was Ihr Herr Vater über den Sinn der gewöhnlichen denkt. Sie werden mich sehr verbinden, wenn Sie mir bald hierüber einige Worte sagen.

Leben Sie wohl, u. erhalten Sie mir Ihre gütige Freundschaft. Mit der aufrichtigsten u. herzlichsten selbst Ihr
H.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Leitzmann gibt „viel“.
    2. b |Editor| Die sog. Venus Landolina, heute im Museo Archeologico Regionale Paolo Orsi in Syrakus ausgestellt.
    3. c |Editor| Links am Rand ein Ausrufungszeichen, das sich auf das unterstrichene Iota bezieht? Korrekt heißt die Stelle in der Ausgabe von Jahannes Schweighäuser: ἐπ’ οἰκήματος προεστηκυιῶν. [FZ]
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Johann Gottfried Schweighäuser, 08.06.1805. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/643

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