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  3. Nr. 75

Heinrich Julius Klaproth an Wilhelm von Humboldt (?), 05.11.1831

|16r| Paris d. 5. November 1831

Die viele Güte und das besondere Wohlwollen womit mich Ew. Excellenz seit mehreren Jahren beehrt haben, bestimmen mich Sie gehorsamst zu bitten mir die Erlaubniß zu ertheilen Ihnen privatim meine unpartheische Meinung über mein Verhältniß mit Herrn Professor Neumann mitzutheilen, weil ich dieselbe nicht für geeignet achte der Gegenstand einer offiziellen Correspondenz zu werden[a], und mir doch auf der anderen Seite viel daran liegt Ew. Excellenz über dieses Verhältniß eine hinlängliche Aufklärung zu geben.

Ich fange damit an Herrn Neumann’s Kenntnisse oder Unkenntnisse im Chinesischen dahingestellt zu lassen, und beschränke mich auf das was seine Person anbetrifft. Als derselbe 1828 nach Paris kam ward derselbe sowohl von Herrn Abel Rémusat als auch von mir auf das verbindlichste aufgenommen, und wir haben alles mögliche gethan, um ihm in seinen Chinesischen Studien behülflich zu seyn. Als derselbe nach England ging beeiferten wir uns ihm Empfehlungsbriefe an unsere Freunde in England zu geben, die, wie ich bestimmt weiß, für ihn vom größten Nutzen gewesen.

Wie groß war daher unser Erstaunen, als sich von Berlin aus hier allgemein die Nachricht verbreitete, daß Herr Neumann, der von London dort angekommen, behaupte, die Chinesische Grammatik des Herrn Rémusat sey nichts, als ein Auszug von Prémares hand-|16v|schriftlicher Notitia Lingiae Sinicae. Dieses Gemenge von Unwahrheit und Undank gegen seinen Lehrer, empörte alle diejenigen die sich in Paris mit den Chinesischen Studien beschäftigten, und Herrn Neumanns Verhältnisse zu Herrn Rémusat kannten, und ich kann nicht läugnen, daß auch ich von diesem Gefühle ergriffen ward. Herr Dr. Kurz aus München, einer der besten Schüler des großen Pariser Sinologen, beschloß seinen Lehrer zu vertheidigen und Herrn Neumann’s geringe Kenntnisse darzuthun, und schrieb eine Deutsche Brochüre, von der ich zur Zeit die Ehre gehabt habe Ew. Excellenz ein Exemplar zu übersenden. Ich habe aber an derselben keinen weiteren Antheil gehabt, als das was auf den Chinesischen Wachtposten am Irtysch, Choni Mailachu genannt, Bezug hat.[b]

Nach seiner Rückkunft aus Canton hat zwar H. Neumann in der Staatszeitung erklärt[c], daß er nichts von dem in Berlin gesagt habe, dessen man ihn beschuldige: daß er Herrn A. Remusat schätze, ehre und dankbar verpflichtet sey; daß er ferner nie behauptet habe, dessen Grammatik sey aus Prémare’s ausgeschrieben u.s.w. – Mit dieser Erklärung stimmt aber keineswegs folgende Phrase die H. Neumann im Septemberstück des Londoner Asiatic Journal (S. 15) eingerückt hat, und durch die er das, was er früher erklärt, wieder zurück zu nehmen scheint. "I observed that the subject never comes after its verb [...] this rule and the explanation of the phrase occurs in the Chinese |17r| Grammar, which appeared under the name of M. Rémusat."

Die Beschuldigung H. Remusat habe Premare ausgeschrieben ist allzu lächerlich, in dem Augenblicke wo das Werk des letzteren auf Herrn Remusats Betrieb im Drucke erschienen. Schon seit mehr als zwölf Jahren hat derselbe die Notitia Linguae Sinicae, als ein sehr brauchbares Werk, allen seinen Schülern zum Selbststudium angerühmt, und sie den mehrsten derselben, und namentlich Herrn Neumann zur Abschrift mitgetheilt. Er hat aber noch mehr gethan, in dem er den reichen Lord Kingsborough bestimmte das Werk in Macao auf seine Kosten drucken |zu| lassen, und zwar nach Herrn Remusats eigenhändiger und wesentlich von ihm verbesserter Copie, von der Herr Julien die Abschrift genommen, welche nach Malacca zum Druck geschickt wurde. Alles was sich in H. Remusats Grammatik, aus Prémare finde, sind höchstens ein Duzend Beispiele, die Rémusat noch nach den Chinesischen Originalen verifiziert hat, weil Prémare nie die Quelle angegeben aus der er geschöpft.[d]

Was nun aber auch in dieser Hinsicht meine Meinung über Herrn Neumanns Handlungsweise seyn mag, so bin ich jedoch weit entfernt, ihm das Verdienst abzusprechen das er sich, um die Chinesische Litteratur in Europa, durch seine Reise nach Canton und durch den Ankauf einer Chinesischen Bibliothek daselbst, erworben hat. Nach allem dem was ich von London aus, und zwar von |17v| Kennern, über seine Sammlung erfahren habe so ist dieselbe ganz ausgewählt und von der größten Wichtigkeit. Besonders sind die Buddhistischen Werke fast einzig in Europa[e], und finden sich nur noch in Morrisons, jetzt zu London zum Verkauf stehenden Bibliothek. Ich kann daher Ew. Excellenz nur Glück wünschen, Herrn Neumann mit Aufträgen zur Vervollständigung des Königlichen Bücherschatzes in Berlin beauftragt zu haben, und bin überzeugt, daß seine Einkäufe ganz den edlen Absichten entsprechen die sie veranlaßt haben. Sollten daher Ew. Excellenz es wünschen, und meiner Unpartheilichkeit vertrauen, so werde ich gern die Mühe übernehmen den Catalog der Sammlung durchzusehen und darüber Bericht abzustatten, der gewiß günstig ausfallen wird, indem ich bereits eine hohe Meinung von der Wichtigkeit der Sammlung habe, und nichts sehnlicher wünsche als dieselbe vollständig in Berlin fixirt zu sehen.

Mit tiefster Hochachtung und Dankbarkeit habe ich die Ehre zu seyn
Ew. Excellenz ganz gehorsamster Diener
H. J. Klaproth

Anmerkungen

    1. a |Editor| Privat blieb dieser Brief mitnichten: Auf der ersten Seite des Schreibens finden sich verschiedene Vermerke (u.a. von Johannes Schulze), die darauf hinweisen, dass der Brief in der preußischen Kultus-Verwaltung kursierte. [FZ]
    2. b |Editor| Der Wortlaut einer ebenfalls erschienenen Kritik von Kurz sowie die darauf folgenden Antworten von Neumann und Alexander von Humboldt finden sich bei Hartmut Walravens (2017): Zu den von Alexander von Humboldt aus Russland mitgebrachten Büchern. In: HiN XVIII, 34, S. 106–114. [FZ]
    3. c |Editor| Siehe den Wortlaut aus der Allgemeinen Preußischen Staatszeitung 111 vom 22. April 1830 bei Hartmut Walravens (2017): Zu den von Alexander von Humboldt aus Russland mitgebrachten Büchern. In: HiN XVIII, 34, S. 108–110. [FZ]
    4. d |Editor| Eine Antwort auf diesen Brief könnte das Schreiben Wilhelm von Humboldts vom 5. April 1832 sein, in dem er auf die Plagiatsvorwürfe gegen Rémusat eingeht. [FZ]
    5. e |Editor| In einem Brief an Alexander von Humboldt vom 18. April 1832, in dem Klaproth zwei Seiten mit koreanischen Wörtern für Wilhelm von Humboldt mitteilt, urteilt Klaproth nicht mehr positiv über die Neumannschen Erwerbungen aus China. [FZ]

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
    Schreibort
    Antwort auf
    -
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Berlin, SBBPK, Slg. Darmstädter 2b 1807 (5) [acc. Darmst. 1913.51], Bl. 16–17
    Druck
    • Walravens 1999, S. 129–131
    Nachweis
    -
    Zitierhinweis

    Heinrich Julius Klaproth an Wilhelm von Humboldt (?), 05.11.1831. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/75

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