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  3. Nr. 709

Carl Friedrich Neumann an Wilhelm von Humboldt, 16.01.1830

|131r| Ew. Excellenz

werden mir hoffentlich die Verzögerung in der Beantwortung deren scharfsinnigen Bemerkungen nicht übel nehmen. Ich bin jetzt vor meiner Abreise mit Arbeiten so überladen, daß ich nicht weiß, wo anfangen, wo enden. Auch habe ich diese Woche in aller Eile ein Verzeichniß der chines. und arm. Werke entworfen, die Ew. Ex. Bruder mitgebracht haben[a]; es sind scharmante |sic| Sachen, unter den Armenischen Werken ist selbst eine Uebersetzung Ἀριστοτήλους περὶ ἀρετῶν, – ich bitte Ew. Exc. gelegentlich das Verzeichniß anzusehen.

Beyliegende Bemerkungen[b] bitte ich mit aller möglichen Nachsicht und Humanität aufzunehmen und zu beurtheilen. Was Ew. Ex. unhaltbar finden, ist sicherlich so und ich nehme mir nur die Freiheit, hie und da, an den Sprachgebrauch und das Faktische des Gegenstandes zu erinnern, – in allen andern Dingen wird wohl jeder dem Alles umfassenden Scharfsinn Ew. Excellenz gerne weichen wollen und müssen.

|131v| Ich fürchte sehr daß es meine Zeit nicht mehr erlauben wird Ew. Ex. in Tegel meine Aufwartung zu machen. Könnte ich nicht das Glück haben Sie hier besuchen zu können? Ich reise in 3 Wochen und bin so frey Ew. Ex. daran zu erinnern, daß Sie die Güte hatten mir ein Schreiben an Herrn Baron von Bulow in London zu versprechen.

Es wäre mir sehr lieb wenn Ew. Exc. meine Abhandlung über den Buddhaismus in den Jahrbüchern (die Rec. über Schmidt[c]) lesen und mir Ihr Urtheil darüber wissen lassen möchten.

Ich habe die Ehre zu unterzeichnen
Ew. Excellenz
ganz Gehorsamster
Neumann Prof.
Hôtel de Saxe
Berlin 16ten Jan. 30.

|137r/v vacat|


|Anhang|

|134r| nai

Ich habe den ausführlichen Artikel in dem Chines. Lexikon Tse gnuy[d] darüber nachgelesen und nichts Neues gefunden. Am Ende des Artikels heißt es  Sankskrit  Sankskrit . Tschuen tso  Sankskrit , siang ky tschu tschy nan ye. Die alte Form war  Sankskrit , ein Bild des schwer herausgehenden Athems. Dann würde dieser Charakter <setzt der Lexicograph hinzu,> in allen drey Tönen auch für  Sankskrit này (Steht nicht in Morris. vergl. Basilius 11,042[e]) gebraucht und dieser Charakter heißt du, ihr u. s. w.

Ew. Excellenz

haben <also> auch nach dem Tse gnuy ganz recht von dem Begriff des schwer Athemholens auszugehen. Nur habe ich hierbey zu bemerken, daß diese Zergliederungen der ältesten Form der Charaktere (von Hiu schin unter der großen Dynastie Han, v. 290 v. bis 193 n. Ch. G.) von gar geringer Auctorität |sic| sind. Wer sagte Hiu schin, oder gar einem spätern Lexicographen, was diese Form ursprünglich bedeutet hatte? Kann man denn ein Beyspiel aufführen, wo der Begriff des Schweren, des Mühesamen festgehalten ist?

In allen Fällen laßt |sic| sich <aber> der Gebrauch des nai auf eine Entfernung, auf etwas außerhalb des Sprechenden <und fern von ihm> Befindliches beziehen. Hatte also das Wort ursprünglich <auch wirklich> die Bedeutung des Müheseligen, so ward in der abgeleiteten Anwendung desselben bloß der Begriff, der Act der herbeygeführten Trennung festgehalten. Wir aber können uns bloß, wie es mir scheint, auf den lebendigen Sprachgebrauch uns einlassen; hält man den Begriff des Fernseyns fest, so laßt |sic| sich dadurch auch sein Gebrauch als Explativ erklären, – eine Benennung (Explativ) womit im Chinesischen gewaltiger Unfug getrieben wird. Es gibt keine Explative.

|134v| 2. nai wird ganz klar durch die Vergleichung mit zwey andren Wörtern, mit denen es so genau zusammenhängt wie նա na im Armenischen mit սա und տա sa u ta. Diese zwey Wörter hat Rém., der <hier> den P. Prèmare bloß abgeschrieben hat, nicht verstanden; diese Wörter sind  Sankskrit tsche und  Sankskrit na. Tsche heißt hier oder սա, sa (Beyspiele bey Rem. § 337 Morrison ton. Th. no 480); na heißt * տա, ta istic (Morr. 7857); nai ist նա, die 3te Entfernung. Ich zweifele nicht daß man durch eine Masse von Beyspielen, zu deren Sammlung ich aber jetzt unmöglich Zeit habe, den Gebrauch von Tche, na u. nai ebenso bestimmen kann, wie den von սա, տա und նա, sa, ta und na im Armenischen.

3. Tschy fang nai hse (das erste Beyspiel) heißt nach den Gesetzen der chines. Construktion, wie Ew. Ex. vortrefflich bemerken, wörtlich so: „Er stieg in <eine> räumliche < Sankskrit > Ferne oder Entfernung und starb.“ Meine <erste> Uebersetzung ist etwas zu frey. Wenn ich nai, sondern gleichstellte, so meinte ich den ursprünglichen Begriff des sondern <Sonderns>, Absonder<n>s, was freilich auch jeder Gegensatz in sich einschließt; doch sagt <zeigt> nicht jeder Gegensatz <auf> ein bloßes Sondern, sondern auf noch etwas anderes <Anderes>, – man könnte deshalb nai nicht mit aber übersetzen.

4 Ich glaube nicht daß sich Beyspiele finden wo nai gradezu für ein Pron. personale der 3ten Person gebraucht wird. Daß es aber, vermöge seiner Bedeutung von „Ferne“ für ein Pron. demonstrativum vorkommt, scheint mir keinem Zweifel |133r| unterworfen zu seyn. Ich bitte Ew. Exc. folg. Beyspiele zu betrachten.

 Sankskrit  Sankskrit  Sankskrit  Sankskrit  Sankskrit Kao yao youe, <tou,> i hing yeou kieou te, i yan khi schin yeou te, nai yan youe tsay tsay tsay (10413 M. tonischer Theil) Kao yao sagt: Im Allgemeinen (tou 10338), giebt <gibt> es (yeou 12107) auch (y 12185) 9 (kieou) Tugenden (te, 10202) der Aufführung oder im Betragen (hing 3969); mag man nun sagen jener Mensch hat Tugend (y yan 12009 khi (Rém. <Elements> § 133) schin yeou te), so heißt (youe) jenes Wort (nai yan), <oder jener Satz> er handelt (tsay 10423) überaus glänzend (tsay 10413. Der Superlativ liegt in der Wiederholung eines und desselben Wortes, wie im Hebräischen cet.) Schu king Kao yao mo 4tes Kapitel. Blatt 98. m. Ausgabe.

Im Yu kong, im zweiten Theil des Schuking, ist von 2 verschieden. Feldern die Rede, wovon das eine besser war, das andere schlechter, aber <nachdem es>  Sankskrit  Sankskrit tso schi yeou san tsai, nai tong, bearbeitet wurde (tso 11027) 10 und (yeou) 3 Jahre (tsay), ward war oder ward es (supplat) gleich (tung 11381) jenem (dem fernen Felde, von dem früher gesprochen ward.) Schu king Blatt 11a m. Ausg.

Der letzte Satz von Tang kao (S. 89 in der fr. Uebersetzung S Bl. 4a 3ter Theil m. Ausgabe) lautet so:  Sankskrit  Sankskrit , – Schang ke schy, nai y yeou tang. Ich hoffe (schang 91001 <9101>) ke möglich zu machen (ke 583 Basilius[f]), daß jenes (nai) auch (y) habe oder erhalte (yeou) sein Ende (t<sch>ong 1747) oder <eine> Erfüllung.

|133v; Anschrift|
S r Excellenz
Herrn Minister v. Humboldt
in
Tegel.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Dieses Verzeichnis erschien im Februar-Anzeigenblatt der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik 1830 und löste in Form einer Rezension von Heinrich Kurz antisemitische Angriffe auf Neumann aus; siehe dazu den Brief Julius Klaproths an Alexander von Humboldt vom 5. November 1831 (Walravens 1999, S. 129–131). Der Wortlaut der Rezension von Kurz sowie die darauf folgenden Antworten von Neumann und Alexander von Humboldt finden sich bei Hartmut Walravens (2017): Zu den von Alexander von Humboldt aus Russland mitgebrachten Büchern. In: HiN XVIII, 34, S. 106–114. [FZ]
    2. b |Editor| Siehe den Anhang unten.
    3. c |Editor| Der Autor ist Isaac Jacob Schmidt. [FZ]
    4. d |Editor| Zu dem im Jahr 1039 fertiggestellten phonetischen Wörterbuch Chi-yün siehe Mueller-Vollmer 1993, S. 158 Anm. 22. [FZ]
    5. e |Editor| Basile de Glemona (1648–1704), ein Missionar des Minoritenordens in China, verfasste ein handschriftliches chinesisch-lateinisches Wörterbuch, das 1813 von Chrétien-Louis-Joseph de Guignes in Paris leicht verändert (ohne Nennung des eigentlichen Autors) veröffentlicht wurde. Die genannte Nummer (11.042) bezieht sich auf die Ausgabe von Guignes, S. 768. – Zu Basile de Glemona siehe das Dizionario Biografico degli Italiani, Band 14, 1972. [FZ]
    6. f |Editor| Die genannte Nummer (583) bezieht sich auf die Ausgabe von Guignes, S. 40. [FZ]

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
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    Folgebrief
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    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 17, Bl. 131, 133, 134, 137
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 158 (dort falsche Datierung und Blattzählung)

    In diesem Brief

    Zitierhinweis

    Carl Friedrich Neumann an Wilhelm von Humboldt, 16.01.1830. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/709

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