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Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 06.05.1819

Frankfurt, den 6. Mai, 1819.

Ich wollte, da ich neulich durch den Professor Ritter erfuhr, daß Sie von Göttingen geradezu nach Bonn gegangen wären, und daß ich die Hofnung aufgeben müßte, die ich mir gemacht hatte, Sie auf der Durchreise hier zu sehen, liebster Freund, Ihnen eben schreiben, als ich Ihren Brief vom 2. empfieng, der mir ausnehmende Freude gemacht hat. Ich hatte zwar gehoft, daß Ihnen Bonn mit seinen Umgebungen u. dem dort gut und lebhaft beginnenden Streben gefallen sollte, allein es war mir doch doppelt lieb, es von Ihnen selbst nun zu erfahren. Ich bin überzeugt, daß Sie in dieser eignen Stimmung der Universität noch ungleich mehr wohlthätig seyn werden, als ich schon immer darauf rechnete, und ich bin es auch, daß Ihnen selbst Ihre Versetzung mit der Zeit noch immer mehr gefallen wird. Denn es ist unläugbar, daß in unsrer Regierung ein wahres u. ernsthaftes Streben zur Beförderung von Wissenschaft u. Kunst liegt, u. mit einem höheren u. aufrichtigen Anerkennen davon verbunden ist, als man es wohl sonst findet, und dies ist einmal zu sehr in ihre Maxime verwebt, den Menschen, die schon da sind, u. hinzukommen, eingepflanzt, um nicht auch fortdauernd so zu bleiben. Bonn hat nun außerdem einen wahren Vorzug durch Gr. Solms[a] Curatel, u. alle diese zusammenkommenden Umstände, verbunden mit der, in vieler Rücksicht einladenden Lage werden unfehlbar machen, daß Bonn auch wird von andern Orten Deutschlands her häufig besucht werden, wenn nicht die neuesten unglücklichen Vorfälle wieder eine Isolirung in Absicht des Studirens hervorbringen, was ich doch, wenigstens auf die Dauer, unmöglich halte. Ihren Brief an meinen Bruder werde ich gleich jetzt unmittelbar besorgen, und ihm die Sache, an der er aber auch an sich den größesten Theil nehmen wird, besonders empfehlen. Ob er indeß glauben wird, eigentliche Schritte thun zu können, ob diese wirksam seyn würden? weiß ich nicht zu beurtheilen. Ich selbst werde, sobald ich nach Berlin komme (von hier kann ich nichts thun) gern mitwirken. Der Hauptumstand wird immer der seyn, ob aus den schon für die Universität bestimmten Fonds die Anschaffung möglich ist, nemlich den Fonds über die der Minister im Ganzen ver-fügen kann. Sonst dürften neue Zuschüsse jetzt vielleicht schon zu erlangen seyn. Unter allen wissenschaftlichen Hülfsanstalten sollte man aber, wie mich dünkt, am meisten auf die Bibliothek verwenden. Göttingen verdankt dem Alles, u. hatte erst viel später bessere Clinica, einen ausgedehnteren botanischen Garten, u. ein gutes Observatorium. Dies ist die natürliche, dem Gange der Bildung gemäße Folge. Es ist aber allerdings eine bedenkliche Wahl, der man bei Leitung wissenschaftlicher Institute immer bloßgestellt ist, entweder die vorhandenen Mittel über Alles zugleich zu zerstreuen, oder Einzelnes für den Augenblick liegen zu lassen. Beides zu weit getrieben ist verderblich, doch neige ich mich immer mehr zum Letzten hin. – Mein Aufenthalt ist hier noch von unbestimmter Dauer, doch kann ich vielleicht schon in diesem Monat mein Geschäft beendigen, u. werde es im folgenden gewiß. Was Sie mir von meiner Frau schrei ben, die zunehmende Heiterkeit bei abnehmender Gesundheit, ist ihrem ganzen Gemüth u. Charakter sehr eigenthümlich, u. es ist, wie Sie hinzusetzen, sehr rührend. Nach ihren letzten Briefen befand sie sich doch etwas besser. Sie wollte Rom den 1. Mai verlassen, u. kommt hieher, um Wiesbaden, oder Ems zu gebrauchen. Vor der Mitte des Junius kann sie nicht leicht hier seyn , sie bleibt alsdann bis zum Ausgang Julius. Sollten Sie nicht sie in dieser Zeit besuchen können? Es würde ihr sehr viel Freude machen, u. auch sie würde Ihnen von Rom manches Interessante sagen können. Ich danke Ihnen, daß Sie mir von der Grammatik von Jacob Grimm gesprochen haben. Ich kannte sie nicht, werde sie aber nunmehr gleich aufsuchen. Mit Ihren Büchern ist es mir recht schlimm gegangen. Ich hatte angefangen sie mit lebhaftem Interesse zu lesen, in den ersten Monaten meines Hierseyns kam aber ein Augenblick, wo ich gewiß glaubte, nach Berlin unmittelbar gehen zu können. Ich schickte alle Bücher, die ich bei mir hatte, voraus, u. kam so auch für meinen hiesigen Aufenthalt um die Ihrigen. Auf Schlegels specimen freue ich mich recht sehr, allein eine solche großentheils sammlende Arbeit ist doch nicht für ihn gemacht. Er könnte noch jetzt, dünkt mich, etwas leisten, worin ein andrer ihn weniger leicht vertreten könnte. Vor der Erklärung des Homer durch das Indische habe ich mehr eine Angst. Was man auch sagen mag, außer dem kleinen hellenischen Kreis ist doch Alles barbarisch. Mag auch alles Griechische nur im Orient seine Wurzel finden, allein in Griechenland immer ist die menschliche Form hervorgegangen, wie wir sie da zugleich in Kraft u. in nirgends überschwankender Haltung antreffen, so wie gewiß auch der Mensch selbst seine Wurzel in der ganzen Natur hat, u. ursprünglich Eins ist mit Bäumen, Gestein u. Thieren, aber doch nur in dem menschlichen Antlitz allein die gottähnliche Gestalt gewonnen hat. Es mögen tiefe Weisheit, große Systeme im Staube des Orients begraben liegen, aber es ist immer nur Materie, die schöne Form, die Grazie u. der Geschmack wurden doch nur in Griechenland gebohren, u. werden seitdem nur kümmerlich u. mühselig in schwachen Nachklängen erhalten. Mir ist daher eine Vermischung Homers mit Indischem schon eine Art des Greuels. Doch will ich meine Ansicht nicht als eine allgemeine vertheidigen. Die kleine Schrift Creuzers u. Hermanns hat mir sehr viel Freude gemacht. Es wird darin recht offenbar, wie der geistvolle u. die Philosopheme, die in Mythologie übergegangen sind, zu fassen Fähige bloß der erstere ist, aber auch, daß es diesem doch noch sehr daran fehlt, um in sich selbst in die Klarheit getreten zu seyn, die auch dieser Gegenstand noch verstattet. Ueber jenen radicalen Unterschied des Griechischen aber von allem andern, auch altdeutschen, u. wie man es nennen mag, wünschte ich, daß einmal jemand recht ordentlich, u. zur wahren Sicherstellung des einen unumstößlichen Satzes, daß alles Nicht-Griechische mit vollem Recht barbarisch heißt, schriebe. Ritters Bekanntschaft hat mich sehr interessirt, u. vor Allem der zweite Theil seines Buchs[b]. Er unterstützt die Creuzerschen Untersuchungen geographisch, u. macht vielleicht dadurch, daß sie im eigentlichsten Verstande einen festen Boden gewinnen.

Leben Sie wohl! Mit herzlicher Hochachtung u. Freundschaft
der Ihrige,
Humboldt.


An H. Professor Welcker, Wohlgeb. in Bonn.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Graf Friedrich Ludwig Christian zu Solms-Laubach (1769–1822), seit 1816 Oberpräsident der Provinz Jülich-Cleve-Berg und Regierungspräsident in Köln.
    2. b |Editor| Gemeint ist damit wohl der zweite Teil von Ritters Die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, der sich der Geographie Asiens widmet. [FZ]

    Über diesen Brief

    Schreibort
    Antwort auf
    • 02.05.1819
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Bonn, ULB, S 689, Nr. 26
    Druck
    • Haym 1859, S. 40–43
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 6850
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 06.05.1819. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/649

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