Carl Friedrich Neumann an Wilhelm von Humboldt, 19.01.1830
übersende ich hiermit gehorsamst einen kleinen Nachtrag zu meinen frühern Bemerkungen[a]. Ich schrieb, „das Chinesische 那 ná (Rém § 337) gleicht dem տա, ta der Arm. und 乃 nai dem նա na.“ – Diese meine Vermuthung wird auch von einer andren Seite her bestättigt |sic|. Wir sehen nämlich an andren chines. Wörtern, daß der Begriff des Wortes durch Anhängung eines i verstärkt oder vergrößert wird. So heißt 大 ta, groß 太 tai, sehr außerordentlich groß, und dem gemäß heißt na fern, die erste Entfernung, տա und nai, ganz fern, նա, die zweite Entfernung. Diese Bemerkung scheint mir auch deshalb interessant, weil wir hier Spuren gramatischer |sic| Categorien <sehen,> die mit dem Worte (dem Stamm) zusammenflossen, so scheint mir das i. *** Dies ist ein Zwielicht, welches aus den Zeiten herüberschimmert, wo die Stämme durch die Charaktere noch nicht auseinander gehalten wurden; denn die Sprache ward doch sicherlich lange gesprochen, ehe sie in die Charaktere eingezwängt ward. Auch wollten die Charakterbildner anfänglich von der Verschiedenheit des Ta und Tai gar keine Notiz nehmen, sie schrieben bloß 大 ta, wie der Tse gnuy[b] ausdrücklich bemerkt und später erst setzte man noch einen Punkt hinzu, 太 tai. Mehrere solche Erscheinungen, kritisch zusammengestellt, könnten wohl über den ganzen Bildungsgang der chines. Sprache ein neues Licht verbreiten. Es scheint mir daß man bey der <dieser> Untersuchung die vorzüglich darin fehlte, daß man die Schrift zu hoch hinauf rückte. Wie war die Sprache beschaffen, ehe sie geschrieben wurde, scheint bey dem ersten Anblick eine ganz curiose Frage, hat aber bey der eigenthümlichen Natur des Chinesischen, ihre recht gute Bedeutung.
Ich habe in der zu Moskau gedruckten armenischen Grammat., die Ew. Exc. Bruder mitgebracht haben[c], über սա, տա, նա nachgesehen, aber diesen Artikel sehr schlecht abgehandelt gefunden. In dem Foreign |132v| quarterly Review von Nov. 29 steht eine Notiz über ein Mexikanisches Werk, welches über alle Verhältnisse des Lebens sich der alten Mexikaner sich verbreiten soll, – es sey bald nach der Eroberung durch die Spanier geschrieben[d]. Ew. Excellenz beschäftigen sich, wie ich weiß, auch mit diesem Theil der Völkergeschichte, vielleicht interessirt Sie das Werk. Der Name des Autors ist mir entfallen, sollten Sie aber es wünschen, so werde ich Ew. Excellenz die ganze Notiz mit Vergnügen abschreiben.
Ich habe die Ehre zu unterzeichnenEw. Excellenz
ganz Gehorsamster
Neumann Prof.
Berlin 19ter Jan. 30.
|Anhang|
|136r| Die einheimischen armenischen Grammatiker nennen ս. տ. ն. bestimmende Partikeln und wissen schon daß sie das Fundament sind des persönlichen, demonstrativen und possesiven |sic| Pronomens. Vergl. Awedikean Armenische Grammatik, gedruckt <in armenischer Sprache> zu St. Lazaro im Jahre 1815. § 1070. S. 449.
Im Chinesischen findet sich auch ein Pronomen der ersten Person
in
(12406)
<(12406,> nach dem tonischen Lex. von Morrison), ein Wort welches ursprünglich wechselseitig geben bedeutet. Der ursprüngliche
Charakter war rein symbolisch; er stellte zwey ineinander verschlungene Hände
dar, wie dies noch aus der Siegelschrift erhellt. Einige Beyspiele bey Morrison nach Radicalen S. 44a.
Eben so wie սի im Armenischen bloß im Allgemeinen etwas bestimmt, so im Chinesischen 自 tse ( ex), welches dann, wie aus dem Zusammenhang erhellt, häufig für ego ipse genommen wird. Morrison 11305.
<Bas. 39.>[e]
乃 nai (7874 M.) ist in Beziehung auf den
Ursprung des Pronomens ein sehr merkwürdiges Wort und bestätigt ganz die in der
Abhandlung aufgestellte Ansicht. Der Charakter ist symbolisch und soll den
gewaltsam ausströmenden Athem bedeuten. Diese Bedeutung hat sich im Laufe der
Zeiten abgeschliffen und es blieb nur noch der <allgemeine> Begriff der
Entfernung, des Absonders überig |sic|. Es hat jetzt alle Bedeutungen des
Englischen but und des Deutschen sondern und
bezeichnet demnach Alles außerhalb des Sprechenden oder Handelnden Existirende,
mag es nun, um mit der gewöhnlichen Grammatik zu sprechen, die zweite oder
dritte Person seyn, das persönliche oder demonstrative Fürwort. Z. B. Am Ende
des 2ten Kapitels des
Schu king heißt es:
Schun war 50 Jahr
<Als Schun 50 Jahr war>
tchy fang nai, hse
erhob er sich (tchy) in
eine Gegend (fang), in
eine entfernte (nai)
und starb (hse). In dem
dritten Capitel, |136v| welches Ta Yu mo, die
Vorschriften des großen Yu, überschrieben ist, sagt der
Minister I Folgendes:
Ti te huang yun,
nai sching nai schin, nai mu nai nien. Des Kaisers
(ti) Tugend
(te) weit (huang) sich verbreitend
(yun) zu den
entfernten (oder bloß zu den) (nai) Weisen (s
sching), zu den
Geistern (schin), zu
den Kriegern (mu) z und zu den Gelehrten (nien).
In demselben Kapitel lobt der Kaiser Schun den Yu; er preist das Glück des
Reiches und der Welt und setzt dann hinzu
schy nai kong,
dieses
<es> sind (schy)
die fernen, die außerhalb mir seyenden oder (nach dem Context der Rede) deine
(nai) Verdienste
(kong).
Diese oben angeführten Stellen finden sich in meiner Schulausgabe der 5 King, gedruckt im Jahre 43 der Periode Kinn long (1778 unserer Zeitrechnung), Schu king I Blatt 5b, 6a, 6b und 7a. Es finden sich Beyspiele dieser Art auf jeder Seite. Wie die chinesischen Grammatiker diese Partikel erklären, kann man sehen in Morris. nach Radicalen S. 32.
տիւ (div) heißt Tag, im Gegensatz zur Nacht z. B. ստիւ և ստիշեն ß’div iev ß’kischen, T Tag und Nacht. աւր oder օր (ur), der Tag d. h. 24 Stunden. Ein Tag nach dem andern heißt nicht տիւ րստ տիւ sondern աւր րստ աւրէ (‘div esd div, ar esd ore.) Man findet auch einige Beyspiele in Aucher’s Lexikon unter day, տիւ und աւր.
|135r| Die geistreiche Bemerkung S. 8 der Abhandlung[f], daß ս, տ, ն die Stelle des ausgesch <ausgelassenen> Substantivs vertritt und daraus ս ß, das Zeichen des Accusativs zu erklären ist, findet sich auch schon in der oben angeführten Armenischen Gram. § 869. S. 346. Man findet selbst (ohne ս տ ն) das Zeichen des Accus. <allein> für oder an der Stelle des Wortes im Accusativ. z. B. Նոքա սի սեսմանելի պսակն առ նուցուն, և մեք սանեսմու Քեան Brief an die Korinther I 9. 25. Das zweite ս ß vor dem Genit. անեսմու * steht für սպսակն.
Es scheint mir immermehr, daß das ք k des Plurals aus dem Wahrheits-Suffixum իկ, ig entstanden ist. In einzelnen Wörtern hat es sich noch ganz rein erhalten, wie in պարսիկ Parsig, die Perser * նտիկ hendig <hentig>, die Indier und in vielen andern Völkernamen, so auch մարտիկ, martig die Menschen. Es giebt <gibt> im Armenischen viele Wahrheits-Partikel wie անի, եան, եար, եր, կոեար, կան, ան, տի und իկ. ani, ean, ear, gnear, gan, an, di und ig.
|135v vacat|
Anmerkungen
- a |Editor| Siehe den Anhang zum Brief vom 16. Januar 1830. [FZ]
- b |Editor| Zu dem im Jahr 1039 fertiggestellten phonetischen Wörterbuch Chi-yün siehe Mueller-Vollmer 1993, S. 158 Anm. 22. [FZ]
- c |Editor| Zu dieser 1827 in Moskau im Druck erschienenen armenischen Grammatik siehe Hartmut Walravens (2017): Zu den von Alexander von Humboldt aus Russland mitgebrachten Büchern. In: HiN XVIII, 34, S. 104 mit Anm. 20. [FZ]
- d |Editor| Diese Notiz lässt sich nicht verifizieren. Über Neumann selbst wird auf S. 356 in der Rubrik "Oriental Literature" berichtet.
- e |Editor| Basile de Glemona (1648–1704), ein Missionar des Minoritenordens in China, verfasste ein handschriftliches chinesisch-lateinisches Wörterbuch, das 1813 von Chrétien-Louis-Joseph de Guignes in Paris leicht verändert (ohne Nennung des eigentlichen Autors) veröffentlicht wurde. Die genannte Nummer (39) bezieht sich auf die Ausgabe von Guignes, S. 4. – Zu Basile de Glemona siehe das Dizionario Biografico degli Italiani, Band 14, 1972. [FZ]
- f |Editor| Diese Stelle bezieht sich auf S. 22f. der 1832 gedruckt vorliegenden Abhandlung über die Verwandtschaft der Ortsadverbien. Neumann wird eine Handschrift der Abhandlung vorgelegen haben. [FZ]
Über diesen Brief
Quellen
In diesem Brief
- Abel-Rémusat, Jean-Pierre (1822): Eléments de la grammaire chinoise ou principes généraux du Kou-Wen, ou style antique, et du Kouan-Hoa, c’est-à-dire de la langue commune généralement usitée dans l’empire chinois, Paris: L’Imprimérie Royale
- Aucher, Pascal (1821–1825): A dictionary English and Armenian by Pascal Aucher… with the assistance of John Brand, 2 Bände, Venedig: Press of the Armenian Academy of S. Lazarus
- Avedikian, Gabriel (1815): Kherakanouthiun hajkakan [Armenische Grammatik], Venedig: Impr. de Saint Lazare
- Guignes, Chrétien Louis Joseph de (1813): Dictionnaire chinois, français et latin, publié d’après l’ordre de sa Majesté l’empereur et roi Napoléon le Grand, Paris: L’Imprimérie impériale
- Humboldt, Wilhelm von (1832): Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen. Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 17. December 1829. In: Abhandlungen der historisch-philologischen Klasse der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1829, S. 1–26. – Vgl. GS VI, S. 304–330
- Morrison, Robert (1815–1818): A dictionary of the Chinese language, in Three Parts: Chinese and English, arranged according to the radicals, Vol. 1, Part 1–3, Macao: P. Thoms
- Shūjīng (alt: Shu-king; Buch der Urkunden)
- The Foreign Quarterly Review, London, 1827–1847
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