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Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 28.01.1819

Frankfurt, 28. Januar 1819

Ich habe Dir in meinem letzten Brief so viele Dinge zu sagen gehabt, daß ich nicht habe dazu kommen können, Deine lieben Briefe zu beantworten. Du fragst mich, was Koreff jetzt ist. Als er, ich denke ungefähr vor einem Jahr, in das Bureau des Kanzlerss kam, hatte er gar keinen Titel. In Aachen ist er Geheimer Ober-Regierungsrat geworden. Das ist derselbe Titel, den z. B. Körner hat. Ich glaube nun auch, daß Koreff in dieser Eigenschaft in Altensteins Departement angestellt ist, da es scheint, daß der Kanzler sein Bureau auflösen will. Ob dies aber schon geschehen ist, weiß ich nicht. Dies sind indes nur die äußeren Attributionen. Denn sonst sprach er, als ob er alles gründete, stiftete, verordnete und eigentlich der Minister wäre.

… Allerdings können Hedemann und Adelchen schon nicht leiden, wenn man anders handelt als es in ihrer Manier liegt. Das hängt aber ganz und gar mit sehr guten Eigenschaften in ihnen zusammen. Wenn eine gewisse Tüchtigkeit des praktischen Tuns, eine große Treue und Anhänglichkeit an die natürlichsten Verhältnisse nicht zugleich mit etwas eigentlich Idealischem in Geist und Gemüt verbunden ist, so ist neben der Stärke immer auch das Ausschließende da. Selbst in Stein hier merke ich das oft, obgleich den nun Jahre, Erfahrung und ein gewisser Grad der Phantasie, den er doch hat, oft darin weiter und zulassender machen. Alles im Menschen kommt auf die Mischung und das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Ideen in ihm an. Darin liegt das Geheimnis des Charakters, und das allein ist es, was dem Gemüt Farbe und Ton gibt. Die Menschen, die sich sonst in allem fast gleich sind, gehören dadurch wie in zwei verschiedene Klassen, und dies selbst bewirkt wieder die Phantasie, die nur gewöhnlich in einem viel beschränkteren Sinne genommen wird.

… Es ist mir, als stünde ich an einem Scheidewege des Lebens. Die Außenwelt hat mich nie so ernsthaft ergriffen, ich möchte sagen, so unausweichlich. Auch war der Abend, an dem ich die Kabinettsordre bekam, einer der wunderbarsten meines Lebens, und gewiß einer der wehmütigsten. Indes bin ich festen und auch guten Muts, wenn Du, liebe Seele, bei mir und gütig und nachsichtig mit mir bist. Daran hängt, darauf ruht alles. Ich habe ein inneres Sein, das keiner äußeren Mittel, keiner Zeit zur Beschäftigung bedarf, das, wie der Boden, über den die Welle geht, immer dasselbe bleibt, und nur in sich immer wächst, sich mit jedem Gedanken, jedem Gefühle, jeder Sorge vermischt, das mich nie sinken läßt, und mit dem ich alles gewöhnlich so genannte Unglück verachte, mit dem ich noch glücklich sein würde in der Enge eines Grabes, und das auf eine sehr wunderbare Weise mit der Phantasie vermischt ist. Ich lebe und webe darin, seit ich mir meiner selbst bewußt bin, alles Gute in mir stammt davon her und kehrt dahin zurück, und seit ich Dich besitze, ewig teures Herz, bist Du so darin verwebt, machst Du allein es eigentlich so ganz aus, daß ich mit Wahrheit sagen kann, daß ich vom Leben, ohne Dich auch lebend zu wissen, keinen Begriff habe. Bloß getrennt von Dir, leide ich am Innersten und Höchsten. Wenn ich also Dich wieder besitze, wenn Du mir bleibst und, soviel Du kannst, bei mir bleibst, habe ich eine Zuversicht, die wenig Menschen in diesem Grade kennen. Stein hat mir ein paarmal wiederholt, daß er sehr wünschte, daß Du ja bald mit dem Sommer kämst, weil ein Mann in einer bedeutenden Tätigkeit gar nicht ordentlich sein könnte als mit der, die jedes Leben mit ihm teilt. Diese Übereinstimmung bestätigt mir meine eigene Empfindung. Es ist im einzelnen Menschen nichts recht wahr und gediegen, was nicht, wenn auch in anderer Form, in allen und im ganzen Geschlecht liegt. Der Mensch ist überhaupt nichts, als nur durch die Kraft des Ganzen und indem er mit ihm zusammenzustimmen strebt. Dadurch nur läßt sich das Geheimnis der Sprache enträtseln, das sichere Kriterium der Wahrheit in aller Wissenschaft finden, und es ist der höchste Punkt, an den man alles Wirken nach außen hin anknüpfen muß. In sich aber ist dies selbst das Geheimnis des Lebens, das große Rätsel, das die Seele im Tode, solange man noch klares Bewußtsein haben kann, gespannt halten wird, was aber selbst der Tod vielleicht nicht ganz löst, wie der Mensch etwas für sich und doch nichts ohne den andern, ohne sein Geschlecht sein kann. Wenn ich bedenke, wie ich ins Leben hineingezogen worden bin und noch werde, so kommt es mir oft wie eine wunderbare Fügung des Schicksals vor. Ich ging hinein, bloß damit wir in Italien sein könnten, der Zufall führte mich fort, ich machte mich wieder los, um Geschäften und Verwickelungen zu entgehen, und kam in Wien gerade in neue und größere; an dies spann sich alles andere an. Nachher suchte ich wieder ein einfaches und ruhiges Verhältnis, verließ es ohne alle Absicht, nur um mit Dir zu sein, und stehe nun an dem Punkt, nach dem ich nie getrachtet habe. Die anderen wollen mich auch nicht da und ziehen mich wider meinen Willen hin. Sie werden es bereuen, ich hoffe, ich nicht. Der große Fehler des Staatskanzlers, und der alles Schlimme, alles Halbe hervorgebracht hat, ist, daß er nicht Sinn und Charakter dazu hat, ein großes Geschäft frei mit anderen gleich Freien zu führen. Statt sich Leute zu suchen, die neben ihm an der ersten Stelle stehen konnten, raffte er immer neue Untergeordnete auf, behandelte noch die andern wie Werkzeuge und entfernte sie, wenn es nicht ging. Jetzt richtet ihn, und fast ohne daß sie sich ausspricht, die öffentliche Meinung, und er tritt ab, ohne daß man ihn nur vermißt. Bloß durch reines und uneigennütziges Verfolgen des entgegengesetzten Weges muß man im jetzigen Augenblick viel ausrichten.

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Folgebrief
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Quellen

Handschrift
  • Ehem. Berlin, A. v. Sydow (verschollen)
Druck
  • Grundlage der Edition: Sydow 1906–1916, Bd. 6, S. 454–457. – Kappstein 1917, S. 331ff.; Oppeln-Bronikowski 1928, S. 302f.; Kappstein 1942, S. 13f.; Schreiber 1949, S. 103ff.; Voss 1949, S. 39, S. 45, S. 119; Freese 1955, S. 814ff.; Nette 1956, S. 246f.
Nachweis
  • Mattson 1980, Nr. 6807
Zitierhinweis

Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt, 28.01.1819. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/706

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