1. Startseite
  2. Briefe
  3. Nr. 392

Heinrich Julius Klaproth an Wilhelm von Humboldt, 22.12.1830

|125r| Paris d. 22 Dec 1830
5 Rue d’Amboise


Um Ew. Excellenz geehrtes Schreiben vom vergangenen September gründlich zu beantworten habe ich mir die Mühe genommen alle Stellen des Schu king von neuem durchzusehen, in denen die <das> Wort nai vorkömmt. Und ich kann jetzt mit Bestimmtheit auf die drei Fragepunkte Ihres Briefes antworten.

Was den ersten betrifft so ist es nur ein Lapsus calami wenn ich gesagt habe daß nai nie ein Pronomen sei; ich wollte sagen es sei nie ein anderes als das der zweiten Person. <2)> Ich habe nai für eine Conjunction und Disjunction erklärt; ungefähr wie eine Mauer zwei Häuser verbindet und zugleich trennt, eben so verbindet oder trennt nai zwei Phrasen, wenn es noch, also auch bedeutet. Das Schu-king spricht z. B. von einem Gesange den der Kaiser gesungen, und sagt darauf, noch sang er folgenden, oder er sang aber auch folgenden. Es liegt gewiß hier in dem nai, oder noch, ein verbindender und trennender Sinn.

3. Ob wirklich ein etymologischer Zusammenhang zwischen nai dem Pronomen < du> und nai der Partikel noch vorhanden sei, ist eine Frage die ich verneinen muß, weil ich durchaus keinen |sic| Beispiel dazu finde; eben so wenig wie man im Deutschen einen zwischen du und dann <einen Zusammenhang> finden dürfte. Nai als Pronomen wird nur sehr selten gebraucht, und fast nur in Shuking; doch ist dort seine Partikelbedeutung bei weitem die vorherrschendste. Ich für mein Theil glaube daß das nai dort als Pronomen |125v| der zweiten Person schlechtweg für  Sankskrit ni du steht, und vielleicht ehemals eben so ausgesprochen wurde.

Keine einzigen |sic| der vielen Stellen des Schu king die ich nachgelesen habe giebt nur die entfernteste Idée daß nai Ortspartikel seyn könnte. Ich habe die Ehre Ew. Excellen |sic| beiliegend einige Beweise zu übersenden daß es nur noch oder du bedeute.

Was nun nun |sic| das Bild des schwer hervorgehenden Athems anbetrifft so beruht diese Erklärung auf eine |sic| von den vielen tausend falschen Erklärungen in Herrn Morrisons Wörterbuche. Die Chinesischen Lexicographen erklären unter andern  Sankskrit naï durch  Sankskrit Thsü tschi nán d. i. Zusammenhängung (oder Conjunction) der Phrasen oder der Rede. Das Wort nan bedeutet Schwierigkeit, aber auch eins mit dem anderen verbinden; diesen letzten Sinn hat Morrison übersehen, daher seine Schwierigkeit im Sprechen oder des Athems. Das Wörterbuch Schue wen, das die alten Schriftzeichen erklärt[a] sagt  Sankskrit die alte Form von  Sankskrit nai stelle den Zusammenhängenden Athem, mit dem die Rede ausgesprochen wird vor; aber von Schwierigkeit ist gar nicht die Rede.

Es würde mir angenehm seyn wenn ich durch die hier gegebenen Data dazu beigetragen hätte die fraglichen Punkte aufzuklären, und Ihrem Wünschen |sic| einigermaßen entsprochen |126r| zu haben mich schmeicheln dürfte.

Ich ergreife die Gelegenheit um Ew. Excellenz meine stete Bereitwilligkeit zu Ihrem Dienste zu bezeugen und verharre mit vorzüglicher Hochachtung und Ergebenheit Ihr
gehorsamster Diener
JHKlaproth

|126v|
A Son Excellence
Monsieur le Baron Guillaume
de Humboldt
Ministre d’Etat etc. etc. ect. |sic|
Berlin.

|127r; Beilage I und II: Mandshu- und chines. Text mit Wiedergabe der Aussprache sowie lat. Übersetzung|
|127v/128r vacat|
|128v/129r; Beilage III–V: Mandshu- und chines. Text mit Wiedergabe der Aussprache sowie lat. Übersetzung|
|129v vacat|
|130r; Beilage VI und VII: Mandshu- und chines. Text mit Wiedergabe der Aussprache sowie lat. Übersetzung|
|130v vacat|

Anmerkungen

    1. a |Editor| Das Shuowen Jiezi, das erste Zeichenlexikon der chinesischen Schrift (d.h. der kleinen Siegelschrift), wurde im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. zusammengestellt. [FZ]

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
    Schreibort
    Antwort auf
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 49, Bl. 125–126
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 202
    Zitierhinweis

    Heinrich Julius Klaproth an Wilhelm von Humboldt, 22.12.1830. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/392

    Download

    Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen

    Versionsgeschichte

    Frühere Version des Dokuments in der archivierten Webansicht ansehen