1. Startseite
  2. Briefe
  3. Nr. 589

Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 24.05.1801

Bayonne, 24. Mai 1801

Ich bin seit heute früh wieder hier, meine gute, liebe Li, und auf einmal sehr reich. Denn ich habe drei Briefe von Dir hier gefunden, vom 2., 7. und 16. Mai, und habe also so frische Nachrichten, als es in dieser Entfernung möglich ist. Ich sehnte mich unglaublich nach Briefen von Dir und den Kindern, und Bayonne war mir wirklich ein Ort der Erwartung in diesen letzten Tagen. Auch die Briefe der Kinder haben mir viel Vergnügen gemacht. Besonders hat der Bruder[a] einen geschrieben, der wirklich sehr hübsch ist. Ich weiß nicht, ob Du ihn gelesen hast. Er schließt so: „Mit wem sollen wir die Reisebeschreibung machen? hat Theodor gesagt. Und an Deinem Bett hat er ,lieber Vater gesagt, aber Du warst nicht darinnen." Ich sehne mich sehr nach Euch zurück, meine Lieben, und komme auch gewiß zur versprochenen Zeit. Den Umweg durch die Provence will ich nicht machen, mein gutes Kind. Ich habe kein besonderes Interesse für diese Gegend, und bloß auch das gesehen zu haben, mochte ich nicht länger von Euch wegbleiben. Aber diese Reise werde ich recht ordentlich vollenden und nichts aus Eile zu sehr abkürzen. In Spanien war ich wirklich, wenn ich einmal nicht Monate bleiben wollte, lang genug. Nun werde ich übermorgen wieder von hier fortgehn und noch eine Woche im französischen Baskenlande zubringen, um wenigstens einige Vergleichung anstellen zu können. Auch gibt es vier Meilen von hier wieder einen alten Pfarrer[b], der als einer der Weisen des Landes gerühmt wird, und bei dem ich wahrscheinlich ein paar Tage bleibe. Den 31. oder 1. Juni komme ich hierher zurück, und dann setze ich mich gleich in die Diligence und halte mich bis Paris gar nicht auf. Also zwischen dem 12. und 15. komme ich gewiß an. Ich schreibe Dir aber noch öfter bis dahin. Es hat mir sehr leid getan, Dir zwischen Bilbao und hier in sieben Tagen nicht schreiben zu können, aber es ging mir so fatal, daß immer, wenn ich an einen Ort kam, die Post eben abgegangen war und nur erst in einigen Tagen wieder ging. Meine Rückreise war nicht gleich glücklich als meine Reise bis Bilbao. Schon als ich Bilbao verließ, war es ein regnichter Tag. Ich ging doch an der Küste über die Eisenbergwerke bei Somorrostro und Portugalete nach Plencia. Von da ging ich den anderen Tag nach Guernica. Das Wetter war noch schlimmer, und der Weg geht über hohe Gebirge am Meer in ganz schmalen Fußsteigen. Ich hatte zum Glück ein sehr gutes Maultier. Es waren zwischen den Regenschauern immer Sonnenblicke, und ich verlor nichts von der Gegend. Weit mehr gewann ich durch das wunderbare Wolkenspiel und die ewig wechselnde Beleuchtung. Bald war ich in Wolken eingehüllt und das Meer und die Tiefe so hell, daß man alle Vorgebirge unterschied. Bald war es heiter oben, und die Wolken hingen auf das Meer herab. Dann wurde es stiller, und ein prächtiger Regenbogen mit den glänzendsten Farben stützte sich auf der einen Seite auf die Flut, auf der andern auf das Gebirge. Gegen Abend verließ ich die Küste und kam in Guernica an, das einige Stunden davon entfernt liegt. Ich wollte den andern Morgen fort, aber die Nacht war fürchterlich, ein Sturm und ein Regen, wie ich kaum je erlebt hatte. Am andern Morgen war die ganze Ebene von Guernica unter Wasser, auf der Chaussee, über die ich mußte, stand es mehr als mannshoch, alle Kommunikation war abgeschnitten, und ich mußte mich entschließen zu bleiben. So blieb ich den ganzen folgenden Tag und den überfolgenden Vormittag. Ich hatte keinen Menschen im Ort, der interessant gewesen wäre, ein Wirtshaus, in dein ich nur ein Joch zum Schlafen hatte und keine Zeile schreiben konnte. In dieser höchsten Not fand ich einen Don Quixote. Mit dem setzte ich mich in der Küche ans Feuer, und da habe ich die Kraft des Komischen wirklich erkannt. Denn ich versichere Dir, daß ich mein ganzes Unglück stundenlang vergessen und von Herzen gelacht habe. Als ich endlich weg konnte, stand zwar auf der Chaussee das Wasser noch so, daß es einem Mann bis an die Brust ging. Ich nahm aber einen Umweg und kam ohne alle Gefahr mit nicht einmal viel Mühe wieder fort und von neuem an die Küste. Der folgende Tag war schön, dann wieder entsetzlicher Regen, und so abwechselnd bis hierher. Die Überschwemmung hat großen Schaden angerichtet, Häuser und Brücken weggerissen, die Wege verschüttet usw. Auf der großen Straße von Madrid hat das Wasser zwei bis drei Fuß gestanden. Auch Menschen sind umgekommen. Auf dem Wege, den ich ritt, war noch den Tag zuvor ein Maultierführer mit vier Maultieren ertrunken. Seit 30 Jahren weiß niemand von gleich hohem Wasser hier. Der Wirt in Guernica war ein Franzose. Aber wie Franzose! Stell Dir nur vor, er hatte meine Überziehhosen gesehen und konnte nicht aus seiner Bewunderung herauskommen. Er drehte sie hin und her und sagte endlich, es sei doch erstaunlich, was seine Landsleute alles seit seinem Aufenthalt in Spanien gemacht hätten, erst die Revolution und dann die Erfindung der Überziehhosen. Er wandte 100 Fr. jährlich dran, die Gazette de France zu halten, und ich sah seit S. Sebastian zum erstenmal eine Zeitung.

Lebe innigst wohl!
H.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Sydow 1906–1916, Bd. 2, S. 105: Der älteste Sohn Wilhelm.
    2. b |Editor| Humboldt 2010, S. 389 Anm. b: Etienne Joseph Harambillet; dort S. 422: Harambillet, Etienne Joseph de (1724–1808; Geistlicher in Itxassou/Itsasu; Informant Humboldts).

    Über diesen Brief

    Schreibort
    Antwort auf
    • 02.05.1801
    • 07.05.1801
    • 16.05.1801
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • H (alt): Berlin, A.v.Sydow (laut Hurch verschollen)
    Druck
    • Grundlage der Edition: Sydow 1906–1916, Bd. 2, S. 105–108. – Humboldt 2010, S. 389f. (B. Hurch)
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 664
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 24.05.1801. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/589

    Download

    Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen

    Versionsgeschichte

    Frühere Version des Dokuments in der archivierten Webansicht ansehen