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Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 15.11.1823

Weimar, 15. November 1823

Ich danke Dir herzlich, süßes Herz, für Deinen lieben Brief vom 11., der mich hier sehr angenehm überrascht hat…

Ich habe heute einen sehr hübschen Abend gehabt. Ich war mit Carolinen, die Dich innigst grüßt, und der Emilie Schiller im Theater. Man gab Wallensteins Tod. Die Jagemann spielte die Thekla sehr gut, ob sie gleich zu alt und stark für die Rolle ist. Hernach war ich bis 11 allein bei Carolinen, die sehr liebenswürdig ist. Man ist ein ganz anderer Mensch, wenn man aus einer Tragödie kommt, das habe ich immer gefühlt, und heute wieder; wenn auch nur leidlich gespielt wird, geht doch das Große so lebendig an einem vorüber. Das Schauspiel, würdig und ruhig genossen, bleibt das Edelste aller Vergnügen.

Mit Carolinen haben wir viel der vergangenen Zeiten gedacht. Sie hat mir einen Brief gezeigt, den ich ihr 1790 am 16. Januar aus Dessau über Dich geschrieben. Es war mir in den Tagen in Weimar erst recht aufgegangen, wie Du mich liebtest, süßes Herz, und davon handelt eigentlich der Brief. Es ist eine Stelle darin, die ich abschreibe, weil sie von unserer damaligen Zukunft spricht, die nun auch wieder Vergangenheit ist. Ich sage von Dir: „Ich fühl’ es, was sie mir jetzt ist, ist doch nur erst ein Schatten von dem, was sie mir sein wird. Ihre Seele ist zu groß und reich, als daß die meine sie schon jetzt ganz zu fassen vermöchte. Es ist zu viel in ihr, als daß jedes Schöne in ihr etwas in mir finden könnte, womit es sich gattete. Ich bin nicht unruhig darüber, die Liebe gibt allen Dingen die Farbe des eigenen Gefühls, und verliert einmal, wenn wir beide alt werden, diese Liebe bei ihr die Glut, die den Genuß jetzt so schwärmerisch entzückend macht, so bleibt es ihr, mich durch sie glücklicher zu sehen. Allein immer werde ich mehr durch sie als sie durch mich genießen." Die Stelle hat mich so gefreut, weil es wirklich buchstäblich wahr ist, daß ich mit jedem Jahre, wo wir zusammenleben, immer mehr in Dir gefunden habe und noch finde. Es liegt auf der einen Seite wohl darin, daß, wer einmal viel ist, dies Viele immer mehr und reicher entfaltet, aber es ist auch wahr, daß das Große und Schöne einem immer größer und schöner erscheint, je inniger man sich daran gewöhnt.

Mit Goethe geht es noch gar nicht gut. Auch heute abend soll er sich sehr matt und angegriffen gefühlt haben. Ich sah ihn leider heute gar nicht. Den Vormittag ging ich mit Riemer auf die Bibliothek, nach 9 Uhr. Der Großherzog hatte bestellt, daß man ihm sagen lassen sollte, wenn ich gekommen sein würde. Er kam bald darauf, blieb sehr lange mit mir dort, fuhr dann mit mir nach dem Jägerhause, wo Bilder aufgestellt werden, und so wurde es drei, als wir zu Hause kamen, und den Abend war ich im Theater. Ich fürchte mich auch gewissermaßen, bei Goethe zu sein. Er soll nicht viel sprechen, und meine Gegenwart verleitet ihn immer dazu.

Das Herumfahren mit dem Großherzog ist sehr pittoresk. Wir sitzen nebeneinander in einer Droschke und zwischen uns ein schwarzer, großer neufundländischer Hund, der über uns beide hervorragt und alle Augenblicke herauf und herunter springt, und einem mit seinem Schwanz unter der Nase wegfährt. Vier andere Hunde laufen um den Wagen herum.

Auf der Bibliothek sind schöne Sachen, und ich habe ein Manuskript einer Grammatik einer amerikanischen Sprache gefunden, von der ich noch keine hatte und der ich lange nachtrachtete[a]. Ich erhalte es hier ohne Mühe mitgeteilt. Der Großherzog ist die Freundlichkeit selbst. Er hat sich heute nach allem, was von Sanskrit hier sein könnte, aufs sorgfältigste erkundigt, damit es mir gezeigt werden sollte. Die Großherzogin ist gütig wie immer, und die Großfürstin scheint diesmal besonders zufrieden mit mir. Sie hatte gestern einen großen Tee, wo auch die Großherzogin und die ganze Stadt war, und machte, wie es ans Spiel ging, die Konversation allein mit mir. Ich blieb aber nur bis gegen 9, da ich oben beim Großherzog allein zum Abendessen eingeladen war. Die Kinder hat sie mir versprochen zu zeigen, aber es kam noch nicht dazu.

Sehr hübsch ist doch, daß bei diesen Gesellschaften auch Riemer und Meyer, trotz seines wunderbaren Aussehens, sind und sehr geehrt werden. Meyer trägt dann eine schwarze Samtkappe, und graue oder gepuderte Locken hängen auf der Seite heraus. Ich gehe hier auch frisiert. Den ersten Tag kam der Friseur ohne Puder. Auf meine Bemerkung meinte er, niemand trüge mehr Puder. Ich blieb aber bei meiner Sitte und schickte ihn fort, welchen zu holen. Nun kam er aber auch wie zur Schlacht gerüstet, in einer Hand die Schachtel, in der anderen einen ungeheuren Puderquast und einen kleinen zum Sukkurs, und |in| einem schmutzigen eingepuderten Rock, da er erst einen sehr reinen hatte. So begann und vollendete er das Werk. Nun proponierte er mir aber, mich mit dem großen Quast zu pudern, wo der Friseur so von weitem auf einen losblitzt und man nach wenig Augenblicken in eine Wolke gehüllt ist, und das reizte so alle meine Kindererinnerungen, wo ich in Tegel zum Pudern immer auf den Boden ging, daß ich mich gleich hinaus mit ihm begab und die Operation standhaft aushielt. So haben wir wirklich ein sehr schönes Werk zustande gebracht.

Im Jägerhause habe ich heute die Seidler aus Rom gesehn. Sie hat Rom im Iunius verlassen und ist seit zwei Monaten hier. Man hat ihr eine sehr helle, hübsche, warme Stube zur Werkstatt eingeräumt, und sie hatte eben ein Bild, eine eigene Komposition zu Goethen geschickt. Sie malt jetzt eine heilige Elisabeth, die Almosen spendet, für den Großherzog. Das Bild war erst aufgezeichnet und etwas steif und unbewegt. Ich liebe auch eigentlich diesen Gegenstand gar nicht. Von der Madonna des Großherzogs von Toskana und der del Cardello hatte sie Kopien, beide aber, vorzüglich die letztere, viel schwächer als unsere. Sie selbst aber hat mir sehr gefallen. Sie hat umständlich nach Euch allen gefragt und grüßt sehr. Wenn ich nur zu irgend etwas kommen kann, besuche ich sie gewiß noch. Ich wüßte lange nicht, eine Person so einfach angenehm gefunden zu haben.

Die Zeichnungen Carstens, die man hier hat, sind sehr schön. Sie lagen auf der Erde, weil man sie eben in Glas und Rahmen bringen wollte, und Du hättest die Verzweiflung des armen Professors Müller sehen sollen, wenn die fünf Hunde des Großherzogs darüber hinliefen.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Dabei dürfte es sich um den bereits in dem Brief an Goethe vom 20. November 1823 genannten Sammelband mit Grammatiken zum Arawakischen, Chiquitano und Guarani handeln (Jena, ThULB, Inv. Ms. Prov. q. 330a; freundlicher Hinweis von Joachim Ott, ThULB). Erst 1826 konnte Humboldt diesen Band in Augenschein nehmen; vgl. dazu die Briefe vom 13. Februar 1826, 20. Dezember 1826 und 23. Januar 1827. [FZ]
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 15.11.1823. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/1136

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