1. Startseite
  2. Briefe
  3. Nr. 751

Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 15.12.1822

|1*| Berlin, 15. December, 1822.

Ich habe, theurer Freund, vor mehreren Wochen, gleich nach meiner ersten Zurückkunft vom Lande, wo ich seitdem zum zweiten male war, Ihr freundschaftliches Schreiben vom 30. Iul. u. in diesen letzten Tagen das vom 12. v. M. mit H. Dr. Schwencks interessanten „Andeutungen” erhalten. Ich habe mich seitdem mit dieser Schrift beschäftigt, und bitte Sie, dem Verfasser für das belehrende Vergnügen, das er mir verschaft hat, recht sehr zu danken, u. den gleichen Dank selbst für Ihre gehaltreiche Zugabe[a] anzunehmen.

Der Gegenstand, den Sie beide darin behandelt haben, gehört zu denen, wie ich offenherzig gestehe, über die ich noch am wenigsten mit mir selbst im Klaren bin, u. über den ich doch vorzugsweise gern im Klaren seyn möchte. Ich werde daher von ihm wechselsweise *** angezogen u. abgestoßen, gehe immer wieder an neue Lectüre, u. neues Nachdenken, u. verzweifle wieder, je drüber meine Ideen wirklich festzustellen.

Sie müssen mir daher nicht zürnen, wenn ich Ihnen nur sehr wenig, u. nur sehr Unbefriedigendes darüber sagen kann, Sie müssen noch nachsichtsvoller meine Fragen, meine Zweifel – denn nur diese sind es, nicht Einwendungen – aufnehmen, ich müßte ganz schweigen, wenn ich mich nicht auf diese Art äußern dürfte.

Daß ich die große Wichtigkeit dieser Untersuchungen anerkenne, bedarf keiner Versicherung. Sie behandeln die Geschichte des menschlichen Gefühls auf seinem höchsten menschlichen Standpunkte, sie versprechen, wenn nicht Licht, doch Ahndungen zu geben über Epochen des Menschengeschlechts, in deren Dunkel sonst keine Fackel leitet, u. sie hängen außerdem mit den meisten andern philologischen Untersuchungen zusammen.

|2*| Ich gehöre auch nicht zu denen, die gleichsam darüber zürnen, daß die leichte, anmuthige, vermenschlichte Griechische Götterlehre mit manchem dunkeln Symbol, manchem widrigen gottesdienstlichen Gebrauch, mancher unkünstlerischen Misgestalt vermischt wird, u. dadurch an Lieblichkeit u. Reiz verliert. Allerdings liegt zwar in diesem Vorwurfe einige Wahrheit, u. man muß das Bedeutsame, um ihn zu entfernen, auf die richtige Weise nehmen. Auf der andern Seite aber kenne ich auch nichts Traurigeres u. Erbärmlicheres, als die griechische Götter- u. Heroenlehre von allem Symbolischen entkleidet zu sehen. Die Gestalten gleichen dann entweder auf sehr trockne Weise bloß historischen Figuren, oder auf gehaltlos tändelnde willkührlichen Geburten der Phantasie. Die geringe Wirkung, welche mythologische Gegenstände in neueren Gedichten und Gemälden hervorbringen, kommt wohl eben daher, dass ihnen alles Symbolische bei uns mangelt. Zwischen beiden Abwegen liegt, dünkt mich, der richtige mitten inne, nemlich den mythologischen Begriff mit Allem, was in ihm symbolisch ist, so gehaltvoll, als möglich, aufzunehmen, allein da, wo der Begriff, als Bild, erscheint, wieder rein bei dem Bilde zu bleiben, u. das Symbolische nicht an sich, sondern nur dergestalt mitwirken zu lassen, daß das Bild dadurch eine reichere Bedeutung u. eine höhere Würdigkeit erhält.

Von dieser Seite also folge ich jeder Untersuchung, die darauf hinausgeht, in der scheinbar bloß dichterischen Erzählung, einen tieferen u. versteckten Sinn zu finden, mit lebhaftem Interesse.

Dagegen finde ich, so oft ich Creuzern lese[b], u. ich läugne nicht, daß mir das Gleiche zum Theil auch bei Ihrer jetzigen u. Herrn Schwencks Arbeit geschehen ist, einen doppelten Anstoß. Wenn von einem mythologischen Begriffe die Rede ist, so wird so von einer Ausbildung der Idee in die andre übergegangen, Erzählung u. Erklärung so verbunden u. unter mischt, daß ich mich oft vergebens quäle, einen recht bestimmten, u. noch mehr ei-|3*|nen einfachen leicht festzuhaltenden Sinn darin zu finden. Ferner sind die Beweise aus Stellen u. Schriftstellern aller Art zusammengetragen, von den ältesten Dichtern bis auf die letzten Scholiasten, oft aus einzelnen Beiwörtern hergenommen, u. wie es mir scheint, nicht immer für den Zweifler hinlänglich geschieden, was wirklich da steht, u. was in dem Dastehenden gefunden wird. Das Erste macht, daß ich nicht immer genau weiß, was gemeynt, das zweite, daß <das> mir nicht deutlich wird, ob das Gemeynte wirklich bewiesen ist.

Zu meiner individuellen Befriedigung würde ich daher einen viel ruhigeren Gang, ein einfacheres Auseinanderlegen des Einzelnen, ein genaueres u. mehr die Ueberzeugung herbeinöthigendes Bestimmen der wahren geschichtlichen Thatsache wünschen. ***** Ich verhehle mir keinesweges, daß in diesem Felde Vieles nur vermuthet, geahndet, errathen werden kann. Ich weise auch keins von Allem diesem zurück. Ich bin überzeugt in mir, daß vorzüglich Sie, diese verschiednen Stufen der Gewißheit auch wieder genau unterordnen, ich wünschte nur, daß es auf eine noch viel deutlichere Weise für den Leser geschähe. Denn ich muß es wiederholen, mir schwimmt nach dem Lesen eines größren Stücks in diesen Arbeiten Alles zu sehr u. zu ungeschieden herum, u. es würde mir nicht gelingen, wenn ich das Buch aus der Hand lege, das von mir gefaßte Resultat mit andren, aber deutlichen u. bestimmten Worten aufzuzeichnen.

Ich sehe dies nicht, als eine Einwendung, auch nur gegen die von Creuzer beobachtete Methode an. Ich habe in diesen Dingen weder Belesenheit, noch Uebung genug, um mir anzumaßen, meine Meynung geltend zu machen. Ich muß auch hinzufügen, daß, was Sie über Here sagen, eine viel größre Einfachheit u. Bestimmtheit hat, als der gleiche Artikel bei Creuzer. Allein da ich es mit jeder Untersuchung ehrlich meyne, zu dieser große Liebe habe, u. es mir nun doch so geht, so schien es mir nicht unnütz Ihnen meine Erfahrung zu sagen. Es kann andre geben, denen es ebenso ergeht, und dies brächte Sie vielleicht bei der Ausführung Ihrer Religionsgeschichte der Griechen[c] auf eine Behandlung, die auch von dieser Seite |4*| nichts zu wünschen übrigließe. Großentheils liegt freilich die Schwierigkeit in dem Stoff. Die Fabeln reihen sich ebenso unendlich an einander, als beim Etymologisiren die Worte. Man muß aber da, dünkt mich, entschieden abschneiden, herausheben, wofür schlagende Gründe vorhanden sind, u. nun das Uebrige, wenn es sich auch noch so ähnlich aussehend anschmiegt, unerbittlich zurückweisen. Freilich ist in den Theologischen Ideen noch eine andre Schwierigkeit mehr. Sie gehen wirklich in einander über, sie haben nicht immer, ja selten bestimmte Umrisse, u. es ist, wie Creuzer vortreflich auseinandersetzt, gerade das Schwanken die charakteristische Eigenthümlichkeit des Symbols. Man könnte also gerade durch die von mir geforderte Bestimmtheit u. Vereinzelung der Wahrheit Eintrag thun. Es giebt indeß doch immer einen Weg auszuweichen, indem man dieß vermeidet. Denn das Symbol hat immer Einen festen Punkt, in dem Begriff u. **** <Bild> einander gleichsam decken, u. die in ihren Umrissen unbestimmtesten u. schwankendsten Bilder zeigen doch, wie die Kometen, einen Kern, von dem aus ihre, nur in den Endpunkten vielleicht nicht bestimmbare Richtung sich verfolgen läßt.

Sie, liebster Freund, laufen überdies, wie es mir scheint, weniger Gefahr an eine Klippe zu stoßen, als Creuzer. Er behandelt, obgleich Sie beide zum Theil denselben Gegenstand gewählt haben, den seinigen im Grunde fast objectiv, die Mythologie statt des mythologischen Glaubens, und hat einen viel umfassenderen, die ganze Symbolik, zu seiner Aufgabe gemacht. Sie heben nur die religiösen Symbole heraus, u. kündigen gleich in einer Religionsgeschichte die Schilderung subjectiver Meynungen an.

Dies scheint mir von der äußersten Wichtigkeit. Alle Gegenstände göttlicher Verehrung können zwar auch objectiv behandelt werden, allein da sie zu diesen Objecten nur innerhalb subjectiver Meynungen werden, so machen diese dennoch die Hauptsache aus. Es läßt sich nicht eigentlich schildern, was Zeus u. Here für Wesen waren, sondern als welche Wesen man sie |5*| in dieser, oder jener Zeit, u. an diesem oder jenem Orte ansah. Diesen Gesichtspunkt verabsäumt nun zwar Creuzer nicht, den localen hebt er vorzugsweise heraus. Allein mich soll doch wundern, ob Sie nicht, nach Ihrem Plan einer Religionsgeschichte nöthig finden werden, eine ganz andre Ordnung zu befolgen.

Vermuthlich werden Sie Ihre Hauptabtheilungen nicht nach den Göttern, den mythologischen Begriffen, sondern nach den Perioden machen. Allein dies erstreckt sich noch weiter, denn wie ich es jetzt ausdrückte, thut es gewissermaßen auch Creuzer. Sie werden also, glaube ich, auch überhaupt wenigstens ebensoviel von den Meynungen der Gläubigen, als dem Wesen der Geglaubten reden. Beides muß wenigstens, dünkt mich, immer gleichen Schritt mit einander gehen. Sie werden dies um so mehr thun wollen, als Sie doch gewiß Religion von Theologie, Volksgefühl u. Glauben von Priester Meynung u. Wissenschaft scheiden. Sowie man aber diesen Weg wählt, theilt sich Alles mehr ab, u. die Gefahr der zu unbestimmten Vermengung ist bei weitem geringer.

Creuzer hat hierüber ein eignes, wie es mir scheint, ungemein lesenswerthes Kapitel. I. 196. Allein ich wünschte diesem an sich mehr Ausführlichkeit, u. dem ganzen Werke mehr auf diese Punkte gewonnene Rücksicht.

Auch in diesem Kapitel selbst ist mir manches dunkel u. unerwiesen. Die Spiellust in dichterischen Mythen wird einer sinnvolleren Ansicht der Religion bei den AltJonischen Philosophen entgegengesetzt, u. diese letztere soll übereinkommen mit den vorhellenischen Priesterinstituten in Thracien u. im Auslande. Also alte Priesterreligion, wo noch die Natureinheit vorwaltete, u. Zersplitterung durch fabelnde Dichter stehen einander gegenüber. Dieser Gegensatz ist gewiß wahr, u. richtig aufgefaßt. Griechenland hatte das Priesterjoch in einer Periode, die wir nicht kennen, abgeschüttelt, oder wie ich glaube, nie getragen. Allein sollten jene Priesterinstitute wirklich so sinnvolle u. philosophische Ideen gehabt haben? Beruhte nicht vielmehr auch bei ihnen Alles auf Fabel u. Legende einer- u. Vorschriften |6*| und Gebräuchen andrerseits? In der Aegyptischen u. Indischen Mythologie, <Mythologie> ist doch, ungeachtet der Priesterinstitute, auch Anthropomorphismus u. rohes Mythenwesen, nur weniger dichterisch, künstlerisch u. lieblich. Ich kann mich überhaupt nicht davon überzeugen, daß gerade die rohe Idee Eines Gottes die ursprüngliche Idee der Menschheit gewesen, u. nur nachher verdunkelt u. verloren gegangen sey. Man hat dies auch von den Sprachen behaupten wollen, jedoch meiner Ueberzeugung nach, auch vergeblich. Da jedoch die wahre Religion ursprünglich allerdings in der menschlichen Natur selbst liegt, wenn auch ihre Idee nicht immer an den Tag kommt, so kann, u. wie Herr Schwenck in seiner sehr guten Einleitung sagt, auch ohne Mittheilung, bei allen Völkern u. zu allen Zeiten ein Schimmer der ewigen Wahrheit seyn, u. muß es sogar.

Diese Frage aber, inwiefern wirklich in frührer Zeit die Religionsbegriffe nicht bloß eine mehr düstre, sondern wahrhaft großartige ernstere Gestalt gehabt haben, ist überaus wichtig, weil sie im Grunde die Frage ist, ob, vor der Offenbarung, irgend eine Volksreligion diesen Charakter an sich getragen hat, oder dies nicht vielmehr immer nur ein Eigenthum einer geringen Zahl von Philosophen gewesen ist? War aber dies, u. waren jene Priesterinstitute selbst schon philosophirende, so war der Unterschied zwischen der frühren Zeit u. der Hellenischen so radical nicht. Er bestand dann nur darin, daß an die Stelle des befehlenden Priesters, der einer Kaste angehörte, eine Schule von Denkern trat, u. selbst das Volk befand sich besser dabei. Denn auch die Priester ließen sie die erkannte Wahrheit nur durch ein trübes Medium sehen, u. da war die Darstellungsart der Dichter, wie Homer, heitrer, belehrender, u. schöner einwirkend auf Gefühl u. Sitte. Ich gestehe also, daß der von Creuzer behauptete Gegensatz zwischen würdigem Ernst u. lockerem Spiel mir wieder großentheils in Nichts zusammen zu sinken scheint.

Es scheint mir überhaupt eine Tendenz, welcher man nicht strenge genug ihre Beweise abfodern kann, eine vorhistorische Periode anzunehmen, |7*| in welcher ein über den ältesten, uns bekannten historischen sich so sehr erhebender Zustand des Menschengeschlechts sollte Statt gefunden haben. So, gestehe ich Ihnen, daß es mich schon immer in eine zweifelvolle Stimmung versetzt, wenn ich von den Pelasgern, wie von einem gewissermaßen bekannten Volke reden höre.[d] Ich gestehe frei, daß mir über die Pelasger noch Alles unentschieden u. unbewiesen scheint. Nicht einmal die Frage, ob sie das Urvolk der Hellenen, oder nur ihre, sie weiter nicht angehenden Vorgänger in denselben Wohnsitzen waren? kommt mir bis jetzt ausgemacht vor.

Wenn ich also in Schelling finde: das Griechische Urvolk, die Pelasger, haben die Grundbegriffe der Religion in natürlicher Unschuld u. Frische erhalten; so habe ich gar keinen Begriff, wie ich mir das, als eine historische Thatsache, construiren soll. Noch mehr gerathe ich in Verwirrung, wenn ich eine solche Aussage mit andren, wirklichen Thatsachen vergleiche. Eine solche ist es, daß die Griechische (also Hellenische) Sprache in irgend einem Verhältniß, u. auf irgend eine Weise (denn ich will beides unbestimmt lassen) mit <aus> dem Indischen abstammt. Sind nun diese Pelasger insofern Urvölker der Griechen, daß sie zwischen Hellenen u. Indiern in die Mitte treten? Dann müßten sie aber auch wohl Indische Religion, wenigstens zum Theil, gehabt haben, u. diese macht (wie ich Schelling beistimme) nicht das aus, was **** Schelling Grundbegriffe der Religion nennt. Oder traten die Pelasger, als ein zweites Element, zu den Urstämmen, die, mit Indien zusammenhängend, die Urvölker der Hellenen waren? Dann ist aber ein Theil der so dreist <dreist> ausgesprochenen Thatsache schon nur mit großen Einschränkungen wahr. Und nun der andre u. hauptsächliche? Wenn ich Schellings ganze Abhandlung, u. Creuzers ganzes 6. Kapitel des 2. Bandes durchlese, wenn ich auch annehme, daß Alles, was von Samothraciern bis in die späteste Zeit hin gesagt wird, den Pelasgern wirklich angehört hat, so bleibt es so dunkel, so unbestimmt, daß ich mich vergebens peinigen würde, nur mit einiger Klarheit hinzuschreiben, was denn nun diese Pelasger wirklich geglaubt, ja nur welche Priesterinstitute sie wirklich gehabt haben? Wie aber gar die Grundbegriffe der Religion reiner u. frischer, als in andren Mythologien darin liegen, sehe ich auch nicht ein. Sie sind in Allem, was wir Heidenthum nennen, wie verschleiert angedeutet, |8*| aber, meines Erachtens, um nichts klarer u. reiner <in dem den Pelasgern zugeschriebenen Systeme.> Jener factische Ausdruck schreckt mich aber noch mehr zurück, wenn ich aus Creuzers weitläuftiger Ausführung sehe, daß lange nicht genug gesondert wird, u. vermuthlich auch nicht gesondert werden kann, was wirklich vorhellenischer Glaube war, u. wozu die Kabiren in der Folge der Zeit in Samothracien u. Hellas wurden. Denn man kann doch unmöglich jeden Begriff, der mit dem Namen Kabire, oder gar mit den Gottheiten, die auch als Cabiren gelten, verbunden wird, für Samothracisch achten.

Wenn ich nun aber solche Zweifel mir nicht zu lösen weiß, so hält mir Creuzer (Th. 2. S. 370.) sein Medusenhaupt vor, daß ich eine der bloß dialectischen, von aller Anlage zu großartigen alterthümlichen Religionsanschauungen entblößten Naturen bin, u. das sage ich weder im Scherz, noch im Spott, sondern es ist wirklich mein Ernst.

Ich möchte wissen, was u. wie viel sich über diese Gegenstände wahrhaft historisch behaupten läßt?

Hierauf muß man antworten: nichts, oder so u. soviel.

Ist eine von diesen Antworten auf gründliche Weise gegeben, so lasse ich mir hernach alles Vermuthen, Ahnden, Rathen gern gefallen. Es werden dann nicht mehr die Quellen des Erkennens vermischt, u. man weiß bestimmt, auf welchem Gebiete man steht.

Das Meiste, was man jetzt in diesem Fach bewiesene Thatsachen nennt, ist mir, wie ich nun einmal nicht läugnen kann, äußerst zweifelhaft.

Hier, liebster Freund, muß ich auf die etymologischen Beweise kommen. Sie spielen bei Herrn Schwenck eine hauptsächliche, in Ihrer Zugabe eine ziemlich große, bei Creuzer eine mäßigere Rolle. Ich meines Theils glaube, man müßte sich bei diesen Untersuchungen, u. sobald der Name einen Theil des Beweises ausmachen soll, allein auf diejenigen Namen beschränken, die wirklich Epitheta, d.h. aus bekannten Griechischen Wörtern zusammengesetzte Wörter sind. Bei diesen kann man wenigstens darin nicht fehlen, daß nicht der Name die angegebene Bedeutung haben sollte. Aber auch da ist die |9*| Beweiskraft (so wie nicht von Göttern, sondern Heroen die Rede ist) daß mit der Person, die solchen Namen trägt, die durch ihn angezeigte Sache symbolisch gemeynt sey, noch sehr schwach. Denn die Person kann ja zugleich, oder ganz historisch seyn, wo der Name vielleicht von einem Vorfahren herkommt, u. da einen zufälligen Ursprung hat. Ich würde also zweitens niemals einen Beweis allein, oder nur hauptsächlich aus einem Namen hernehmen. Nehmen Sie z.B. was Creuzer Th. 2. S. 382. über Hyrieus sagt. Er soll der Bienenmann seyn, u. mit den Cerealischen Mächten u. der Seelenwanderung in Verbindung stehen. Mir scheint aber nur das historisch, daß er mit der Stadt Hyria zusammenhängt, u. daß kein Mensch jetzt mehr entscheiden kann, ob die Stadt vielleicht von der Bienenzucht so heißt, oder ob er d*** <davon>, u. sie von ihm seinen ihren Namen hatte, oder ob beide Namen ganz anders abgeleitet werden müssen?

Herr Schwenck sichert sich zwar sein Gebiet dadurch, daß er geradezu die Möglichkeit fremder Namen in der griechischen Mythologie abschneidet. Aber kann man ihm darin wohl beistimmen? Ist es nicht vielmehr sehr wahrscheinlich, daß die Namen vieler Götter alte, von Volk zu Volk gegangene Namen sind? Kennen wir denn auch die ganze Griechische Sprache? Können die Namen nicht in Sprachwurzeln gegründet seyn, die, weil man nun doch sonst so oft von Pelasgern spricht, Pelasgisch sind, u. wissen wir irgend etwas Bestimmtes über die Pelasgischen Wörter? Ist es also nicht vielmehr ein Procrustesbett, wenn ich diese sehr alten Namen in den Kreis der viel jüngeren Hellenischen Sprache einzwänge. Zwar geht Herr Schwenck auch über diesen Kreis hinaus. Allein wenn er das einmal thut, so sehe ich nicht ab, warum der Orient abgeschnitten werden soll? Hängt denn die Griechische Sprache nicht vorzüglich mit dem Orient zusammen? Man muß, dünkt mich, jeden Versuch des Etymologisirens aufgeben, da wo man nicht aus andren Gründen wenigstens wahrscheinlich machen kann, zu welcher Sprache das zu Etymologisirende gehört. Nun aber ist dies bei den Griechischen u. Lateinischen Götternamen durchaus der Fall. Jeder etymologisirt sie aus den Sprachen, die er zufällig am besten weiß. Es läßt sich aber nicht sagen, daß sie nicht Aegyptisch, Phönicisch (was Schelling nun gleich ganz identisch mit dem Hebräischen, was er kann, annimmt), Persisch, Indisch, Pelasgisch seyn könnten ? <.> Was ist also da zu |10*| thun? Meines Erachtens nur Folgendes: die Etymologie, als Beweisquelle, ganz aufzugeben, von keinem Namen eine Ableitung geflissentlich zu suchen, aber wo sich eine zeigt, die ohne alle Veränderung der Laute recht passend ist, sie auch, aus welcher der Sprachen, die einen möglichen Einfluß haben konnten, sie stamme, nicht wegzuweisen. Von dieser Art kann ich Ihnen kein passenderes Beispiel anführen, als Schlegels (Indische Bibl. 3. H. S. 320.) Ableitung des Vulcanus aus dem Indischen ulca. Eine solche Ableitung zu bestreiten, müßte man wirklich die Unmöglichkeit darthun, daß der Gott nicht seinen Namen aus dem Indischen her haben konnte, u. wer möchte das unternehmen? Dies einzige schlagende Beispiel würde einen sehr großen Zweifel gegen H. Schwencks allgemeine Behauptung eingeflößt haben. Ihre Ableitung von Here empfiehlt sich gleichfalls sehr durch ihre Einfachheit.

Sich aber in das Ableiten so vieler Namen, als Herr Schwenck gethan hat, einzulassen, scheint mir, auch vorausgesetzt daß sie alle griechischen Ursprungs wären, sehr bedenklich, wenn man nicht zugleich auf das Indische zurückgeht. Nach dem jetzigen Zustande der Sprachkunde scheint mir das, auch wenn man griechische Wörter aus Griechischen ableiten will, unerlaßlich |sic|. So glaube ich nicht daß νέος, und νυός mit nurus (denn diese gehören gewiß zusammen) von demselben Stammwort herkommen.

Schließlich muß ich noch der Aktoriden aus Ihrer Zugabe[e] gedenken. Glauben Sie wirklich, liebster Freund, daß sich annehmen lasse, daß man in ihnen ein Volksmährchen von den beiden Mühlsteinen erkennen könne? Mir, das, <das> läugne ich nicht, scheint diese Annahme durchaus unhaltbar, wenn auch die Mutter wirklich μύλη hieße, u. alle Geschwister ganz ähnliche Namen trügen, wie ich doch in Theronike u. Theraphone (denen Sie ja erst willkührlich ein α vorsetzen) durchaus nicht finden kann. Muß denn in jedem Mythus ein Symbol, oder eine Allegorie liegen, muß man nicht vielmehr erst dann danach suchen, wenn eine bestimmte Spur dazu nöthigt? Soll denn aber ein Symbol in der Fabel seyn, so müßte ich doch mehr die Art billigen, wie Creuzer die beiden Helden erklärt. Wenn man sich Helden als Mühlsteine denkt, so verschwindet, genau genommen, der Begriff des Symbols. Denn es ist hier keine Idee in ein Bild gebracht, sondern eine Sache durch eine andre angedeutet.

Ich habe Ihnen, theurer Freund, meine Meynung mit Fleiß recht offen dargelegt, weil Sie mein Urtheil über die Ansichten, die Sie leiten, |11*| auch in Rücksicht auf die Ausarbeitung Ihrer Religionsgeschichte wünschen, zugleich aber weil ich selbst durch Sie, indem ich Sie mit Zweifeln anrege, in mir klarer werden möchte.

Sie sagen: eine andre Methode, dem Alterthum näher zu kommen, stehe für Sie nicht mehr zu gewinnen. Ich glaube aber auch nicht, daß Sie irgend in dem Fall wären, mit Ihrer Methode im Ganzen unzufrieden seyn zu dürfen. Daß der Mythologie mehr, als ein Fabelspiel der Dichter zum Grunde liegt, daß sie Religionswahrheiten, Natur- u. Sittengesetze symbolisirt enthält, ist die Uridee aus welcher jedes Resultat in Ihren Arbeiten herfließen muß, u. wirklich herfließt. Die Quelle aus der man hierüber Belehrung selbst schöpfen kann, um sie andren wieder mitzutheilen, ist, meiner Meynung u. innigsten Ueberzeugung nach, auch nur das Griechische Alterthum mit der Griechischen Sprache. Dies aber haben Sie inne, u. studiren es täglich. Tief in Aegyptisches, Indisches einzugehen, halte ich nicht für nöthig. Denn ich bin überzeugt, u. suche dies vielleicht bald einmal einzeln auszuführen, daß wieviel oder wenig die Griechen von andren Völkern gewonnen[f] haben mögen, sie es immer auf ganz eigenthümliche Weise verarbeiteten, daß daher das, was sie aus den Dingen machten, ihrem Ursprunge ganz unähnlich wurde, die Griechische Kunst der Aegyptischen, die Griechische Sprache der Indischen, u. daß daher zur Erklärung der Art, wie die Griechen Griechen geworden sind, weit weniger daran liegt zu zeigen, wieviel u. was sie entlehnt haben, als zu entdecken, woher die Eine Form entstand, in welche sie alles Entlehnte assimilirend gossen. Am wenigsten würde ich nöthig finden, daß Sie den Kreis Ihrer Sprachkunde erweiterten. Sie gehören zu den Glücklichen, die in einen kleineren tief eindringen, was, wenn, <wenn> auch in andrer Rücksicht, vielleicht dankbarer ist.

Aber das, wünschte ich, prüften Sie genau u. sorgfältig, ob Sie nicht gut thäten, die Etymologischen Beweisgründe gänzlich aufzugeben, wie mit dem Aufsuchen des Symbolischen nicht zu weit zu gehen, u. in dem, was Sie als Resultat aufstellen, die Grade der Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit noch bestimmter zu unterscheiden.

Ich bin überzeugt, daß Ihre Religionsgeschichte zu einem der wichtigsten Werke werden kann, u. daß sie wahrhaft durch die Zeit gefordert ist, wenn |12*| Sie Sich vor Allem zum Gesetz machen, wirklich eine Geschichte zu schreiben, wenn Sie, statt den bisherigen Etymologien, Erklärungen, Vermuthungen neue hinzuzufügen, das bisher Gesagte sichten, u. auf das Wenige zurückführen wollen, was sich nur wirklich historisch aufstellen läßt. Meiner Ueberzeugung nach, braucht man nichts so sehr in diesem Fach, als strenge u. unerbittliche Kritik. Und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich ich annehme, daß meine Ueberzeugung hierin sehr allgemein getheilt wird.

Es wird schwer seyn, mehr Gelehrsamkeit u. Belesenheit zu vereinigen, als Creuzer besitzt, auf jedem Blatt seines Buchs ist sein Geist, <u.> ein tiefes Gefühl, eine seltene Anschauungsgabe sichtbar, oft erkennt man deutliche Funken wahren Genies. Aber bei dem Allen wirkt sein Buch mehr niederschlagend, als erhebend u. belehrend. Man wird in keinem Kapitel durch Klarheit u. Bestimmtheit befriedigt.

Ihr Abschnitt über die Here gewährt, wie ich schon oben sagte, offenbar mehr Aufschluß. Allein dennoch gestehe ich, daß mir der Beweis, daß man unter dieser Gottheit die Erde verstand, doch auch noch nicht vollständig genug geführt scheint. Vorzüglich aber stört es mich, daß auch in dieser Entwicklung nun viele Dinge angeführt scheinen, die nur überhaupt zur Geschichte des Heredienstes gehören, u. daß man nun zweifelhaft wird, in welchen Umständen die eigentliche Beweiskraft liegen soll.

Ich glaube daher, liebster Freund, daß Sie gar nichts in der Richtung des Wegs zu ändern haben, den Sie verfolgen, aber daß Sie ihn für die Zweifler u. Ungläubigen mit mehr Vorsicht, mehr Sorgfalt, auch die Gründe Ihrer Richtung darzulegen, vorschreiten müssen. Bei Allem aber, was Sie in diesem Briefe finden, müssen Sie vor allen Dingen nicht vergessen, daß ich, was ich sage, nicht dogmatisch verstehe, nicht als wäre es wirklich so, sondern daß ich nur ausspreche wie es mir erscheint, u. daß ich Sie selbst daran erinnere, daß ich vielleicht von Natur weniger Anlage habe, in diese Untersuchungen mit dem nothwendigen Tacte einzugehen, daß ich ferner mich nie selbst mit ihnen beschäftigt habe. Ich würde daher gar nicht unnatürlich finden, wenn das Resultat Ihrer Prüfungen, selbst wenn Sie neue anstellen wollten, nur wäre, daß ich mich geirrt hätte.

Daß Herr Schwenck so viele Schwierigkeiten angestellt zu werden |13*| findet, thut mir ungemein leid. Sollte er es nicht lieber in einer andren Gegend Deutschlands versuchen?

Ihren Philostratischen Erklärungen sehe ich mit großem Verlangen[g] entgegen. Die Stelle über den Nil[h] hat mir sehr viel Freude gemacht, u. Ihre Art, sie mit dem Pindarischen Fragment zu verbinden ist überaus sinnreich.

Ich würde Sie zu ermüden fürchten, wenn ich, nach einem schon so überlangen Briefe noch ausführlicher auf die Gegenstände eingienge, die Ihr erstes Schreiben berührt. Ich bemerke also nur kurz, daß, was Sie über Apollodors Gewohnheit sagen, seine Nachrichten aus den Tragikern zu entlehnen, allerdings sehr für Ihre Erklärung der Stelle des Prometheus spricht, u. daß ich in Ihr Lob der Boeckhischen u. Dissenschen Arbeit vollkommen einstimme. Ihre einzelnen Bemerkungen haben mich sehr interessirt. Die Erklärung des Basreliefs (Nem. 9.)[i] die mir äußerst gelungen scheint, war mir um so willkommner, als ich gerade einen Abguß dieses Basreliefs im Flur meines neuen Hauses in Tegel, ganz nahe bei der Stadt, eingemauert habe, u. es mir also oft vor Augen steht. Der antike Brunnen steht in demselben Flur, u. es steht Ihnen sehr gern eine Zeichnung davon zu Diensten[j]. Ein kleiner Stich wird davon in Kurzem erscheinen, da Schinckel, der dies Haus gebaut hat, Zeichnungen davon, u. von den mir gehörigen Kunstwerken herausgiebt, welche diesen Flur verzieren. Doch wird diese Zeichnung nur sehr klein seyn.

Den 10. Gesang der Odyssee von Herrn Schwenck habe ich mit großem Vergnügen verglichen, u. ungemeine Fortschritte darin gegen die früheren Versuche bemerkt. Er sollte ja fortfahren, andre Stücke, oder noch lieber das Ganze so zu bearbeiten. Es wird einem wohl, den Homer im Deutschen auf eine Weise zu lesen, wo die Farben nicht so überdick aufgetragen sind.

Von unserem Leben kann ich Ihnen nur wenig sagen. Es rollt in Ruhe u. stillem Familienglück her: Meine Frau genießt doch jetzt recht leidlicher Gesundheit, u. daß wir unsren jüngsten Sohn, einen äußerst gutmüthigen Knaben, ins Haus genommen haben, gereicht uns zu großer Freude. Caroline ist auch bei uns, Adelheid allein fern, denn Gabriele wohnt mit ihrem Mann hier in unsrer Nähe.

Meine Frau u. Caroline grüßen Sie herzlich. Leben Sie innigst wohl, u. erhalten Sie uns Ihre Freundschaft u. Ihr Andenken. Unsre besten Wünsche u. unsre herzliche Theilnahme begleiten Sie. Ganz der Ihrige
H.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Welcker hatte unter dem Titel "Zuschrift an den Verfasser" einen Anhang zu dem genannten Werk verfasst (dort S. 251–347). [FZ]
    2. b |Editor| Humboldt hatte die zweite Auflage vom autor erhalten; vgl. den Brief Creuzers an Humboldt vom 28. Juni 1821. [FZ]
    3. c |Editor| Welckers Arbeiten zur griechischen Religionsgeschichte mündeten in der 1857 bis 1862 erschienenen dreibändigen Monographie mit dem Titel Griechische Götterlehre. [FZ]
    4. d |Editor| Haym 1859, S. 73 zitiert Welcker: "In Rom hatte Humboldt während meines dortigen Aufenthalts eine Untersuchung über die Pelasger niedergeschrieben, die ich nur gesehn, nicht gelesen habe. F. G. W."
    5. e |Editor| S. 306 ff.
    6. f |Editor| Haym 1859, S. 79: genommen
    7. g |Editor| Haym 1859, S. 81: Vergnügen
    8. h |Editor| Dort S. 232f.
    9. i |Editor| Haym 1859, S. 81: "Pag. 453 der Boeckh’schen Ausgabe."
    10. j |Editor| Haym 1859, S. 82 zitiert Welcker: "Rauch hat die Figuren gezeichnet, jede einzeln, in der Höhe eines gewöhnlichen Foliobogens. Diese Blätter sind später von mir, da ich sie als Geschenk von der Generalin Amalie von Helwig erhalten hatte, an K. O. Müller zum Gebrauch für seine Denkm. der. a. K. gekommen und nie an mich zurückgelangt. F. G. W."

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
    Schreibort
    Antwort auf
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Bonn, ULB, S 689, Nr. 33
    Druck
    • Haym 1859, S. 66–82
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 7254

    In diesem Brief

    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 15.12.1822. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/751

    Download

    Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen

    Versionsgeschichte

    Frühere Version des Dokuments in der archivierten Webansicht ansehen