Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 13.05.1822
haben mich mit einem sehr interessanten und belehrenden Briefe beehrt dessen Inhalt offenbar von großer Wichtigkeit ist in Betreff jenes grammatischen Gegenstandes welchen wir schon von vielen Seiten ergründet haben und worüber ich Ew Excellenz bereits so manche gehaltvolle Bemerkung danke. Ich wünschte sehr daß es Ew <Excellenz> gefallen möchte Hochderen Entdeckungen über die Form auf tvā bald zur öffentlichen Kunde <zu bringen>, in dem die Zusammenstellung der verschiedenen Modifikationen, worin Ew Excellenz diese Form angewendet gefunden haben, so wie die Folgerungen welche Hochdieselben daraus ziehen würden, gewiß dazu geeignet wären über jenen Gegenstand die einleuchtendsten Aufschlüsse |266v| zu geben. Mir wäre es überaus angenehm, wo ich in Zukunft besagten Punkt wieder zu behandeln habe, mich auf die scharfsinnigen Beobachtungen Ew Excellenz berufen zu können.
Was die beiden Beispiele in Hochderen geehrtesten Zuschreiben vom 26ten April anbelangt, so nehme ich mir die Freyheit, Eurer Excellenz gnädigen Aufforderung gemäß, zuerst über die Stelle im Ramayana ein Wort zu reden. Diese schließt sich zunächst an eine von Ew Excellenz citirten Stelle des Hitopadesa ( tenātrāgatya karpūrasara: samīpe b̔avitavyam), scheint mir aber von weit größerer Wichtigkeit, denn die Stelle im Hitop. ließe sich auch zur Noth durch ein activisches Participium < praet.> übersetzen – „durch den dahin gegangenen ist in des Karpūra-Teiches Nähe zu seyn.“ Die<In der> Stelle des Ramayana kann aber die Form auf tvā, wie Ew Excellenz ganz richtig bemerkt haben, als participium betrachtet, nur participium passivum seyn. In meinem ConjugationsSystem habe ich mich zum Beweise daß die Form auf tvā ein Gerund. sey neben dem etymologischen Ursprung der Form, hauptsächlich darauf berufen daß man, wenn man diese Form für ein Participium betrachtet, dieselbe bald aktivisch bald passivische<passivisch> konstruiren müsse, welches nach meiner Ueberzeugung dem Begriffe eines Partiziums |sic| widerspräche, da ein participium entweder dem Activ oder Passiv allein |267r| angehören müsse.
N.B. Im Sanskrit hat zwar das Partic. auf {ta} bey den
verbis neutris aktivische Bedeutung, indem zB
{gataḥ} einem der gegangen
ist – bedeutet, aber die aktivische Bedeutung dieses Partizips beschränkt sich
auch einzig auf die verba neutra (u. im Lateinischen auf
die verba deponent.), denn
{jita}
heißt bloß besiegt, und nicht gesiegt habend. Wenn im Griechischen das Suffix
μενος aktivische und passivische Bedeutung
hat, so kann dieses wohl auch nicht zum Einwande dienen, weil im Griechischen
über das medium und passivum nur
in wenigen Zeiten verschieden sind.
Wilkins und
Carey geben in ihren Grammatiken[a]
dem sogenannten adverbialen participium nur aktivische
und vergangene Bedeutung, dagegen nehmen sie keinen Anstand in ihren
Uebersetzungen demselben bald aktivische bald passivische
Bedeutungen<Bedeutung> zu geben
(wie auch in obigem Beispiele), ein Beweis daß man bey dem was in den Englischen
Grammatiken über die Form in
tvā gesagt wird nicht stehen bleiben darf, indem ihr
Charakter und Umfang nicht erschöpfend dargestellt ist. Sieht man aber die Form
als Gerundium an so kann man bey den
verschiedenartigsten Construktionen, welche Ew Excellenz entdekt |sic|
haben, im Uebersetzen immer consequent verfahren, denn in der That die
Construktionen bleiben nur solange |267v| verschiedenartig als man die
Möglichkeit noch nicht aufgegeben hat daß die besagte Form dennoch ein participium seyn könne, und weil ich seit der Zeit wo
ich mein ConjugationsSystem ausarbeitete, jene Form als
Gerundium ansah und konstruirte, so fiel
hatten vielerley
Construkt<Stellen> für mich gar nichts
auffallendes, worauf ich jetzt das Glück habe durch Ew Excellenz aufmerksam
gemacht zu werden. Es freut mich daß Ew Excellenz in der
Stelles<Stelle> des
Ram.
*
{nṛpātmajau}
für einen accus. u. somit
{apavāhya} für ein Gerund. anzusehen geneigt sind.
Dies ist allerdings auch meine Meinung, denn als participium müßte
{apavāhya} zum passivum und
nṛpātmajau zum Nominativ werden, welches mir nicht
annehmbar scheint.
Die Stelle im Nala
ist
allerdings geeignet einige Bedenklichkeit zu erregen, ich glaube indessen daß
man als Gerundium übersetzen könne: „Nach Erfreuen die
Damajanti so mit Reden, mit gefalteten Händen, waren beyde wechselseitig
erfreut.“ – Ich sehe
kṛtānjali: weniger für das eigentliche Subjekt an sondern
glaube daß es mehr die Art und Weise
ausdrückt<ausdrücke> wie das
ausgelassene Subjekt Nala die Damajanti erfreute, im Lateinischen würde es |268r| ein adverbium seyn, bezieht sich aber im Sanskrit als adjectiv auf das ausgelassene Subjekt. Würde man nicht
etwa ins Englische durch ein Gerund. so übersetzen können? „After Nala thus having, with joined hands, exhilerated Damanjanti, they
were both mutually pleased.
|"| Es fragt
sich ob man hier <(im Engl.> nicht Nala für
einen Nom. betrachten müßte. Die Construktion bleibt immer etwas schwierig und
befremdet<befremdend>, aber
auch wenn man als partic. übersetzt, bleibt die
Construktion sonderbar: „Mit gefalteten Händen die Dam. so mit Worten getröstet
habend, waren sie wechselseitig erfreut.|"| Würde
man hier nicht erwarten daß in der 2ten Hälfte des Sloca
ebenfalls Nala allein das Subjekt bleiben müsse? Oder sollte {abhinaṃdya} absolut stehen? Dies
scheint mir nicht wahrscheinlich, denn der Dichter scheint offenbar sagen zu
wollen daß nach dem freundlichen Zureden des Nala beyde
zusammen erfreut waren.
Es befinden sich andere ähnliche Construktionen im Nalus, nämlich Seite 106, sl. 10 und slo. 17. Ich übersetze: „Nach Gehung (des Nala) in lichte Gegend, sprach die Schlange wieder zu ihm|"|, oder Englisch: after (Nala) leaving < having> approached an |268v| airy place, the serpent again spoke to him etc. Slo. 17 wo ebenfalls im Nachsatz das Subject sich ändert, läßt sich im Lateinischen der Ablat. des Gerund. gebrauchen; will man aber mit der Präpos. nach übersetzen, so würde es im Engl. heißen müssen: after (my) having cursed him thy conservation was executed by me. – Wenn man, wie es nicht <ganz> unwahrscheinlich ist, hier auch sagen könnte: aham asūyayitva tam <etc>, so wäre auch die Londoner Lesart im Hitop. nicht ganz verwerflich, man könnte dann vielleicht ins Englische übersetzen, after the female messenger being gone, all this was related etc. Wenn aber das Englische solche Construktionen nicht duldet, so läßt sich doch denken daß irgendeine Sprache sie erlaube. Ins<Im> Lateinischen könnte man hier den ablat. absol. gebrauchen praefecta nunciâ, omnia illa coram Tungabalo relata sunt. – Ew. Excellenz halten, wenn ich nicht irre, die Construktion mit dem abl. absol. dem Sinne nach für eine gerundium-ähnliche.
Auch der Indische Infinitiv findet sich zuweilen in Construktionen die sich mit seinem Charakter als accusat. nicht ganz gut vertragen, demohngeachtet |269r| bleibt es meiner Meinung nach ausgemacht daß er ein accusativ sey, eben so wohl als das Lat. Supinum in um. Man muß indessen zugeben daß in den Zeiten woraus die Ueberreste Indischer Litteratur herrühren, der Infinit. und das Gerund. nicht mehr erkannt wurden für das was sie sind, und daß blos ein dunkeles Gefühl zur richtigen Anwendung dieser Formen leitete. Aber auch dieses Gefühl erstirbt zuletzt in den Sprachen und dann entstehen Mißgriffe, wie z B wenn im Angelsächischen das th welches im Gotischen blos der 2ten Pers. plu. angehört, auch in die erste Per<erste,> und 3te Person übertragen wird, oder wenn wir im Deutschen sagen, wir sind da doch ursprünglich in den germanischen Sprachen nd blos der<die> 3ten |sic| Person plur. angehört.<bezeichnet.>
Die Form auf
tvā mochte
ursprünglich keinen ausgedehnteren Gebrauch haben als jeder andere instrumentalis; da aber der 3te Casus auch das Verhältniß nach ausdrückt, so
konnte in Ermanglung eines plusquamperfectis der
Instrumentalis eines abstrakten Substantivs. gesetzt werden, um das Latein. Plusquamperf. mit
postquam auszudrücken. Als zu diesem
Behufe der instrument. eines durch das Suffix
tu gebildeten abstrakten Substantivs, dessen accus. den Infinitiv |269v| vertritt,
charakteristisch geworden war, so mochte nach und nach diese Form in
Construktionen gebraucht werden, welche, in Bezug auf ihren Ursprung nicht, ganz
für sie paßten, das heißt, man gebrauchte sie wo man immer im Latein. das plusquamp. mit
postquam setzen kann (also auch {datī}
{gatvā}). Wenn nun in
gewissen Fällen es vielleicht leichter ist die Form auf
tvā durch ein partic. als durch ein gerund. zu
übersetzen wollte,<übersetzen,>
so verfallen doch diejenigen welche aus diesem Grunde besagter Form den Namen
participium geben, wie ich glaube, in den Fehler
derjenigen welchen Ew Excellenz, in hochderen gelehrter Abhandlung[b]
, von
den Verfassern Amerikanischer Grammatiken gerügt haben. Wenn gleich die
eingeborenen Grammatiker den Ursprung der Form auf
tvā so wenig <erkannt haben> als
die Römer in dem Supin. auf
um eine |sic| accusat. und in dem auf
u einen ablat.
sehen (weil sie sich mit der Herkunft grammatischer Formen überhaupt nicht
beschäftigen) so spricht <er> doch, erstens die Endung
ā, 2ten |sic| die
Construktionen wie
{alaṃ},
{bhuttvā}
{khalu}
{bhuttvā}, (indem
alam und
k̔alu einen Instrument. regieren), unverkennbar für den
behaupteten Ursprung jener Form.
|270r| Ich wage noch Ew Excellenz an S. 50 sl. 24 <zu
errinnern |sic|>, wo {uddiśya} mit
Zeigung bedeutet, denn der Instrument. drückt häufig das Verhältniß mit aus. Man sieht nämlich aus der ganzen Stelle ganz
deutlich daß Nala nicht sprach nachdem er gedeutet hatte, sondern indem er mit dem Finger auf die
Gegenden hindeutete, sagte er „Dies ist
Umdhya der große Berg, dieses die zum
Meere fließende
Payoschnī etc.|"|
Der Unterschied eines Gerundiums und eines gewöhnlichen abstrakten Substantivs
ist doch wohl der, daß
daß<das> Gerundium den Casus des verbum regiert, oder gewisser Maßen wie ein verbum construirt wird, das Gerundium und Infinitiv haben sich von
ihren Brüdern nomina losgerissen und haben
Verwandtschaft mit dem verbum geschlossen. Wenn man also
sagt {tahacataṃ}
{uktvā} nach Sagen diese
Rede, und nicht
tasya
vayanasyaktvā nach Sagen dieser Rede, so ist es auch
nicht so ganz befremdend wenn man sagt:
{dūtī},
{gatvā}
{tatsarvvaṃ} etc nach Gehung die
Bothin, statt nach Gehung der Bothin, oder after the
messenger being gone statt after the messengers
being gone. Wenn bey dem Gerundium |270v| der Gegenstand worauf die Handlung wirkt in den accusat. gesetzt wird, und nicht in Genitiv, so scheint
es mir nicht ganz unnatürlich, so scheint es mir nicht ganz
unnatürlich wenn die Person, welche die Handlung ausübt im Nominat.
steht und nicht im Genitiv
Ich glaube indessen daß Construktionen wie {dūtī}
{gatvā} (wenn wirklich diese
Rede Lesart richtig ist) sehr selten seyn müssen, und daß solche
wie
Nalus S. 106 sl. 10 und 17, wo das Gerundium
gar kein Subjekt hat, viel gewöhnlicher und dem Gerund.
angemessen.<angemessener.>
– In Bezug auf
{kṛtāṃjaliḥ} (V. 34) bitte ich
noch Ew Excellenz, gnädigst S. 104 sl.
4 <zu vergleichen>, wo
{prāṃjali} ebenfalls eine Art und Weise ausdrückt, man könnte in obiger
Stelle bey
Kṛtānjali
noch
b̊ūtvā
hinzudenken, wodurch dann
Kṛtānjali vollkommen unabhängig von
abinandya werden würde.
*
Es ist offenbar ein Versehen
wenn in
Wilkins Wurzelsammlung
nadi steht, wahrscheinlich hat hier
Wilkins nicht beachtet daß
hier
i blos ein
grammatischer Buchstabe ist,
Carey stellt diese Wurzel unter diejenigen
<die> mit einem
d endigen.
Ich habe das Wort {chāyādvitīya}
<den>
so verstanden daß Nala in Vergleichung mit den Göttern in Bezug auf den
Schatten den er verbreitete seines Gleichen nicht hatte, |271r| „in
Ansehung des Schattens zweifellos“. Die Götter wären zweit schattenlos, und standen in vollstem Lichtglanze, Nala voll Schatten. – Schlegel liest
{chāyā} =
{dvitīya} und übersetzt
umbra geminatus.
Dieser Auslegung bin ich jetzo geneigt den Vorzug zu geben. Nala warf einen Schatten, welcher und dies Schattenbild war
ein zweiter Nala.
Ich bin bey dem Ministerium um Beschleunigung der errichtenden Sanskrit Druckerey eingekommen, und es wurde mir hierauf durch ein Reskript vom 15ten April bekannt gemacht daß Geh. Reg. Rath Rehfues beauftrag |sic| worden sey, den Apparat schleunig hierher zu senden. Ich glaube indessen daß Schlegel welcher bereits schon mit seinen Typen druckt, die Auslieferung der Matrizen so lange verzögern wird als möglich. Die Proben in dem 3ten Heft der Indischen Bibliothek gefallen mir sehr wohl.
Ich sehe mit großer Begierde den Resultaten Ew Excellenz fernerer Untersuchung über die Form in tvā entgegen |271v| und es würde mich sehr freuen wenn Ew |sic| das hier gesagte zum Theil das Glück hätte, Hochderen einsichtsvolle Prüfung bestehen zu können.
In tiefster EhrerbietungEw Excellenz
Unterthäniger
F. Bopp.
Berlin den 13ten Mai 1822
Leipziger Platz N. 10
Anmerkungen
- a |Editor| Gemeint sind hier die folgenden Grammatiken:
– Wilkins, Charles: A Grammar of the Sanskrita Language (London 1808)
– Carey, William: A Grammar of the Sungskrit Language, composed from the works of the most esteemd Grammarians, to which are added examples for the exercise of the student, and a complete list of the Dhattoos or Roots (Serampore: 1806) - b |Editor| Gemeint sein könnte hier eine ungedruckte Abhandlung, die Humboldt am 3. Juni 1823 in einer Sitzung der historisch-philologischen Klasse an der Berliner Akademie vorgetragen hat: Herr von Humboldt über Infinitif, Gerund und Supin in der allgemeinen Grammatik (s. BBAW Archiv, II-V, 142, 164).
Über diesen Brief
Quellen
In diesem Brief
- Bopp, Franz (1819): Nalus, Carmen sanscritum, e Mahàbhàrato; edidit, latine vertit et adnotationibus illustravit Franciscus Bopp, London u.a.: Cox and Baylis
- Bopp, Franz (1816): Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache, Frankfurt/Main: Andreä
- Carey, William (1806): A Grammar of the Sungskrit language, composed from the works of the most esteemed Grammarians, to which are added examples for the exercise of the student, and a complete list of the Dhattoos or Roots, Serampore: Mission Press
- Hamilton, Alexander (1810): Hitopadesa in the Sanskrita language, London: Cox, Son, and Baylis
- Hitopadeśa
- Nalus
- Rāmāyana
- Schlegel, August Wilhelm von (Hrsg.) (1820–1830): Indische Bibliothek. Eine Zeitschrift, Bonn: [Weber]
- Wilkins, Charles (1808): A Grammar of the Sanskrita Language, London: Bulmer, Black, Parry and Kingsbury
- Wilkins, Charles (1815): The Radicals of the Sanskrita language, London: Cox and Baylis
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