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Wilhelm von Humboldt an Gustav Seyffarth, 22.03.1824

|1*| Berlin, den 22ten März 1824.

Ich habe mit großem Vergnügen aus einem Briefe, den Euer Wohlgeboren hieher geschrieben[a], ersehen, daß Sie übernommen haben, die Entdeckungen des verstorbenen Professor Spohn über die alphabetische Schrift der Aegyptier, nach den hinterlassenen Papieren desselben, öffentlich bekannt zu machen. Niemand kann sich dazu, wie es mir scheint, mehr berufen fühlen, als Euer Wohlgeboren, da Sie, außer den eigenen Kenntnissen, die Sie zu dieser Arbeit mitbringen, ein genauer Freund des Verstorbenen waren, und seine Ideen durch den lebendigen Umgang mit ihm mitgetheilt erhalten. Ich wünsche daher nichts mehr, als daß Euer Wohlgeboren Muße finden mögen, Ihren Vorsatz recht bald auszuführen; ich glaube sogar, Sie dazu recht dringend auffordern zu müssen, da die Untersuchungen über die Aegyptische Schrift jetzt auch an andern Orten lebhaft betrieben werden.

Die gütige Art, mit welcher Euer Wohlgeboren Sich in einem Briefe, der mir mitgetheilt worden ist, über |2*| mich ausdrücken, ist mir sehr schmeichelhaft gewesen. Ich werde mich aber nur in sehr geringem Maaße im Stande sehen, Euer Wohlgeboren Vorhaben zu befördern, so lebhaft ich auch den Wunsch dazu hege. Ich habe mich mit den Gegenständen, die hierbei zur Sprache kommen, so wie auch mit der Coptischen Sprache, nur erst seit kurzer Zeit und vorzüglich nur mit den eigentlichen Hieroglyphen, fast gar aber nicht mit der Hieratischen und so genannten Enchorischen Schrift[b] beschäftigt. Ich könnte daher Euer Wohlgeboren nichts mittheilen, was irgend Ihre Aufmerksamkeit verdiente. Dagegen stehe ich Ihnen sehr gern zu Diensten, wenn Sie wünschten, in den Denkmälern dieser Art, die wir hier besitzen, etwas nachgesehen zu haben, oder wenn es Ihnen sonst interessant sein könnte, mein Urtheil über eins oder das andere, oder auch über die ganze Spohnsche Arbeit zu erfahren, da ich allerdings, was in |3*| Paris jetzt über diese Gegenstände geschieht, genau kenne. Wenn also Euer Wohlgeboren mir während Ihres Geschäfts, gütige Mittheilungen machen wollen; so werde ich es immer mit dankbarem Vergnügen annehmen, und Ihnen meine Bemerkungen gern und offen mittheilen. Auch können Euer Wohlgeboren sich versichert halten, daß dadurch Nichts von den Spohnschen Entdeckungen früher im Publicum verlauten soll, als das Werk selbst erscheint. Ich nehme blos an der der Sache Theil, und habe keinen andern Zweck für mich, als zum Behuf allgemeinerer Sprach-Untersuchungen zu sicheren Resultaten über die Aegyptische Schrift zu gelangen.

Ich vermuthe gewiß, daß die Arbeit des verewigten Spohn bedeutende Beiträge zur Kenntniß der Coptischen Sprache enthalten hat, indem er wahrscheinlich in dem Fall gewesen ist, viele Zusätze zu den bisherigen Wörterbüchern und Sprachlehren zu machen. |4*| Er muß im Laufe seiner Arbeit beständig Gelegenheit gefunden haben, Betrachtungen über das Verhältniß der altaegyptischen zur heutigen coptischen Sprache anzustellen und das Urtheil eines Mannes, der sich sosehr durch seinen critischen Takt und gründliche Gelehrsamkeit auszeichnete, muß von der höchsten Wichtigkeit sein. Ich hoffe daher gewiß, daß Euer Wohlgeboren Nichts von demjenigen übergehen werden, was sich von dieser Art in seinen Papieren findet. Es ist schon sehr zu beklagen, daß Zoega bei der Herausgabe der Coptischen Manuscripte des Cardinals Borgia nicht die, dem Lacrozischen Wörterbuche fehlenden Wörter zusammengestellt hat. Aus einem Briefe des seligen Spohn an Herrn Professor Buttmann sehe ich[c], daß unter seinen Papieren sich eine Widerlegung der Champollionschen kleinen Schrift „lettre à Mr. Dacier befinden muß. Diese Abhandlung wünschte ich, |5*| wenn Euer Wohlgeboren sonst kein Bedenken dabey fänden, wohl auf kurze Zeit mitgetheilt zu erhalten. Wenn diese Widerlegung mit herausgegeben werden soll, so könnte die Mittheilung an mich nützlich sein, da ich von den Champollionschen Ideen genauer unterrichtet bin, als es der Verewigte zu jener Zeit sein konnte. Soll jene Widerlegung aber nicht mit herausgegeben werden; so würde doch die Mittheilung für mich sehr erwünscht sein.

Euer Wohlgeboren werden es dem Interesse, welches ich an diesen Gegenständen nehme, verzeihen, wenn ich, ohne Ihnen persönlich bekannt zu sein, Sie mit einem so ausführlichen Briefe behellige. Ihr eigner Brief aber forderte mich gewissermaaßen dazu auf, und ich hielt es auf jeden Fall für meine Pflicht, Ihnen meinen Dank für die darin über mich enthaltenen Aeußerungen selbst abzustatten. Es ist mir sehr erfreulich, noch bei dieser Gelegenheit |6*| Euer Wohlgeboren kleiner Schrift, über die ursprünglichen Laute der Hebräer erwähnen zu können, die ich mit großem Interesse gelesen habe: Es scheint mir eine sehr glückliche Idee, daß die Buchstaben, indem sie einem einzelnen Laute ganz bestimmt gewidmet sind, noch eine gewisse Shäre |sic| verwandter Laute um sich haben. Das a, i und v der Hebraeer habe ich auch immer für wahre Vocal-Laute gehalten und es ist merkwürdig, und soviel ich weis, noch nicht herausgehoben worden, daß im Alt-indischen, nur diese 3 Laute die eigentlichen Vocale abgeben, und jeder eine besondere Gestalt für seine lange und kurze Aussprache hat. Die übrigen Vocale, namentlich e und o, werden vollständig als Diphthongen behandelt, und es giebt, dem Zeichen nach, weder ein kurzes e, noch ein kurzes o. Diese beiden Laute haben vermuthlich zur Sphäre des kurzen a gehört. Sehr <So sehr> sich also auch das Sanskrit |7*| in der Vocal-Bezeichnung von den Semitischen Sprachen unterscheidet, so ist doch hier ein Punkt, der, wie es mir scheint, auf eine ursprüngliche Aehnlichkeit des Laut-Systems hindeutet. Daß i und u vor andern Vocalen in die Töne j und v übergehen, versteht sich von selbst.

Ich breche jedoch hier ab und bitte Euer Wohlgeboren die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung anzunehmen.
Humboldt.[d]

an
Herrn Prediger und Privat-Docenten
Seyffarth.
Wohlgeboren

Anmerkungen

    1. a |Editor| Dieser Brief scheint nicht erhalten zu sein.
    2. b |Editor| D.h. die demotische Schrift. [FZ]
    3. c |Editor| Eine Abschrift dieses Briefes von Spohn an Buttmann vom 1. Januar 1823 befindet sich in Humboldts Nachlass in Schloss Tegel (Archiv Schloss Tegel, Inv. 1088, Bl. 115–118). [FZ]
    4. d |Editor| Davor eingefügt von fremder Hand: „Wilh.“
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Gustav Seyffarth, 22.03.1824. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/614

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