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  3. Nr. 479

Johann August Zeune an Wilhelm von Humboldt, 25.07.1825

|222r| Euer Excellenz

eile ich über Dämmerung folgendes Licht zu geben, was Adelung[a], Frisch[b] und Schilter[c] mir darboten. Frisch hätte mich fast zur Verzweiflung gebracht, indem er anführt, im gotischen[d] heiße dunkel dimmur[e]. Ich dachte, wie sollte dies dort dir entgangen sein, schlug sogleich das Wörterbuch an Zahns Ulfila, das ich mir noch mit allen Wörtern der ambros. Hd. vervollständigt habe, auf und fand auch nicht ein einziges Wort auf dim oder ψim, und auf tim nur die 2: timjan, ziemen, und timrjan, zimmern[f]. Das von Frisch angeführte dimmur ist aber allerdings isländisch, was er gotisch nennt. (Im Gotischen ist dunkel rigiz.)

Also im Isl. ist dimmur, im Schwed. dimmer, im Engl. dim dunkel, bei welchem lezten |sic| Worte Bailey auf das A. S.[g] dim, dark, und dimjan, to render dark, hinweist[h], und Ihre es vom bretagnischen dy schwarz[i] ableitet. Bei Jeroschin (1331)[j] ist die demere die Dämmerung, und dhemar in einem alten Liede bei Schilter[k].

Die Sprachstämme, wo es in t verhärtet ist, sind außer den Lat. tenebrae, das oberdeutsche timberi, Notker Psalm, 17, 10. timberi was under sinen fuozzen, 13. doh sin uns sin timberrin, (obgleich sie uns finster sind) 38, 24: iro ougen betimberen, daz sie ne sehen; (ihre Augen mögen verdunkeln, dass sie nicht sehen) <noch bei Tschudi ist noch timmri, tom. II, pag. 312. Morgens früh in der Tag-Timmri.[l]> und im Slavon. ist temno finster und temnost Finsterniss, was im Pol. in den Zischlaut czemno und czemnost übergeht, wie mir ein junger blinde Pole, den ich in meiner Anstalt habe, sagt; ja auch in unserer Sprache ist in den Zischlaut übergegangen, z. B. schummerig für dämmerig, und nach Adelung in einigen Gegenden Schemmerung für Dämmerung. Hier ist nun wirklich auffallend, wie das Wort zugleich mit dem Begriffe an Dunkel und Hell zugleich gränzt, denn wärend schummerig und schemmerig an die Wurzel temn, timb, tenb, dim erinnert, macht es zugleich den Übergang zu schimmerig und schimmer.

Übrigens heißt die Dämmerung auch in manchen Gegenden die Sagerung, Sagering, niederdeutsch Uoht, schon bei Notker uohten, so dass also desselben timberi die volle Dunkelheit ist.

|222v| Könnte ich vielleicht Ihres Herrn Bruders Abhandlung, die Sie mir gestern gütig versprachen, in Ihrer Wohnung mir geben lassen?[m]

Allen Bewohnern und Bewohnerinnen des freundlichen Windschlosses[n] empfielt sich aufs ehrerbietigste
Ew. Exc.
innigster Verehrer
Zeune.
25/7 1825.[o]

|223r vacat|
|223v, Anschrift|
Sr. Excellenz
dem Herrn Staatsminister
Freiherrn v. Humboldt

Anmerkungen

    1. a |Editor| D.h. der Mithridates von Adelung und Vater. [FZ]
    2. b |Editor| D.h. das zweibändige, 1741 erschienene Teutsch-lateinische Wörter-Buch. [FZ]
    3. c |Editor| D.h. der 1728 postum erschienene dreibändige Thesaurus antiquitatum teutonicarum von Johann Schilter. [FZ]
    4. d |Editor| Zeune veröffentlichte im Jahr 1825 seine Gothische Sprachformen und Sprachproben, zu Vorlesungen entworfen.
    5. e |Editor| Frisch 1741, Bd. 1, S. 190, s.v. "Demmerung". [FZ]
    6. f |Editor| Zahn 1805, Ulfilas zweiter Theil, enthaltend die Sprachlehre und das Glossar, S. 159. [FZ]
    7. g |Editor| D.h. Altsächisch.
    8. h |Editor| Baileys Universal Etymological English Dictionary erschien zwischen 1721 und 1802 in 30 Auflagen. Siehe dort zum Lemma "dim". [FZ]
    9. i |Editor| Ihres zweibändiges Glossarium Suiogothicum erschien 1769; siehe dort Sp. 329, s.v. "dimmer". [FZ]
    10. j |Editor| Gemeint ist Di Kronike von Pruzinlant; vgl. Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters zur Überlieferungs- und Editionslage dieses zwischen 1331 und 1341 entstandenen Textes. [FZ]
    11. k |Editor| Siehe Schilter 1728, S. 215 s.v. "dhemar" im Glossarium Teutonicum. [FZ]
    12. l |Editor| Siehe Tschudi 1736, Bd. 2, S. 312. linke Spalte, am Ende des 2. Absatzes. [FZ]
    13. m |Editor| Gemeint ist wahrscheinlich die 1825 in der Hertha erschienene Abhandlung "Ueber die Gestalt und das Klima des Hochlandes in der iberischen Halbinsel". [FZ]
    14. n |Editor| Gemeint ist Schloss Tegel mit seinem "Turm der Winde". [FZ]
    15. o |Editor| Der Brief wird in Berlin verfasst worden sein, da weder hier noch in der Anschrift eine Ortsangabe gemacht wurde – es war einfach nicht notwendig. [FZ]

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
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    -
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 21, acc. 5058, Bl. 222–223
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 164

    In diesem Brief

    Werke
    Zitierhinweis

    Johann August Zeune an Wilhelm von Humboldt, 25.07.1825. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/479

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