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Johann Wolfgang von Goethe an Wilhelm von Humboldt, 08.02.1813

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Herrn Gesandten von Humboldt nach Wien.

Mit aufrichtigem Danke erkenn ich, daß Sie Ihre freundschaftliche Zusage so bald und so vollkommen erfüllen mögen. Ihr schöner Entt Entwurf[a] hat mir einen ganz neuen Anstoß zu allerley Studien gegeben. Es ist mir nicht mehr möglich Materialien zu sammeln, aber wenn sie mir <so> concentrirt gebracht werden, so freu ich mich gar sehr, die Lücken meines Wissens schnell zu complettiren u. zu dem was ich schon besitze, tausend Beziehungen zu finden.

Sobald ich im Monat März einige ruhige Wochen in Jena verbringen kann, so soll es an die Arbeit gehn, die nach Ihrer Vorarbeit eigentlich nur ein Spiel ist. Bertuch hat mir einige Europa’s bräunlich abdrucken laßen, davon soll eins auf ein großes Reißbrett aufgezogen u. die Grenzen illuminirt werden. Alsdann will ich mit kleinen aufgeklebten Zeddeln die HauptSprachen u. in so fern es möglich ist, auch die Dialecte bemerken |24r| und Bertuch hat nicht übel Lust, alsdann eine solche Charte stechen zu lassen, welches, bey seiner großen mit allerley Künstlern versehenen Anstalt leicht ist. Haben Sie daher ja die Güte fortzufahren und mir baldmöglichst das Weitere zu senden[b]. Eine Charte der beyden Hemisphären liegt auch schon da u erwartet, auf gleiche Weise bespracht zu werden.

Zu Ihrer immer mehr ausgearbeiteten Uebersetzung des Aeschylus wünsche ich von Herzen Glück u ich freue mich, daß Sie Sich durch die Drohungen des Heidelberger Cyclopen[c] u Familie[d] von diesem guten Werke nicht abschrecken lassen. Jene bedräuen gegenwärtig unsern Wolf, der doch auch keine Katze ist, mit schmählicher Hinrichtung, weil er es gewagt, auf der Uebersetzungsinsel, die sie vom Vater Neptun privative zu Lehn erhalten, gleichfalls zu landen u einen lesbaren Aristophanes mitzubringen[e]. Es steht geschrieben, selig sind die im Herrn entschlafen, aber noch seliger sind die, welche über irgendeinen Dünkel toll geworden.

|24v| Selig im ersten Sinne ist nun unser Wieland, er ist in seinem Herrn entschlafen[f] u ohne sonderliches Leiden zu seinen Göttern u Heroen hinübergegangen. Was Talent und Geist, Studium, Menschenverstand, Empfänglichkeit und Beweglichkeit, verbunden mit Fleiß u Ausdauer, vermögen utique <utile> nobis proposuit exempla. Wenn jeder seine Gaben u seine Zeit so anwenden wollte, was müßten für Wunder geschehn!

Dieser Winter ist mir, wie gewöhnlich, sehr zerstreut, aber doch, bey leidlicher Gesundheit, schnell u nicht ungenutzt vorübergegangen. Theatralische Vorbereitungen auf den lang erwarteten Iffland, welcher erst gegen Ende des Jahrs ankam, so wie auf seine Gegenwart, die hier <mir> viel Vergnügen gewährte, brachten mich November u December aus dem Geschicke. In den Januar u Februar fallen vier Geburtstäge, wo man entweder unsere Einfindung oder unsere Mitwirkung anspricht[g], u so wird manches, zwar mit gutem Willen, aber ohne Frucht verzettelt.

Was ich mit Vergnüge <Vergnügen> und wahrem Antheil dazwischen getrieben |25r| habe, war ein erneuter Versuch, von alten Monumenten, deren Beschreibung auf uns gekommen ist, die Spuhr unter den vorhandenen Bildwerken zu finden. Die Philostrate[h] waren wieder an der Tagesordnung, u was die Statuen betrift, so glaube ich dem Olympischen Jupiter, über den schon manches vorgearbeitet ist, hernach aber der Juno von Samos, dem Doryphorus des Polyclet, besonders aber der Kuh Myrons u dem Stier, der die Europa trug, auf die Spur gekommen zu seyn. Meyer, durch dessen alte Kunstgeschichte, die nunmehr ins Reine geschrieben ist[i], die Hauptanregung geschehn, nimmt lebendigen Antheil, da seine Zweifel so wie seine Beystimmung immer gegründet sind.

Und so will ich denn für dießmal schließen, in Hoffnung bald wieder etwas von Ihrer lieben Hand zu sehn.
Weimar den 8t Februar 1813.

Anmerkungen

    1. a |Editor| D.h. für die Sprachkarte. Siehe Jürgen Trabant (2020): Wilhelm von Humboldts "Anleitung zu Entwerfung einer allgemeinen Sprach Karte" von 1812. In: Goethe-Jahrbuch 137, S. 149–167. [FZ]
    2. b |Editor| Weitere Zusendungen für die Sprachkarte sind nicht bekannt. [FZ]
    3. c |Editor| D.i. Johann Heinrich Voß (1751–1826), berühmt durch seine Übersetzungen der Werke Homers. [FZ]
    4. d |Editor| Dies bezieht sich auf Heinrich Voß (1779–1822), den Sohn des Vorgenannten und wie dieser Klassischer Philologe und Übersetzer, und wohl auch auf den jüngsten Sohn, Abraham Sophus Voß (1785–1847). [FZ]
    5. e |Editor| Dies bezieht sich auf zwei anonym erschienene Übersetzungen von der Hand Wolfs: Aristophanes’ Wolken. Eine Komödie (1811) und Aus Aristofanes’ Acharnern (1812); vgl. dazu den Brief Humboldts an Wolf vom 3. Juli 1812 (Mattson 1990, S. 307–309 Nr. 127 mit Anm. auf S. 558). [FZ]
    6. f |Editor| Wieland war am 20. Januar 1813 im Alter von 79 Jahren in Weimar gestorben. [FZ]
    7. g |Editor| Goethe bezieht sich wohl vier Geburtstage im Weimarer Herzogshaus: Herzogin Luise (30. Januar), Erbprinz Carl Friedrich (2. Februar) und seine Frau Maria Pawlowna (16. Februar) sowie deren älteste Tochter Prinzessin Marie (3. Februar). [FZ])
    8. h |Editor| Gemeint sind die Εἰκόνες (Bildbeschreibungen), zwei griechische Werke von zwei verschiedenen Autoren mit dem Namen Philostratos, in denen Gemälde meist mythologischen Inhalts beschrieben werden. [FZ]
    9. i |Editor| Meyers Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen von ihrem Ursprunge bis zum höchsten Flor erschien erst 1824 und 1825 in Dresden. [FZ]

    Über diesen Brief

    Konzept von Schreiberhand
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    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Weimar, GSA: Konzept, Bestand: 29 Goethe Ausgegangene Briefe, Sig: 29/8, Bl. 23v–25r. – Abschrift von Schreiberhand: Weimar, GSA, Bestand: 68 Müller, Friedrich von, Sig: 69/757
    Druck
    • Greizer Zeitung, 28. Mai 1873, Nr. 121; Bratranek 1876, S. 248ff.; Goethe 1887–1919, Abt. IV/Bd. 23, S. 278ff.; Gräf 1901–1914, Th. 3/Bd. 1, S. 578; von der Hellen 1901–1918, Bd. 5, S. 146ff.; Stein 1902–1905, Bd. 5, S. 246f.; Geiger 1909, S. 229ff.; Bab 1929–1930, Bd. 2, S. 258f.; Grumach 1949, Bd. 1, S. 247; Bach/Borcherdt 1958, S. 688f.; Holtzhauer 1970, Bd. 2, S. 273f.
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 9576
    Zitierhinweis

    Johann Wolfgang von Goethe an Wilhelm von Humboldt, 08.02.1813. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/678

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