Wilhelm von Humboldt an Carl Eduard Meinicke, 11.02.1834 (Konzept des Briefes vom 16.02.1834)
|192r| An Hr. Oberlehrer Dr. Meineke
Wohlgeboren in Prenzlow
Tegel den 11.t Februar 1834.
Ich bin Ew. noch meine Meinung über die Malayische Partikel de zu sagen schuldig, und will versuchen, diesen Punkt, der allerdings große Schwierigkeiten hat, soweit aufzuhellen, als es meine Kenntniß des Malayischen vermag. Marsdens Meinung darüber ist Ihnen selbst bekannt, und Ew. besitzen, wie ich aus Ihrem Briefe schließen muß, seine Grammatik. Wo ich bloß Seitenzahl ohne Verfasser citire, meine ich diese letztere.
Werndlij und
Roorda erwähnen in ihrer
Conjugation des
Marsdenschen Aorists des Activum gar nicht, obgleich der
erstere einmal eine Redensart dieser Gattung ganz wie
Marsden übersetzt. Nach ihnen ist
de eine das Passivum anzeigende Partikel. Sie bilden
dafür ein vollständiges |wvh|
Paradichma<Paradigma> |
Schreiber| des Passivum, in welchem das gewönliche Pronomen durch
alle Personen zuerst steht, dann do, und hierauf das Verbum, aber ohne angehängtes |
wvh|
nya
<
nia> |
Schreiber| folgt,
iya de pukul, er wird geschlagen u. s.
f.
Robinson (
Malayan |wvh|
Orthograpy S. 46.<
Orthography S. XLVI.>)
|
Schreiber| bestreitet
Marsdens Meinung überhaupt nicht,
fügt aber hinzu, daß de oft auch das Praesens und den
Infinitiv andeutet. Beides meint er jedoch wie es scheint vom Activum. Das |192v| Passivum erwähnt er durchaus nicht.
Ich glaube, daß man de gar nicht für eine Flexion des Verbum ansehen kann, sondern daß es ein Bestandtheil von
Redensarten ist, welche an die Stelle wahrhafter Formen sehr oft in den Sprachen
treten, die einer vollständigen |wvh|
Grammatischen<grammatischen> |
Schreiber| Ausbildung entbehren. Ueber die Natur der Partikel
selbst erlauben Sie mir ganz zuletzt zu enden. Zuerst wünsche ich mich nur über
die Natur der Redensarten welche sie bildet auszusprechen. |
wvh|
Unter<Unter> |
Schreiber| den
vielen von
Marsden angeführten Beispielen
bleibe ich zuerst bei dem S. 66 Z. 5 u. 6 v. u. stehen. Meiner Meinung nach ist
in dieser
amba nicht, wie
Marsden will, der Accusativ,
sondern wie gewönlich der Nominativ, und ebenso
arta amba meine Sachen, de muß übersetzt werden durch das Verbum sein, |
wvh|
būkul
<
pūkul> |
Schreiber| und
rampai sind hier keine Verba, sondern Nomina,
nia ist nicht, wie
Marsden will, der Nominativ,
sondern die dritte Person des Besitz-Pronomens wie immer. Wörtlich heißt also
die Redensart: ich war sein Schlagen,
die Sachen mein<Sachen meine> waren seine
Plünderung. Allgemein gefaßt |
wvh|
stellen also<setzen> |
Schreiber| diese Redensarten Nominal Ausdrücke an die Stelle von
|
wvh|
Nominalen<verbalen>, |
Schreiber| und |
wvh|
<gewähren> |
Schreiber| im Ganzen die Ansicht, |194r| als[a] befände sich die leidende Person des Verbums begriffen in der Handlung der thätigen. Wenn statt des
Besitzpronomens das Substantivum selbst steht, halte ich dasselbe ebenfalls für
den Genetiv. So S. 60 Z. 7. v. u. damit er sei die Hinrichtung des Königs. Wenn
die Redensart in ihrer einfachsten Gestalt |
wvh|
Weder<weder> |
Schreiber| Pronomen noch Nomen vor sich hat, hinten aber das Besitz
Pronomen mit sich führt, so kann nur ein
unbestimmtes Sein ausgedrückt werden. S. 66 Z. 9. v.
u. Es war sein Verweilen. Wenn vorn das Pronomen steht, aber kein Besitz
Pronomen folgt, wie amba de |
wvh|
būkul
<
pūkul> |
Schreiber| so ist der Handelnde nicht ausgedrückt, sondern der
Sinn ist bloß: ich war das Schlagen[b]
Ew. werden bemerken, daß hier in dem Beispiel S. 60 Z. 9 v. u. das Besitz
Pronomen nicht, wie in den andren auf den Leidenden geht; die Handlung wird ihm
zugeschrieben. Das Besitz Pronomen scheint auch nur da zu stehen, wo |wvh|
weder<entweder> |
Schreiber|
der Leidende, |
wvh|
noch<oder> |
Schreiber| der
Handelnde sonst |
wvh|
<nicht> |
Schreiber| angezeigt sind.
Es würde mir nicht einfallen, eine Meinung
Marsdens zu bestreiten, der
vollkommen dieser Sprache mächtig ist. Aber gerade dies
nia zwingt mich dazu. Er |wvh|
hällt<hält> |
Schreiber|
dasselbe, so wunderbar es auch scheint, ihn dessen zu beschuldigen, offenbar für
ein abgekürztes persönliches, ganz gleich mit
diya. Hiervon fin-|194v|
findet |sic| sich doch nun aber in der ganzen übrigen Sprache |
wvh|
<besonders im Nominativ> |
Schreiber| kein Beispiel,
und so lange man also durch eine andere Erklärung den gewönlichen Gebrauch
dieser Silbe festhalten kann, muß man es, glaube ich, thun. Er selbst scheint
schon gewissermaßen ungewiß gewesen zu sein. Denn es ist auffallend, daß, da er
in seinen |
wvh|
Paradichmen<Paradigmen> |
Schreiber| von den übrigen |
wvh|
Zeichen<Zeiten> |
Schreiber|
immer mehrere Personen von der ersten angiebt, sein Aorist durchaus nur die
dritte aufführt, so wie auch, daß niemals in einem seiner Beispiele
iya, seiner Theorie nach, als Nominativ
hinter dem Verbum in diesen Redensarten steht. Bloß in
einem Futurum S. 81. giebt er einmal eine erste Person mit
amba hinten.
Hiervon ausgehend, hat mich ferner zu meiner Erklärung bestimmt der Umstand
geführt, daß das angebliche Verbum, wenn de davor steht, niemals in eines der Zeichen
an sich trägt, welche im |wvh|
Malayischen,<
Malayischen> |
Schreiber| das Verbum auch nach seiner
grammatikalischen Form ausschließlich |
wvh|
bezeichnen<andeuten>, |
Schreiber| ja vielmehr geflissentlich dieselben abwirft. Hiervon
giebt
Marsden selbst |
wvh|
zwei<mehrere> |
Schreiber|
vortreffliche Beispiele S. 84 Z. 7. v. u. wo
memandang hinter de sich in die Nominalform
pandang verwandelt und S. 85 Z. 8.
<v. u.>, wo
Marsden dies selbst sehr gut
gefühlt hat, und die Beispiele schlagend sind. Hierzu kommt, daß
Werndlij (Neue |
wvh|
Angelbeker<
Angelbeckische> |
Schreiber|
Ausg. 1823. S. 108 |195r| § 215 ausdrücklich
sagt, daß die Anhängung von ku, mu und nia das Verbum,
welchem sie angehängt werden dadurch in ein selbständiges Nomen verwandeln,
welches mit andren Worten soviel heißt, als daß sie alsdann Besitz Pronomina
sind. Denn alsdann liegt diese Verwandlung in ihrer Natur selbst.
H Aus |wvh|
diesen Allem<diesem Allen> |
Schreiber| schließe ich, daß das angebliche Verbum hier als Nomen anzusehen ist. Die Malayische<n> Sprache<n> haben eine sichtbare
Schwierigkeit, das Verbum grammatisch zu bezeichnen, und
umgehen dasselbe sehr oft durch wirkliche Nominal Constructionen.
Ist nun hier ein Nomen mit dem Verbum sein ausgedrückt,
so darf man sich nicht wundern, daß de für alle Zeiten
und auch für den Infinitiv gebraucht wird. Das Nomen verlangt an sich keine Zeit
und der Sinn der Rede muß ergeben, welche gerade gemeint ist. Es scheint mir
sehr merkwürdig, daß im Javanischen, wo Nomen und Verbum sich oft durch bloße Veränderung des
Anfangs Consonanten angedeutet |wvh|
finden<werden>, |
Schreiber|
es einen Fall giebt, wo Praeteritum und Futurum durchaus nur am Sinn zu erkennen
sind, daß aber in diesen Fällen der gewönlich dem Verbum
angehörende Buchstabe in den dem Nomen |
wvh|
zukommende<zukommenden> |
Schreiber| verwandelt wird. Das Verbum
wird seiner |
wvh|
nothwendigsten<nothwendigen> |195v|
|
Schreiber| Bedingung<,> der Zeit<,>
beraubt und verliert also auch seine phonetische Bezeichnung[c]
Hierauf kann ich nun auch nicht der Meinung der Holländer beitreten, welche de geradezu zu einem Passiv-Zeichen machen. Der Sinn der
hier betrachteten Redensarten ist zwar meistentheils ein passiver, doch nicht
immer ein ganz und genau so zu nehmender.
Marsden aber versucht auch nicht
einmal den Widerspruch zu erklären, der offenbar darin liegt, daß er dieselben
auf der einen Seite zu Formen des Activum macht, und auf der andren ihre passive
Natur selbst ausdrücklich behauptet. Wenn das Verbum gar
kein Verbum ist, so läßt sich eher begreifen, daß in
einer Verbindung des Verbum Sein mit einem Nomen zwar gewönlich ein passiver Sinn liegen wird, daß
aber auch ein activer daraus hervorgehen kann. Das Beispiel S. 65 Z. 15 scheint
zwar dem Worte
būnoh einen activen Sinn beizulegen, da
akan diya im Grunde nur Accusativ ist.
Indeß bleibt
akan, wie man deutlich aus dem Beispiel
Z. 6 v. u. sieht, immer die
Praepositions<Praeposition> gegen und die Redensart heißt also genau: es sei nicht Tödtung gegen
ihn. Indeß kommen hier einige Fälle vor, die allerdings nicht so einfach zu
erklären sind, und wo es scheint, als würde |wvh|
in der Construction<im regimen> |
Schreiber| doch das |196r| Wort als ein Verbum betrachtet. |
wvh|
Z. B.<Im Beispiel> |
Schreiber| S. 84 Z. 9 v. u. ist dies weniger deutlich, da
ōrang nicht Accusativ zu sein braucht,
sondern Genetiv sein kann. Aber S. 60 Z. 8 v. u. wo, meiner Ansicht nach,
allah schon Genetiv ist, läßt sich dies
von
pūasā-nia nicht gut annehmen. Ebenso
wenig halte ich dies Wort für den Nominativ, wie er sonst wirklich oft vor de steht. Ich glaube vielmehr, daß der Begriff des
Empfangens auf das Object als Accusativ geleitet hat. Ein ganz ähnliches
Beispiel ist S. 66 Z. 6 und 7. Wenn Völker in ihren Sprachen den Weg der
richtigen Formenfindung verfehlen, so leitet sie doch ein dunkles Gefühl dahin,
die von ihnen an die Stelle der wahren Formen gesetzten Surrogate den ersteren
so nahe als möglich zu bringen.
2.
Ich komme nun auf die Bedeutung von de, und glaube, daß man hier nur zwischen zwei Meinungen schwankend bleiben kann. Es ist nicht unwahrscheinlich ganz und gar dieselbe Praeposition in, bei, an, die sich mit Substantiven ganz gewönlich verbindet, und alsdann muß es in allen ad. 1. erwähnten Redensarten durch in übersetzt werden, so daß davor das Verbum Sein ausgelassen bleibt. Also<bleibt, also> das Beispiel S. 102 Z. 10. 11. v. u. meine Pflanzungen (waren) in der Zerstörung der Elephanten.
Die Partikel könnte aber auch das Verbum Sein
|196r| selbst sein. Im Javanischen ist das gewönlichste Passiv Zeichen
di und es ist mir höchst wahrscheinlich, daß diese
Silbe eine Abkürzung des Javanischen
dadi, werden, ist. In diesem Fall wäre
|wvh|
de,<
de (das vielleicht von
jādi
käme)> |
Schreiber| in den genannten
Redensarten von der Praeposition verschieden, oder diese käme vielleicht vom Verbum her. Für diese Erklärung spricht der Umstand,
daß, wie
Marsden mit Beispielen belegt, de sogleich wegfällt, als
āda in der Redensart gebraucht wird,
|
wvh|
waß<was> |
Schreiber| ich mir
nicht zu erklären weiß, wenn de Praeposition ist.
Dennoch scheint es immer gewagt, dies Wörtchen von der Praeposition gänzlich zu
trennen und eine Etymologie desselben anzunehmen, die sonst durch nichts
unterstützt zu werden scheint.
Ein Gebrauch der Partikel de ist höchst wunderbar, der
nämlich, wo es unmittelbar nach andren Prepositionen |sic| gebraucht wird.
(S. 85. 86) Dieser Gebrauch scheint auch dafür zu sprechen, daß de das Verbum Sein selbst ist.
Denn alsdann läßt sich das |wvh|
z. B.<Beispiel> |
Schreiber|
S.
84<86> Z. 4. 5. vom übersetzen: vom
Sein Sehen der Menschen, welche fremd zu ihr.
Indeß kann man auch nicht dafür einstehen, ob nicht der ursprüngliche Sinn
dieser sogenannten Praepositionen und eine abgebrochene Constructionsart diese
Fügungen nicht dennoch |
wvh|
<so> |
Schreiber| erklären |
wvh|
kann.<kann, daß de Praeposition
bleibt.> |
Schreiber| So könnte das
Beispiel S. 86. Z. 6 vielleicht wörtlich zu |197r| übersetzen sein: die
Ursache in Verkauf.
Dies ist das Wesentliche, was ich, nachdem ich jetzt ausdrücklich noch einmal die ganze Materie wohl erwogen habe, Ew. darüber zu sagen weiß. Ew. scheint mir immer mehr Zusammenhang in die verschiedenen Bedeutungen und Anwendungen der Partikel zu bringen, als die Marsdensche Behandlungsart. Denn es läßt sich kaum denken, daß irgend eine Sprache einer und eben derselben Silbe so verschiedenartige Bedeutungen geben könne, als Marsden nach S. 84 bis 86 darin f in de finden will.
Sollte Ew. jedoch meine Ansicht nicht befriedigen, so bitte ich Sie, mir Ihre Einwendungen gütigst mitzutheilen. Ich habe, damit Sie Ihre Anmerkungen für sich gleich am Rande machen könnten, diesem Briefe die ungewönliche Form gebrochener Bogen gegeben.
|197v–198v vacat|
|193r Einlage|
de
Marsden Gr. 60. 65. 69. 70. 71. 72. 73. 82. 83. 84. 91. 94.<97> 102. 49.
Vgl. 90. se – 106. possess. 50.
Werndlij Inf. praes. pass. 78. ganze Pass.-Praep. di 87. | 103. Pass. | NB. 108. §. 215. p. 120. §. 240. p. 121. 126. §§. 251 .
Mscpt. 269. 185. 187. 272. 273. 333. nt. 1. 282. 284. 397. 181. 190. 261.
Roorda XIV. Lex. v. د de
Robinson. XLVI.
Construct.
Acc. reg. vom Wort mit de nr. 60. Z. 8. v. u. S. 61. Z. 2. S. 66. Z. 7
Act. Sinn S. 65. Z. 14. 15.
1. Person. 81.
Abwerfen d. Verbal-Praef. S. 84. Z. 6. v. u. 85. Z. 11
mit Praepos. davor. 80
|193v vacat|
Anmerkungen
- a |Editor| Eingefügt aus der Kustode. – Zwischen Bl. 192 und 194 liegt ein einseitig beschriebenes Blatt (Bl. 193) mit Notizen Humboldts mit Stellenangaben u. a. aus Marsden, Werndlij, Roorda und Robinson (siehe Einlage).
- b |Editor| Fehlendes Satzschlußzeichen.
- c |Editor| Fehlendes Satzschlußzeichen.
Über diesen Brief
Quellen
In diesem Brief
- Marsden, William (1812): A grammar of the Malayan language, with an introduction and praxis, London: Cox & Baylis
- Robinson, William (1823): An attempt to elucidate the principles of Malayan orthography, Fort Marlborough: The Mission Press
- Roorda van Eysinga, Philippus Pieter (1824): Nederduitsch en Maleisch woordenboek, Batavia: Lands Drukkerij
- Werndlij, George Hendrik (1823): Maleische spraakkunst, herzien en uitgegeven op last van de hooge regering van Nederlandsch Indië door C. van Angelbeek, Batavia: Lands Drukkerij
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