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Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 27.05.1801

Itzatzu b. Bayonne, 27. Mai 1801

Ich bin bei dem Pfarrer[a], von dem ich Dir schrieb, liebe Li, und fühle sehr angenehm den Unterschied zwischen Frankreich und Spanien. Ich brachte in der vorigen Woche eine Nacht in Azpeitia in einer reichen und vornehmen Familie zu und hatte freilich ein großes, seidenes Bett, aber eine dunkle Kammer, keinen Spiegel und keine Art der Bequemlichkeit. Hier habe ich zwei freundliche, kleine Stuben und alles, was man zum bequemen und angenehmen Landleben bedarf. Dort mußte ich Öl essen, ich mochte wollen oder nicht. Hier ißt man mäßig und häuslich, aber sehr gut. Der gute, alte Prediger ist 78 Jahr alt und so liebenswürdig, als man es nur äußerst selten findet. Ein glückliches Gemisch eines Franzosen und eines Basken. Er ist nie weiter als Bayonne und Pau gekommen, hat nie eine andre Welt als die seines Dorfes und jener Städte gesehen, und das Haus des ehemaligen Bischofs von Bayonne, wo er als junger Priester einige Jahre zugebracht hat, ist das non plus ultra seiner großen Welt. Er ist, wie es scheint, sehr religiös, aber ohne alle Affektation und Unduldsamkeit, er läßt oft ein hübsches biskaisches Mädchen zu sich kommen und singt baskische Lieder mit ihm, und gestern abend in seinem Lehnstuhl am Kaminfeuer sang er mir Trinklieder und war in seiner Seele vergnügt, sich so in seine Jugendzeit zu versetzen. Er hat sehr nach Dir und allen Kindern gefragt, sich die Namen und das Alter von allen erzählen lassen und bedauert immer, daß ihr nicht alle hier seid. Er zeigte mir, wie für alle im Hause Platz sei und wie sich die Kinder im Garten und mit den Kirschen amüsieren würden. Sein Haus liegt wie alle der baskischen Dörfer ganz einsam und abgesondert. Zu lernen ist nicht gerade viel von ihm, vorzüglich weil er schon so schwachen Gedächtnisses ist, daß er immer von einer Sache in die andre kommt, und dann auch, weil er die wunderbarsten etymologischen Grillen hat. Ich bleibe indes doch zwei Tage bei ihm, weil er und die Gegend mir gefallen und man Zeit braucht, um auch nur einiges von ihm zu erfahren.

Mit meiner Reise ist es soso gegangen. So wohlfeil als ich dachte ist sie nicht gewesen. Ich habe meistenteils ein Pferd nie [wie?] ein Maultier haben müssen — und das ist hier teuer. Indes wird es auch nicht viel darüber kommen, vermutlich zwischen 40 und 50 Louisdor. Die Rückreise von Bayonne aus ist wohlfeil, das bringt wieder vieles ein.

Ich wollte noch viel schreiben, meine Liebe, aber mein alter Pfarrer hat mich nicht verlassen, und jetzt muß ich schließen. Ich komme eben wieder von einer Singübung, die der Alte mit dem Mädchen gehalten hat. Lauter alte Weisen, einige sehr hübsche, nur daß das alles in die Winde verhallt, weil niemand es aufschreiben kann. Worte weiß der Alte nur zu wenigen, immer nur ein oder den andern Vers. Mit einem will ich den Brief schließen. Es ist die Klage einer Geliebten:

„Immer morgen, immer morgen,
Willst Du nimmer die Geliebte sehen?
Ihre Sehnen ach! verdorren
Wie das Gras der taubedürft’gen Flur."[b]

Umarme die Kinder. Lebe tausendmal wohl.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Humboldt 2010, S. 391 Anm. a: Harambillet; dort S. 422: Harambillet, Etienne Joseph de (1724–1808; Geistlicher in Itxassou/Itsasu; Informant Humboldts).
    2. b |Editor| Humboldt 2010, S. 392 Anm. a: Das baskische Original befindet sich [Krakau, Jagiellonen-Bibliothek,] Coll. ling. fol. 74, S. 341 [siehe die Beschreibung der Handschrift bei Mueller-Vollmer 1993, S. 261]:
      Beti bihar, beti bihar,*
      Eznuzuja** icussi behar,
      Ene zainac eguin dira
      Galhar idorra becen ihar.
      [[* Verbessert aus: "Beti biar, beti biar".]]
      [[** ja fragende Partikel im Basse Navarre.]]

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    Quellen

    Handschrift
    • H (alt): Berlin, A.v.Sydow (laut Hurch verschollen)
    Druck
    • Grundlage der Edition: Sydow 1906–1916, Bd. 2, S. 108f. – Humboldt 2010, S. 391f. (B. Hurch)
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 665

    In diesem Brief

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    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 27.05.1801. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/590

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