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  3. Nr. 252

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 29.06.1822

|272r| Eurer Excellenz

gnädiges Zuschreiben welches ich vor 8 Tagen erhalten, ha würde ich sogleich beantwortet haben, wenn ich mich nicht vorher nach einigen neuen Beispielen hätte umsehen wollen, in welchen das Gerundium auf  Sankskrit {tvā}, als betrachtet passivische Bedeutung haben müßte. Sie sind nicht sehr häufig, aber um so mehr muß man sich Glück wünschen wenn man eines findet, weil sie zum Beweise der Sache von großer Wichtigkeit sind. Es freut mich recht sehr zu erfahren daß Ew Excellenz eine Bearbeitung dieses Gegenstandes bald vollendet haben, und ich wünschte daß Hochdieselben |272v| deren Beförderung zum Drucke nicht lange verschieben möchten, um dieselbe gemeinnützig zu machen.

Ich glaube selbst daß man den Ursprung der Form auf tvâ nicht vollkommen beweisen könne, es gibt überhaupt in der Grammatik manche Gegenstände worüber man eine Ansicht hegen kann, die <man> niemals ** mit unumstößlichen Gründen darzuthun im Stande ist. Vieles spricht dafür daß tvâ eine Instrumental-Endung sey, die Form auf  Sankskrit {ya} ist aber freylich geeignet um eine durch viele Gründe gewonnene Ueberzeugung etwas zu erschüttern. Es besteht allerdings einige Analogie zwischen dem Gerundium auf  Sankskrit {ya} und dem participium auf  Sankskrit {ya}, in Bedeutung dem Lateinischen auf ndus entsprechend. Die Analogie ist jedoch nicht durchgreifend,  Sankskrit {kṛ} z B hat im Gerundium  *   Sankskrit {kṛtya} und ebenso in besagtem part. oder auch  Sankskrit {kārya}, aber  Sankskrit {ci} hat im Gerund.  Sankskrit {citya} und im part.  Sankskrit {caya},  Sankskrit {dā} hat im Ger.  Sankskrit {dāya} und im part.  Sankskrit {deya},  Sankskrit {bhū} hat  Sankskrit {bhūya} und im part.  Sankskrit {bhavya} etc – Man könnte die gerundia eintheilen |273r| in solche woran < *> die CasusEndungen zu erkennen sind deren Verhältnisse sie ausdrücken, wie im Lateinischen di, do, dum und wahrscheinlich im Sanskrit  Sankskrit {tvā}, und in solche die ein Casusverhältniß ausdrücken ohne daß man die entsprechende Endung erkennen kann. Hierzu wäre die Form auf  Sankskrit {ya} zu nehmen, im Latein. der Infinitiv (Ew Excellenz halten nach meiner Ueberzeugung mit Recht das Gerund. und Supin. für eine Art von Infinitiv), welcher meistens ein AccusativVerhältniß ausdrückt, zuweilen auch denn |sic| Nom. aber niemals den Genitiv, denn hier tritt das Gerund. auf di ein – und doch ist weder ein Accusat. Charakter noch das Nomin. Zeichen am Infinitiv zu erkennen. Auf dieselbe Weise ist an Adverbien zum Theil eine<die> Casusendung zu erkennen dessen Verhältniß sie ausdrücken, zum Theil nicht

Es könnte lange dauern biß wir ein 2tes Beispiel wie  Sankskrit {dūramapavāhya}  Sankskrit {nṛpātmajau} finden, in welchem aber das regierte Wort der Form nach nicht auch |273v| der Nominativ seyn <könnte>. Ich habe das 2te und einen großen Theil des 3ten Buchs des Hitopa. in dieser Absicht durchlesen und kein passendes Beispiel gefunden, doch traf ich ein Beispiel wo das Geru. als Partizip betrachtet passivirte Bedeutung haben müßte. Leider haben mir Treuttel u Würz statt der Londoner Ausgabe des Hito. die Colebrookische geschickt, welche ich jetzt doppelt besitze, ich kann nun Ew Excellenz die Seite nicht angeben. Es befindet sich in der 5ten Fabel des 2ten Buches, in der Serampurer Ausgabe auf der 20ten Seite vom Anfange des 2ten Buchs an gerechnet, in einem großen Stück Prosa welches mit den Worten anfängt  Sankskrit {rājāha}  Sankskrit {kathametat}  Sankskrit {damanakaḥ}  Sankskrit {kathayati}. Das Beispiel heißt:

 Sankskrit {tataḥ}  Sankskrit {saṃjīvaka}  Sankskrit {ānīya}  Sankskrit {darśanaṃ}  Sankskrit {kāritaḥ}

Hierauf wurde Sanjivaka, nach Herbeyführung <zu> sehen veranlaßt ( actionem videndi facere factus est) dh er wurde dem König vorgestellt, es wurde ihm der Anblick des Königs vergönnt. Als Partizip müßte man |274r| übersetzen: hierauf wurde Sanjîvaka, herbey geführt, zu sehen veranlaßt. Wilkins übersetzt umschreibend: Damanaka and Karâttaka brought Sanjîvaka and introduced him to the lionVielleich |sic| las er  Sankskrit {saṃjīvakaṃ}.

 Sankskrit {saṃgrāmajidvidvān} sind 2 Nominative.  Sankskrit {saṃgrāmajit} und  Sankskrit {dharmmabhat} sind durch das sogenannte Suffix kvip gebildet ( Wilkins p. 458 Reg. 805).

Ich fühle mich fest überzeugt daß das Partizip. auf  Sankskrit {ta} bloß bey verbis neutris aktivirte Bedeutung <habe>, diese verba haben aber zuweilen das Ansehen von eigentlichen aktiven z B Nalus p. 102. sl. 74

 Sankskrit {tulyatāṃ}  Sankskrit {prāptā} Gleichheit erlangt habend – eigentlich in Gleichheit gegangen seind<seyend>. p. 126 sl 28  Sankskrit {vyuṣṭā}  Sankskrit {rajanī} die Nacht zugebracht habend – eigentlich gewohnt habend. Die Art wie Schlegel  Sankskrit {ṛte}  Sankskrit {tāṃ} erklären will scheint mir sehr gezwungen und unbegreiflich. Ich kann nicht glauben daß  Sankskrit {i}   Sankskrit {iṣṭa},  Sankskrit {hata},  Sankskrit {ṛta} jemals sehend, tödtend, nehmend |274v| bedeuten könne. Es gibt Präpositionen welche den accusat. regieren, wie es deren gibt die den Instrument. regieren, z B  Sankskrit {vinā} ohne, z B  Sankskrit {tena}  Sankskrit {vinā} ohne diesen. Ich wünschte daß Schlegel im 3<4ten> Heft seine Ansicht über die Präpositionen etwas ausführlicher entwickeln möchte. Er ist sehr kühn und voll Zuversicht in seinen Behauptungen, ich sah mich daher verl<veranlaßt> in einer Rezension des 2ten und 3ten Heftes seiner Bibliothek ihm manches zu widersprechen was ich aber mit Anführung vieler Gründe gethan habe. Ich hoffe daß diese Rec. jetzt in Göttingen unter der Presse ist, und ich bin auf das einsichtvolle Urtheil Eurer Excellenz sehr begierig, in Bezug auf die Fälle wo <ich> anderer Meinung als Schlegel bin.

Ich arbeite jetzt fleißig an einer SanskritGrammatik und werde mir die Freyheit nehmen vor meiner FerienReise Eurer Excellenz einige Kapitel zu zu schicken, da Ew Excellenz die Gnade hatten |275r| mich Ihrer wohlwollenden Theilnahme an dieser Arbeit zu versichern und da ich ein großes Gewicht auf den Rath lege, womit Hochdieselben mich bey diesen Untersuchungen unterstützen könnten. Ich habe die Casuslehre ganz in allgemeinen Regeln durchgeführt, ehe ich zu der besonderen Deklinations-Eintheilung geschritten, in den bestehenden Grammatiken hat man wie mir scheint zu sehr vernachläßigt auf die Bande aufmerksam zu machen, was das anfänglich verschieden scheinende an einander knüpft.

Der Apparat für die Sanskrit Typen ist seit geraumer Zeit hier angekommen

An meiner Wahl zum Mitglied der Akademie haben Ihre Excellenz wahrscheinlich noch Theil genommen. Ueberhaupt glaube ich daß ich in dieser Beziehung Eurer Excellenz besonderen Dank schuldig bin. Die Nachricht über eine so ausgezeichnete mir zu Theil gewordene Ehre war mir recht erfreulich. Ich hoffe daß es mir in dem weiten Gebiete der Sprachforschung an interessantem Stoff zu Abhandlungen nicht fehlen werde. |275v| Die Littauische Lettische und Altpreußische Sprache haben mich seit einiger Zeit besonders in Anspruch genommen, und ich denke es zu versuchen in einer Abhandlung deren Verwandschaft zu dem Sanskrit auseinander zu setzen.

In tiefster Ehrerbietung
Ew Excellenz
Unterthäniger
Bopp
Berlin den 29ten Juni 1822

Über diesen Brief

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Folgebrief

Quellen

Handschrift
  • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 21, Bl. 272–275
Druck
-
Nachweis
  • Mueller-Vollmer 1993, S. 165f.
Zitierhinweis

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 29.06.1822. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/252

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