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  3. Nr. 313

Jakob Friedrich Fries an Wilhelm von Humboldt, 26.–27.01.1827

|99r| Hochwohlgeborner Herr
Hochzuverehrender Herr Staats-Minister

Euer Excellenz gütigem Auftrage gemäß wendete ich mich an Herrn Reichel, der ein Mitglied der Herrnhutischen Direction in Berthelsdorf ist, und bat ihn eine Reihe von Fragen zu beantworten. So eben erhalte ich seine Antwort und übersende beyfolgende Beylagen derselben, welche Herr Reichel Euer Excellenz mit der Aeußerung überreichen läßt, daß es ihm eine wahre Freude seyn werde, wenn etwas davon Euer Excellenz irgend erwünscht wäre.

In der Hauptsache, das Arawackische betreffend ist mir Herr Prediger Anders[a] zuvorgekommen, |99v| die dies betreffenden Papiere werden schon in Ihren Händen seyn. Vielleicht daß die hier folgende kleine Nachlese doch auch noch einiges Interesse gewährt. Zu dem übersendeten macht mir Herr Reichel noch folgende Bemerkungen.

1., Grönland- und Eskimosprache habe er nicht erwähnt, voraussetzend, daß die darüber erschienenen Schriften Euer Excellenz bekannt seyn werden. Grönländische Grammatik und mancherley Übersetzungen habe Fabricius in Kopenhagen herausgegeben. Was die Herrnhuter hätten grönländisch drucken lassen, sey leicht durch den Buchhandel zu beziehen. Im Eskimodialect hätten sie wohl nichts drucken lassen, aber die Londoner Bibelgesellschaft habe das ganze neue Test. darin herausgegeben, welches aus London also leicht zu bekommen ist.

|102r| 2., Bemerk. Herr R.: wenn man sich erinnert, was unsre ersten Missionarien im Erlernen der schwersten Sprachen geleistet haben, so möchte man sich über die jetzigen manchmal ärgern. Als man die Cherokee-Mission anfing, wurde von den Missionarien ohne weiteres vorausgesetzt, daß die Sprache unerlernbar sey: aber Theodor Schulz (früher Arawacken-Missionar, jetzt Administrator der Unitäts-Besitzungen in Nord-Carolina) schreibt mir nach seinem dort gemachten Besuch, daß er sich durch Unterredung mit Kindern überzeugt habe, die Sprache sey leicht zu erlernen.

3., sagt er noch: der kindischen Sprachen, welche die Neger im dänischen Westindien und in Suriname sprechen habe er auch nicht erwähnt, indem die eine ein verdorbenes Holländisch oder plattdeutsch, die andere aus dem Englischen |102v| mit Zusatz von spanischen und Negerwörtern gebildet sey. Zu beyden sey einiges gedruckt, was er selbst besitze. Wenn Euer Excellenz irgend daran gelegen sey, so stehe er mit Freuden zu Befehl.

Dies ist denn alles, was ich bis jetzt zu Erfüllung Ihres Auftrages zu leisten weiß. Stets werden mir die schönen Tage, in denen ich Sie persönlich kennen lernte, stets wird mir die freundliche Art, mit der Sie mir Ihre nähere Bekanntschaft schenkten, in lebendiger und erfreuender Erinnerung bleiben. Ich bitte Euer Excellenz um Ihr ferneres gütiges Andenken und empfehle mich Ihnen aufs angelegentlichste.

Mit schuldiger Verehrung
Euer Excellenz
gehorsamster Diener
J. F. Fries
Jena dem 26 Januar 1827.


|100r| Nachschrift.

Als ich eben im Begriff war, beyfolgendes Packet zu siegeln, empfing ich Euer Excellenz gütiges Schreiben vom 23. Januar, wofür ich ergebenst danke. Sie fordern mich auf zu übersenden, was ich etwa noch nachträglich erhalten würde, daher nehme ich mir die Freyheit, Ihnen die Sache auch jetzt noch grade so vorzulegen, wie ich sie entworfen hatte.

Ich empfehle mich nochmals Euer Excellenz gütigem Andenken.

den 27 Jan. 1827.
J. F. Fries.

|100v vacat|


|Anhang|

|101r| | Handschrift Reichel| Beantwortung von 4 in einem Briefe von Hofrath Fries an mich gerichteten Fragen.

1. In Beziehung auf amerikanische u. afrikanische Sprachen im allgemeinen ist zu bemerken:

a., für Erlernung von afrikanischen Sprachen ist bis jetzt von unsern Missionarien noch gar nichts gethan worden. Süd-Afrika ist der einzige Punkt in diesem Welttheil u. in der Kolonie wohnende Hottentotten das einzige Volk, auf welches sich bis jetzt unsre Missionen erstreckt haben. Letztere sprechen alle Holländisch, u. viele von ihnen verstehn gar keine andere Sprache. Es haben sich von Zeit zu Zeit einzelne Hottentotten aus dem Innern des Landes u. auch etl. Kaffern u. Tambukkis zu unsern Missionen eingefunden, die nur ihre Landessprache redeten, u. mit welchen die Missionarien durch Dollmetscher verkehren mußten. Ich zweifle aber, ob letztere mehr od. auch nur so viel von der Hottentotten u. Kaffern-Sprache erkundet haben, als man in Lichtensteins Reise[b] findet. Andere (englische) Missionsgesellschaften haben Missionen sowohl unter binnenländischen Hottentotten (Namaquas, Korannas) als unter Kaffern u. verwandten Stämen, Betschuanen, Tambukkis p. u. verkehren mit denselben in ihrer Sprache. Ich zweifle indeß, ob bis jetzt schon etwas in Einer derselben in Europa gedruckt ist: gewiß indeß ist, daß schon vor ein p. Jahren auf einer dieser Missions-Stationen im Kaffernlande eine Druckerpresse angekommen ist, um durch dieselbe kleine Schriften drucken u. unter der Nation verbreiten zu können, welches ohne Zweifel auch schon geschehen ist.

b., In Amerika haben wir gegenwärtig <Grönland u. Labrador ausgenommen> nur eine einzige Mission, zu Neufairfield in Ober-Kanada, wo unsre Missionarien in der Landessprache (delawarisch) mit den Indianern verkehren. Davon ad n°. 2<3>.,

2., Über die Arawackische Sprache wird den Wünschen des H. Minister v. Humboldt hoffentl. Genüge geschehen durch eine mit heutiger Post an ihn abgehende Sendung. Wir waren nemlich – auf dessen unmittelbar an unsre Direktion gerichtete Anfragen – so glückl. bey der Tochter des sel. Christlieb Quandt Grammatik[c], Wörterbuch u. mehrere aus dem N. Testament übersetzte Stücke in arawackischer Sprache zu finden, welche sie abzulassen erbötig ist.

|101v| Ein zugleich mit dieser Sendung erfolgendes PMem.[d] beantwortet mehrere Fragen des Hn. Ministers, welches daher hier nicht zu wiederholt werden brauchen.

3., Die nordamerikanischen Sprachen betreffend folgen hier ein paar Kleinigkeiten, die sich in meinem Besitz befanden: neml. ein Dalawarisches Buchstabir-Buch u. ein, von H. Theod. Schulz zu Salem (Stokes-County North-Carolina) uns zugesandtes neu erfundenes Cherokee-Alfabet[e] |sic|. Die von ihm darüber mitgetheilten Notizen finden sich auf dem Blättchen beigeschrieben. – Hier bey der Unitäts-Direktion haben wir bloß ein Delawarisches Gesangbuch. Auch dies lege ich für den Hn. Minister |: wenn demselben damit gedient seyn sollte :| bey. Es ist Mehr in der Delaware-Sprache gedruckt worden; unter andren vor etl. Jahren etwas aus dem neuen Testament. |: ich besinne mich nicht mehr ob eines der 4 Evangelien oder eine Harmonie der 4 Evangelisten[f] :| aber nicht an uns gelangt. Mein Freund, H. Ludw. David v. Schweiniz zu Bethlehem (Northampton-County Pennsylvania) würde darüber nicht nur die beste Auskunft geben können, sondern auf Verlangen gewiß gern erbötig seyn, die in gedachter oder auch andern Indianer Sprachen gedruckten Sachen zu verschaffen. Ich selbst werde vorläufig deswegen an ihn schreiben, so wie auch an Hr Th. Schulz in Salem, der – wenn etwas in Cherokee-Sprache gedruckt ist, dies am ersten wird verschaffen können. Joh. Heckewälder’s (eines ehemaligen Missionars der BrüderGemeine) verschiedene Schriften über die Indianer enthalten vermutl. auch Mehreres über deren Sprachen. Wenigstens glaube ich mich zu erinnern, daß dergleichen vorkommen in seiner (in einer deutschen Übersetzung zu Göttingen (wo ich nicht irre) herausgekommenen) Nachricht von den Sitten Gebräuchen u der Geschichte der indian. Völkerschaften p. [g] Von einer Grammatik der delaw. Sprache habe ich bis jetzt noch nie gehört: es ist aber kaum zu zweifeln, daß bey unsern Missionarien etwas der Art vorhanden ist.

4., "Ob bey unsern westind. Missionaren wohl neuere Kenntnisse von afrikanischen Sprachen, als die von Quandt (soll heißen: "Oldendorp") mitgetheilten zu finden sind"? Antwort: Nein; nach allen darüber eingezogenen Erkundigungen, dergleichen ich selbst aus Interesse an der Sache, mehrmals bey besuchenden od. zurückkehrenden Missionarien gemacht habe.

Berthelsdorf 11. Jan. 1827.
Sam. Christlieb Reichel

Anmerkungen

    1. a |Editor| Bei dem Prediger Anders kann es sich um den späteren Bischof Johann Daniel Anders handeln, der 1847 starb. Von 1829 bis 1835 ist ein Bruder Johann Daniel Anders in der Moravian Church in Bethlehem (Pennsylvania) belegt. [FZ]
    2. b |Editor| Martin Hinrich Carl Lichtenstein (1780–1857), Arzt und Zoologe, reiste zwischen 1802 und 1806 nach Südafrika; sein Reisebericht erschien 1811/12 unter dem Titel: Reisen im südlichen Afrika in den Jahren 1803, 1804, 1805 und 1806, Berlin: Salfeld. [FZ]
    3. c |Editor| Theophilus Salomo Schumann (1719–1760), Missionar der Brüdergemeine, hat während seines Aufenthalts in Surinam eine Grammatik der arawakischen Sprache verfasst, die über die Sammlung Büttner in die Universitätsbibliothek Jena gelangte. Von diesem Original hatte sich Quandt eine Abschrift gemacht, die Humboldt dessen Erben abgekauft und mit dem Exemplar in Jena vergleichen hat; siehe Georg Reutter (2006): Wilhelm von Humboldts linguistisches System. Seine Position in der Geschichte der Sprachwissenschaft , Berlin, S. 201.
    4. d |Editor| Promemoria
    5. e |Editor| Das von Sequoyah erfundene Alphabet wurde von Schulz abgeschrieben.
    6. f |Editor| Siehe hier: Samuel Lieberkühn / David Zeisberger (1821): Elekup Nihillalquonk woak Pemauchsohalquonk Jesus Christ. The history of our Lord and Saviour Jesus Christ: comprehending all that the four Evangelists have recorded concerning him ..., New York: Daniel Fanshaw, – Preface datiert 1806.
    7. g |Editor| Im englischen Original erschienen unter dem Titel: Account of the History, Manners, and Customs of the Indian Nations who once inhabited Pennsylvania and the Neighboring States. In: Transactions of the Historical and Literary Committee of the American Philosophical Society Nr. 1, 1819, S. 1–437.

    Über diesen Brief

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    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 52, Bl. 99–102
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 211
    Zitierhinweis

    Jakob Friedrich Fries an Wilhelm von Humboldt, 26.–27.01.1827. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/313

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