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  3. Nr. 88

Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 12.03.1822

|1*| Ich habe hier fleißig im Hitopadesa gelesen, u. auch weiter über die Formen in  Sankskrit {tvā} u.  Sankskrit {ya} nachgedacht.

Soweit ich habe Stellen aufschlagen können, giebt es zwei Hauptformen<Hauptarten,> wie dieselben construirt zu werden pflegen, von denen aber jede mehrere Veränderungen zuläßt.

1. Ein Nominativus bezieht sich, als Subject auf ein Verbum, oder ein Participium, u. das Praet. indeclin. (so will ich jene Formen fürs erste nennen) steht vor, oder dazwischen. Z. B. Hit. p. 11. l. 16. 17.  Sankskrit {hiraṇyakaśca}  Sankskrit {vivaraṃ}  Sankskrit {kṛtvā}  Sankskrit {nivasati}.

Hier ist die Construction gleich natürlich, man mag die Form als ein part. indeclin. oder als ein gerundium nehmen. H. eine Höle gemacht habend, bewohnte sie, oder H. nach dem Machen einer Höle, bewohnte sie.

2. Ein Instrumentalis bezieht sich auf ein nachfolgendes passivum, u. jene Formen stehen davor, oder dazwischen. p. 13. l. 10. 11.  Sankskrit {evamuttvā}  Sankskrit {tena}  Sankskrit {sarvveṣāṃ}  Sankskrit {bandhanāni}  Sankskrit {chinnati}

Hier ist die Construction weit natürlicher, wenn man die Form als Gerundium ansieht: nach dem Sprechen wurden cet. Doch kann man allerdings sie auch für ein part. indeclin. h nehmen, u. nur das Subject aus dem Instrumentalis herbeiholen. Durch ihn, nachdem er also gesprochen hatte, oder den also gesprochen habenden, wurden cet.

In diesen Fällen bezieht sich das Nomen, oder Pronomen, im Nom. oder Instrum. auf das nachfolgende Verbum oder Par- |2*| ticipium, u. das Part. indeclin. kann, als für sich stehend betrachtet werden. Man könnte es, wenn man interpunction hätte, zwischen zwei Commata stellen.

Dagegen habe ich zwei Fälle, jedoch nur diese beiden einzigen Stellen, gefunden, wo das Nomen, oder Pronomen sich nicht auf das nachfolgende Verbum, oder Participium beziehen kann, sondern wo es nothwendig auf das part. indeclin. bezogen werden muß, und über diese möchte ich Ew Wohlgeb. um Rath fragen.

3. Das Pronomen steht im Instrumentalis. p. 34. l. 4. 5.  Sankskrit {prātaśca}  Sankskrit {tenātrāgatya}  Sankskrit {karpūrasaraḥ} [1]  Sankskrit {samīpe}  Sankskrit {bhavitavyamiti}  Sankskrit {vyādhānāṃ}  Sankskrit {bhuravān}‌  Sankskrit {kimavadanti}  Sankskrit {śrūyate}.  Sankskrit {tena} kann sich hier nicht auf  Sankskrit {śrūyate} beziehen. Es geht, dem Zusammenhange nach, auf den König, von dem die Rede ist, u. das Verbum steht impersonaliter: man hört.

Nimmt man hier die Form für ein Part. indeclin. so geht dies nur, insofern man den Sinn passiv versteht, durch ihn gekommen seyend, od. durch ihn gekommen war, welches allerdings möglich ist. Nimmt man sie für ein Gerundium, so ist keine Schwierigkeit: Nach dem durch ihn in die Nähe Kommen, wurde gehört cet.

4. Das Nomen steht im Nominat.  p. 35. l. 12. 13.  Sankskrit {tato}  Sankskrit {dūtī}  Sankskrit {gatvā}  Sankskrit {tatsarvvaṃtuṃgabalasyāgre}  Sankskrit {niveditaṃ}. Wenn man hier nicht ein sonderbares anacoluthon annimmt, daß der Schreiber mit einem Nominativus angefangen, um ein Verbum activum folgen zu lassen, |3*| dann aber zum Passivum übergesprungen sey, so kann man  Sankskrit {dūtī} bloß zu  Sankskrit {gatvā} ziehen.

Geschieht nun dies, so ist die Erklärung, wenn die Form ein part. indeclin. ist, noch möglich. Die Botin gegangen seyend, wurde dies Alles. Der erste Theil des Satzes steht absolut, wie so oft im Sanscrit ein Subst. mit einem part. ohne Verbum. Dagegen kann die Form auf diese Weise, meines Erachtens, schlechterdings, nicht als ein Gerundium erklärt werden. Nach dem die Botin Kommen giebt keine Construction.  Sankskrit {dūtī} müßte dann im Genitiv, oder wenigstens in einem <andern> casus obliquus stehen.

Wären daher Constructionen, wie diese, häufig, oder auch, als selten, erlaubt u. legitim, so gestehe ich doch, daß ich davon abgehen würde, jene Formen Gerundia zu nennen, u. daß ich sie part. indeclin. nennen würde, oder wenn nicht gerade participia, doch Verbaladjectiva. Denn in dieser Supposition lassen sich alle Constructionsarten derselben erklären, dagegen in der vom Gerundium diese letzte nicht.

Ich wünschte sehr, Ew. Wohlgeb. Meynung hierüber zu hören. Vielleicht liegt, u. das vermuthe ich selbst, in meiner Ansicht dieser letzten Stelle irgend ein Irrthum.

Im Anfang der künftigen Woche kehre ich nach Berlin zurück, u. hoffe Sie recht bald alsdann zu sehen. Wenn Sie mir schreiben wollen, bitte ich Sie, Ihren Brief in meinem Hause abgeben zu lassen.

Mit der lebhaftesten Hochachtung
Ew. Wohlgeb.
ergebenster
Humboldt.
Tegel, 12. März, 1822.
|4* vacat|

Anmerkungen

  1. 1 |WvH| Sollte das Visarga nicht falsch seyn? Als Nom. giebt das Wort hier keinen Sinn. Zusammengezogen mit dem folgenden kommt es in den Genitiv. An andern Stellen hat es ein kurzes u.

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
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    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Krakau, Biblioteka Jagiellońska, 94 Briefe von H. v. Humboldt an F. Bopp, Autographen-Sammlung, Humboldt, aus der ehem. Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Nr. 8
    Druck
    • Lefmann 1897, S. 18–20
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 7188
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 12.03.1822. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/88

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