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  3. Nr. 754

Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 26.10.1825

|1*| Tegel, den 26. October, 1825.

Ihr freundschaftlicher Brief vom 4. v. M. hat mir, wie alle, die ich von Ihnen empfange, die herzlichste Freude gemacht, und ich danke Ihnen, liebster Freund, auf das innigste dafür. Es ist meiner Frau und mir wirklich rührend gewesen, daß Sie Sich des Geburtstags des 16. Mai erinnert haben, und Sie können gewiß überzeugt seyn, daß auch in uns die Erinnerungen jener Zeit, wo Sie in unsrem Hause lebten, nie erlöschen wird. Meine Frau u. Caroline grüßen Sie auf das freundschaftlichste. Ihre Reise nach Berlin würde uns, wenn sie gerade in eine Zeit getroffen hätte, wo wir dort oder hier gewesen wären, unendliche Freude gemacht haben, allein als Geschäftsreise, wie Sie sie mir schildern, hätte ich sie Ihnen selbst nicht gewünscht. Es ist in Berlin doch Vieles, was Sie interessiren wird, auch Menschen, denen daran liegt, Sie zu sehen, u. die Sie wieder gern sehen werden, und alles dies müssen Sie in freier u. heitrer Muße genießen. Sehr schmerzhaft ist mir gewesen, was Sie von Ihrem Vater sagen. Ich wünsche von Herzen, daß seine Gesundheit sich wieder herstellen möge. – Ihren Philostrat habe ich freilich bis jetzt nur sehr flüchtig ansehen können, allein ich lese u. studire gewiß noch Einzelnes darin. Wenn ich mich jetzt meist auch mit sehr heterogenen Dingen beschäftige, so verlieren meine frühern Beschäftigungen ihren Reiz für mich nicht, u. ich lese doch immer noch sehr viel Griechisch u. Römisches. Ich hätte aber gewünscht, der Philostrat wäre Deutsch. Nun haben Sie einen ganzen Theil des Publikums ausgeschlossen, u. einen sehr dankbaren, die Künstler. Ich freue mich, aber bewundere auch Ihre rüstige Thätigkeit, liebster Freund, die neben dem Lesen u. gewiß vielen andren Geschäften so Vieles zu Tage fördert. Ihrem Theognis sehe ich mit wahrem Verlangen entgegen. Mir wird es immer unmöglich bleiben, viel drucken zu lassen. Ich schreibe zum Druck zu zögernd u. langsam, und mache nicht bloß zu dem, was ich schreibe, oft übermäßig große Vorstudien, sondern oft auch Vorstudien |2*| zu Arbeiten, die ich nie mache, oder die nie erscheinen, so daß auch von den Vorarbeiten niemand etwas erfährt. So habe ich im vergangnen Winter gewiß vier Wochen mit den Sprachen der Südseeinseln zugebracht, u. mir die Mühe gegeben ein ganzes Otaheitisches Evangelium Johannis[a] bloß nach dürftigen Hülfsmitteln verwandter Dialecte durchzuarbeiten, ohne daß ich weiß, ob ich davon werde je Gebrauch machen können. Es scheint mir aber nothwendig in den Studien, die ich treibe, Vieles, auch zur Seite Liegendes, zu durchlaufen, bloß um gewiß zu seyn, daß da nichts steckt, was den Behauptungen, die man machen möchte, feindlich entgegentritt. Das Meiste aber, was in mir der Autorschaft entgegenwirkt, liegt tiefer in meiner Ansicht des Lebens. Ich habe, so lange ich in Geschäften war, mehr auf das Thun, als die Thaten, gehalten, u. halte im litterärischen Leben mehr vom Lernen, als vom Hervorbringen. Ich habe einmal die bestimmte Idee, daß man, ehe man dies Leben verläßt, soviel von inneren menschlichen Erscheinungen, für die ich doch allein rechten Sinn habe, da mich alles Andere nur vorübergehend berührt, kennen u. in sich aufnehmen muß, als nur immer möglich ist. Ein mir neues wichtiges Buch, eine neue Lehre, eine neue Sprache scheinen mir etwas, das ich der Nacht des Todes entrissen habe, und machen mich innerlich viel mehr glücklich, als ich es aussprechen kann. Das geringe Talent äußrer Hervorbringung, das ich besitze, ist auch gar nicht zu vergleichen mit dem, wie ich wahrhaft sagen kann, viel ausgezeichneteren, Verschiedenartiges u. Tiefes in mich aufzufassen, u. innerlich zu verknüpfen, u. jeder Mensch muß doch seiner Individualität u. seinem charakteristischen Talent nachgehen. Daß ich z. B. Sanskrit gelernt habe, kann ich in der Freude u. Genugtuung, die es mir innerlich verschafft, mit keinem andren Gut u. keiner andren Freude vergleichen. Es ist mir geradezu ein solcher Gewinn, wie es mir war, in das Griechische einzugehen, u. da es sich mit dem Griechischen glücklicherweise in mir verbindet, stellt es sich auf einmal auf eine viel höhere Stufe. Den ganzen Sommer habe ich Manus Gesetzbuch gelesen u. studirt, großentheils mit dem Indischen Commentar, u. ob es gleich bei weitem die Eindrücke nicht hinterlassen kann, welche die Bhagavad Gita macht, |3*| so gewährt es mir doch einen ungemeinen Genuß. Friedrich Schlegel hat von beiden Gedichten (verrathen Sie mich aber dem Bruder nicht) wirklich ziemlich, wie der Blinde von der Farbe, gesprochen, u. mit schneidender Systemssucht. Ich werde vermuthlich auf die fertige Abhandlung über die Gita eine über den Manus[b] folgen lassen, in der ich alle metaphysischen Stellen, die zum Theil ganze Bücher sind, auf das sorgfältigste durchgegangen bin. Ein großer Reiz des Alterthums, davon bin ich jetzt fest überzeugt, liegt gewiß darin, daß eine Schrift aus klassischer Zeit nicht mehr Gedanken eines Einzelnen, sondern einer Nation, eines Zeitalters scheint, u. der Mensch will doch immer auf der breiten Basis der Menschheit ruhen, nicht ohne geheime Ahndung, daß in dieser unmittelbarer die Gottheit liegt. – Sie haben vielleicht, liebster Freund, aus den Zeitungen gesehen, daß ich an der Spitze eines Kunstvereins stehe, der sich hier gebildet hat, um die Hervorbringung u. Verbreitung von Kunstwerken zu befördern. Die Sache hat sehr guten Fortgang u. wir mögen wohl schon 1,200 bis 1,300 Th. jährliche Beiträge unterzeichnet besitzen. Ich werde so frei seyn, Ihnen einige Exemplare des Status u. der Ankündigung zu überschicken, u. es würde uns sehr freuen, wenn wir durch Sie auch von dorther Unterschriften erhielten. Der Verein hat die Portofreiheit, u. wenn Sie uns etwas für unsren Zweck überschicken wollten, müßten sie |sic| nur die Addresse an den Verein richten (abzugeben bei mir, oder dem Secretair Dr. Jüngken) u. Ihren Namen eigenhändig auf die Addresse schreiben. Natürlich muß in dem beigefügten Brief zugleich nichts Anderes stehen, als was auf den Verein unmittelbar Bezug hat. – Herrn Bach habe ich mit Vergnügen gesehen, u. freue mich zu hören, daß er noch hier ist. Von dem sehr tadelnswürdigen Betragen Heinrichs hatte er mir erzählt. Die Suspension aber kann ich nicht billigen. Meiner Neigung nach eignete sich die Sache zu einem Verweise u. seiner Belehrung, u. dann konnte vieleher der Beleidigte die Civilklage anstellen, was er aber vielleicht nicht gethan hätte. Wollte man weiter gehen, so war die Entlassung unvermeidlich. Was sollte eine Suspension bewirken?[c] – Daß Schlegel viele erzürnen muß sehe ich auch daraus, daß er gar nicht schreibt. Ich habe ihm im Julius |4*| einen Aufsatz geschickt, u. weiß noch nicht, ob er ihn empfangen hat. Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie es von ihm herausbrächten, nemlich das einfache Factum, ob ihm der Aufsatz zugekommen ist? Hat er ihn erhalten, so bedarf es weiter nichts. Hätte er ihn aber nicht bekommen, dann bitte ich Sie, es mir anzuzeigen. Ich ersuche Sie aber bestimmt, ihn nicht in meinem Namen zu fragen, sondern nur so, als schiene es Ihnen aus meinem Briefe, daß ich ihm etwas geschickt habe. Ich bin über sein Stillschweigen, das ich ganz begreiflich finde, nicht im Mindesten empfindlich, u. er würde das unfehlbar denken, wenn ich nach der Antwort fragen ließe. Schlegel hat wirklich ein seltenes Talent, u. ein großes Verdient um mehr als Ein Fach des Wissens u. Denkens, aber es wäre sehr zu wünschen, daß er wenigstens jetzt die Eigenheit verlöre, sich so leicht durch etwas, das gar nicht mit dem, was er leisten kann, im Verhältniß steht, von dem richtigen Wege abbringen zu lassen. Auch im Sanskrit, u. von dem was er darin geleistet, konnte er unglaublich viel mehr, fast mit derselben Mühe thun. – Haben Sie Bopp vielleicht auf seiner Durchreise durch Ihre Gegend gesehen? Er ist eine der stillen u. sehr anspruchlosen Naturen, die aber in ihrem bestimmten Kreise sogar viel mehr zu Stande bringen, als man ihnen anfangs zutraut. Ich halte ungemein viel auf seine Sanskrit Grammatik. Schade nur ist es, daß er nicht die Fundamentalkenntnisse des Lateinischen u. Griechischen hat, die man bei uns bei jedem Philologen, nicht mit Unrecht, voraussetzt.[d]

Leben Sie nun herzlich wohl, theuer Freund. Mit der innigsten Freundschaft
der Ihrige.
Humboldt

Anmerkungen

    1. a |Editor| In Humboldts Nachlass, Varia Tahitiana (Konvolut 2); s. Schwarz 1993, S. 59 Nr. 451.
    2. b |Editor| Die Abhandlung über Manus Gesetzbuch wurde nicht fertiggestellt; die Vorarbeiten befinden sich unter die Signatur Coll. ling. fol. 152 in der Staatsbibliothek zu Berlin.
    3. c |Editor| Der Abschnitt zu Bach und Heinrich fehlt in der Edition von Haym, da der Vorfall wohl als ehrenrührig angesehen wurde. Vgl. zu Bach und seinem Konflikt mit Heinrich: Rosane Rocher / Ludo Rocher (2013): Founders of Western Indology. August Wilhelm von Schlegel and Henry Thomas Colebrooke in Correspondence 1820–1837, Wiesbaden: Harrassowitz, S. 131 Anm. 128; Friedrich von Bezold (1920): Geschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität von der Gründung bis zum Jahr 1870, Bonn: Marcus & Weber, S. 238f. und 267f. [FZ]
    4. d |Editor| Dieser Satz fehlt in der Edition von Haym.

    Über diesen Brief

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    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Bonn, ULB, S 689, Nr. 38
    Druck
    • Haym 1859, S. 127–131
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 7534

    In diesem Brief

    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Friedrich Gottlieb Welcker, 26.10.1825. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/754

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