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  3. Nr. 807

Friedrich Philipp Schmidt an Ludwig von Vincke, 18.07.1827

|133r| Hochwohlgebohrner,
Sonders hochzuverehrender Herr!

Um mich des angenehmen Auftrags, den Ew Excellenz mit mittelst geehrten Schreibens vom 20.ten v. M. zu ertheilen die Gewogenheit hatten, gehorsamst und nach Kräften zu entledigen, habe ich mich von den fraglichen Zigeunern, die übrigens nicht zu meinem, sondern zu dem Kirchspiele Feudingen gehören, möglichst über ihre Sprache unterrichten lassen. Die gemachten Bemerkungen habe ich auf den gehorsamst angelegten 3. Bogen aufgezeichnet.[a]

Nicht das ganze Lexicon habe ich mit den Leuten durchgangen, weil ich fürchtete meine gehorsamste Antwort zu lange verzögern zu müssen, und weil ich glaubte, daß aus den aufgeschriebenen Bemerkungen schon genügsam erhelle, daß die Sprache unsrer[b] |133v| hiesigen Zigeuner, bis auf einige wenige Ausnahmen, ganz dieselbe mit der in Bischoffs Wörterbuch aufgenommenen sey. Selbst der Accent bei der Aussprache stimmt genau mit dem in dem Büchelchen überein.

In die Augen fallend ist es, daß viele Wörter aus der lateinischen oder deren Tochter-Sprachen herstammen, wie z.B. von lacerta, furca, cerrus, venter die Eingeweide, canna das Pfeifenrohr, von marteau und servante, vielleicht auch baro groß und peharo schwer, von dem griechischen βαρυς. Aus dem Deutschen haben übrigens die Zigeuner nicht nur ebenfalls viele Wörter, sondern sie bilden auch ihre Sätze oft wörtlich nach den Deutschen, wie z.B. bei dem Worte: abarbeiten, in den Bemerkungen zum Lexicon. Wahrscheinlich ist aber das letztere nur Nothbehelf, indem ihnen die eigenen Ausdrücke und Wendungen verlohren |sic| gegangen sind.

Da die Sache mir selbst höchst interessant war, so habe ich auch auf einige |140r| andere Verhältnisse der Zigeuner, die in dem wieder zurückgehenden Buche berührt werden, in Beziehung auf die Sassmannshäuser Colonie, Rücksicht genommen, und erfuhr dadurch, daß auch diese der Meinung sind, ihre Vorfahren stammten aus Egypten, |sic| und daß die im §. 2. genannten Geschlechts Namen, die sie sich selbst beilegen, auch unter ihnen alle gangbar sind. Sie erklärten mir aber daß das Wort Tschehl nur: Geschlecht bedeute, und daß man ebensogut als Melleli-Tschehl auch Romni Tschehl sagen könne.

Wahrsagerey, behaupten sie, werde von ihnen nicht mehr getrieben, und sie selbst erkannten dieselbe als eine Betrügerey an. – Ihrer Religion sind sie, was die ältern betrifft, alle katholisch, die jüngern aber sind Protestanten. Sowie Bischoff, §. 11. eigene Zunamen anführt, die die Zigeuner außer den Taufnamen noch annehmen, so finden sich auch unter unsern Zigeunern noch die Namen Hilderi, Bauso, Schnukel, und weiblich Ceclimis, Seube, Mammiche, Kinnerche. |140v| Mehr über die Verhältnisse und den Geist dieser Menschen zu sagen, liegt außer der Grenze des mir hochgeneigtest gegebenen Auftrags. Selbst bis jetzt möchte ich vielleicht schon zu weitläuftig geworden seyn, weswegen ich um gütigste Entschuldigung gehorsamst bitte.

Der ich in tiefstem Respecte mich der fernern Gewogenheit Ew: Excellenz gehorsamst empfehle, und zu beharren die Ehre habe
Ew. Excellenz
gehorsamster D|iene|r
F. Schmidt.
Laasphe den 18.ten July 1827.


|Anhang|

|134r; bog: 1| Bemerkungen
zu Abschnitt II Pag: 14 seqq des „Deutsch-Zigeunerischen Wörterbuchs von D.r Ferdinand Bischoff“, in Beziehung auf die in Saßmannshausen, Kreises Wittgenstein wohnende Zigeuner Colonie

––––––––

ad §. 1.
Diese Colonisten sprechen ihre Sprache selbst unter sich nicht mehr immer, nur bisweilen noch, und bedienen sich gewöhnlich statt ihrer, der Deutschen. Viele Gegenstände wissen sie nicht mehr zu benennen, und sind selbst überzeugt, daß ihre Sprache schon sehr ausgeartet sey

ad §. 2.
Die genannten Redetheile finden sich alle auch in ihrer Sprache, nur den Artikel, wie er ihnen erklärt wurde, behaupten sie nicht zu haben.

ad §. 3.
Auch sie setzen den Substantiven bisweilen o und i, häufiger aber gowe und goje vor, behaupten aber o und gowe seyen das masculinum, i. und goje das femin: des pronom: demonstrat: dieser, diese.

ad §. 4.
Das im ersten Absatze Gesagte vollkommen übereinstimmend.

Auf a wissen sie keine substantiva zu nennen, aber auf i. o. und auf Consonanten. Die auf i. machen sie im plur: auf ja, die auf o mit i die auf einen Conson: mit a.

Sie dekliniren abweichend, nämlich:

Sing: Plur.
N. manusch N. manusch
G. manuchescero G. manuschengeri
D. manusches D. manuschenge
A I. manusches A I. menuschin
A II. manuscheske A II. menschinde
V. manuscheje V. menschàle <manschàle>
Abl: I manuschester A I. manuschinder
Abl. II. manuschéhe A II manuschinze.

|134v| Sie behaupten der im § vorkommende Abl: II. plur. sey ganz unrichtig denn manuscheliaha sey singularis und heiße: mit einem weiblichen Menschen.

Die Deklination von gajo /:sprich gàtschŏ:/ und sinte ist wie in manusch abweichend.

Gajo soll übrigens nicht ein Mann überhaupt, sondern nur ein Deutscher Mann, ein Deutscher heißen, sowie gaji eine Deutsche.

Auch die Deklinat: des foeminini weicht ab.

Sing Plur
N. Pehn N. Penja
G. Penjakĕro G. Penjingre
D. Penjake D. Penjin
A I. Penja A I. Penjin
A II. Penjake A II. Penjinge
V. Pen V. Penja
A I. Penjater A I. Penjinder
A II Penjahe A II. Penjinze.

Was von Bildung der adjectiven aus subst: überhaupt gesagt ist, übereinstimmend, auch aus bersch richtig gebildet perscheskĕra, aber gascht soll haben gaschtèno oder auch gaschtister

ad § 5
Ihre adjectiva endigen sich nur auf Consonanten oder im mascul: auf o. im fem: auf i. Alle aber können nicht deklinirt werden und haben auch keinen besondern Plural. Die Eigenschaft der Anhängsilbe penn /:sie sagen pinn:/ und der vorgesetzten nàni, bestätigen sie.

|135r| ad § 6.
Um den Comparat: zu bilden, setzen sie dem positiv die Silbe der an, um den superlat: zu bezeichnen, setzen sie dem Comparat: gowe vor.

ad §. 7.
Sie kennen nur cardinalia und ordinalia, welche letztere sie ebenfalls durch das angehängte to bilden. Von distributiv: wissen sie nichts. Auf die Frage: wieviel ein jeder, setzen sie den cardinalibus hakeno jeder und hakeni jede, vor.

ad § 8.
In der Deklinat: der Pron: weichen sie ebenfalls ab. Sie dekliniren:

Sing: Sing.
N. me tu
G. miro tiro
D. mange tute
A I. mane tut
A II. mande tuke
Abl: I mander tuter
Abl II manser tuha.
Plur
N. me oder mer tumé
G. maro tumàro
D. menge tumene
A I. menge tumen
A II. menge tumenge
Abl: I. mender tumender
Abl. II. mensche tumensche.
Sing: Plur:
N. jow jole
G. leskero lengero
D. leske lenge
A I. les len
A II. leske lenge
Abl: I. lester lender
Abl. II. léhe lensche
|135v|
Sing.
N. joi Ac: II. late
G. lakro Abl. I. later
D. lake Abl: II. lahe.
A I. la

Ihre Possessiva sind: miro mein, miri meine, tiro dein, tiri deine, leskero sein, lakero ihren <ihr>

ad §. 9.
1.r Absatz: Ganz übereinstimmend, nur sagen sie statt af im Infinit: àbĕ.

2.r Absatz: Auch sie haben nur das Praes: und Praeterit: Um das futur: zu bilden setzen sie zwischen das Pronom: personal: und die Form des Praesens <Infinitivs> nach dem Worte: gamawe te und behaupten jenes heiße: ich werde oder ich will, das te sey Conjunction, das me gamawe wird wie sonstige Zeitwörter flectirt.

3.r Absatz. Mit hun te bilden auch sie ihr: müssen und sollen, wie im Texte gesagt ist. Die Bezeichnungsart der Personen in verbo, übereinstimmend. Das gleiche was die Participia betrifft.

4.r Abs: Das Passiv: bilden sie durch Vorsetzung des verbime wawe vor das auf o. sich endende eigens gebildete partic: pass: z.B. ich schlage me gurawe, Passivum: me wawe gurto, ich liebe me gammawe, passiv: me wawe gamlo; ich schimpfe me prassawe, Passiv: me wawe prastetino.

ad §. 10.
Die Conjugation weicht in Etwas ab. Sie konjugiren:

Praesens:
me gerrawe mer gerrahe
tu girrèhe tumé gerne
jow gèrle jol gerne
|136r|
Perfect:
S. P
me gerrdum me gerrdam
tu gerrdal tumé gerrdam
jow gerrdas jol gerrde
II. Conjug:
Praes:
S: P.
me dāwe me dahe
tu dēhe tumé dehe <dēne>
jow dēle jol dēne
Praet:
S. P.
me dijum mer dejam
tu dejal tumé dejan
jow dejas jol dine
Das Zeitwort: seyn
Praes:
S. P.
me hom mer ham
tu hal tume hal
jow hi jol hi
Praet:
me homes mer homes
tu holes tume hanes
jow his jol his.

|136v| Lexicon

Vorerinnerung
Um die Uebereinstimmung oder Abweichung der Sprache der Saßmannshäuser Zigeuner von der in Bischoffs Lexicon aufgenommenen kennen zu lernen, wurden folgende Wörter denselben im Deutschen vorgelegt. Stimmte ihre Uebersetzung vollkommen mit dem, im Buche mit lateinischen Letern abgedrukten |sic| Worte überein, so wurde hier zu dem deutschen Worte nichts weiter bemerkt; ihre Abweichungen aber sind angeführt.

Aas. – Aasgeruch – Ab deli rechtsab tschatschudeli linksab serwesdeli – Abärgern hojerwabe, ich muß mich pp me hun te hojerwabĕ man tomer – Abarbeiten. Die Redensart: diese Arbeit pp, drüken unsre Zigeuner wörtlich so aus gaje butin tschale mire lowinter tele, ho hum liske schian. – Abart, z. B. zur Bezeichnung pp sagen sie: gole hi gatschinder, und behaupten manoschinder würde ein von Zigeunern Abstammender seyn, da manusch nur ein Mann von ihren Leuten bezeichne. gajo /:gatscho:/ aber ein Deutscher. – Abbeißen, in diesem hier vorkommenden Satze, tadeln sie das guschja und setzen guschto, denn jenes sey pluralis – Abdecker – Abend – Abendbrod i e. Abendessen. Abendmahl des Herrn – Abendroth i. e. der rothe Himmel – Aber – Aberglauben, wissen sie nicht zu geben, der Satz in zigeunerscher Sprache, der ihnen zur Übersetzung vorgelesen wurde, wurde wortlich |sic| wie im Buche von ihnen übersetzt – Abheben hatabĕ tele |137r| Abschütteln, unbekannt; fertabe heißt abwerfen. – Achsel – Acht – Achthundert – Achtzehn – Aderlassen i. e. Blut lassen – Advocat tschinamascĕro, heißt eigentlich Schreiber. – Ächt – Ähnlich jow dikele har me i. e. er sieht aus wie ich – Aeltermutter – Ängstlich, wie im Buche, aber auch me hom tarono ich bin änglich |sic|, und mange hi tar es ist mir bange. – Aerger – Aermel bäi, musin heißt der Arm. – Alt – Altar olturi – Alter purobin – Ambos, unbekannt u baro saster heißt das große Eisen. – Ameise – Amme i e. Wehemutter mominetze, das Wort im Buche heißt: die gebrannte Frau. – Amtmann heiße ohne üble Nebenbedeutung beriskĕro, wiewohl dieses Wort eigentlich: der dicke Leib heiße; rai sey: Herr. – Andere – Angst – Ankommen awabĕ auch blos wabĕ – Annähen –

Bach – Backe – Backen als verb: – Bahn schukertrom i. e. schöner Weg. – Band – Bande dorin, bari tschor sey Plural u. heiße: große Spitzbuben – Bank beschomaskĕro, stammen heiße Stuhl – Bart – Base pipin – Bau kehr, baro kehr sey ein großer Bau – Bauch – Bauer, unbekannt, gatsch sey überhaupt der Deutsche – Baum – Becher kohro i e Krug – Bäcker mariskĕro – Beide dui – Betteln – Bier – Birne – Bitter nanigulo. i. e. nicht süß – Brantwein |sic| – Büchse – Butter –

Cammerad |sic| –

Damals – Dampf – Dirne lubnin nur in böser Bedeutung, schlechte Dirne. – Dorf – Dumm nitgotschwero.

|137v| Ebräer – Ehe – me tschiwawe andre solgerbin oder me tschiwawe mire rom jache andro solcherbin i. e. ich lebe mit meiner Frau in der Copulation. – Ehre – Eichhörnchen – Eid sowil – Eidechse – Eile sider, sik ist imperativ eile du! – Elf – Eingeweide, pukko heißt Leber, wenterja die Gedärme – Einschenken – Einst jekobbo – Eltern murtat mirtaï i. e. Vater und Mutter, mer manusch i. e. meine Leute, elia als Plural, Endung kennen sie nicht. – Engel – Enkel tschakerotschawo i. e. Tochterkind, tschaweskero tschawo i. e. Sohns Kind – Eis – Ente – Entfernt — Entweder oder, können sie nicht ausdrücken, gerles mekles heißt: thue es oder lasse es – Esel – Essig –

Fangen tapperwabe – Faust – Feder – Fehler i. e. Sünde gerechi, hokerdall heißt: was hast Du gethan? – Feind, mischik tscheno heißt: ein böser Mann – Finger guschto, guschja ist plur: – Fisch – Flügel – Flamme jahk – Fleisch – Flicke – Folgsam gandemaskro – Freund, unbekannt, kak heißt der Vetter – Fürst rai i. e. Herr, krahli heißt der Kaiser.

Galgen Schebniza, seltner monoschwari – Gabel – Gans – Ganz zelo, halanter heißt: Alles. – Garten – Gebet pristerbinn – Gefahr – Gegend unbekannt, durepinn heißt: die Ferne – Gehen – Geige weljone – Geld – Gold – Gott – Grab – gut –

Haar – Hafer – Hahn - Halb – Hals – Halstuch |138r| Hammer – Hand – Haus – Heben – Heiß – Hemd – Henker – Henne kachni und Tschawerin. – Hexe – Hirsch – Hoch unbekannt pral heißt: oben – Hochzeit o biaw /:sprich biau:/ – Hölle Helle, sap heißt die Schlange – Holz – Hören. – Horn – Hosen – Hund – Huth stadin

Ja – Jahr – Immer, unbekannt akeake heißt: A so! – Jung – Junge – kalt – Karte – Katze stirne – Kessel – Kette weringli – Kirche kangeri – Knie, – Knochen – Knopf – Kohle – kommen wabe – Kopf – Korb – Korn – Kraft – Krähen, die Redensart: o paschno delegohli – krank naswelo – Krätze – Kratzen – Krug – Kuh – küssen –

Lachen, ich lache me sawe – lahm bango i. e. krumm – lang – Lappen gotter, diklo heißt: Tuch – Laub battria – Leben – lebendig tschiwebinn – Leder mortschinn – Lefze – Leiche mule manusch i e. todter Mensch, mu<i>jas heißt: gestorben – Licht – Loben, lălschēs palàl i. e. Gutes nachsagen – lügen chochowabĕ – Lutheraner lutherjano, pessoschereskro heißt: Dickkopf.

Magd madiza, auch serwantiza – Marsch – Maul – Mehl – Milch – Müde – Musik – Mutter –

Nachmittag palal ochabin nach dem Essen, pahsch diwes heißt: der halbe Tag – Nacht – |138v| Nadel – Nagel am Finger, unbekannt – Nagel an der Wand. – Nase – Naß: kindo und sappeno – nehmen – Nichts – Nuß: pendich oder lakor.

Ochs gurob – Ostern patzerdi

Pritsche – Pfeffer – Pfeife i. e. musik: Instrum: Portemaskri, zum Rauchen tschandēle – Pferd – Pfote bīrŏ – Pfund – Priester – Prophet – unbekannt, kinamaskri heißt: der Abtritt – Pulver –

––––––––

|139r/v vacat|

Anmerkungen

    1. a |Editor| Beigelegt ist dieses Schreiben einem Brief von Ludwig von Vincke an Humboldt vom 4. August 1827. [FZ]
    2. b |Editor| Am Fuß der Seite: „25/7 Erforderte Berichte über verschiedene Personen pp F. 174-3“ Links, durchgestrichen: „25/7 Nr 2030“

    Über diesen Brief

    Eigenhändig
    Schreibort
    Antwort auf
    -
    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 56, Mappe 8, Bl. 133–140
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 233, 236
    Zitierhinweis

    Friedrich Philipp Schmidt an Ludwig von Vincke, 18.07.1827. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/807

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