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Wilhelm von Humboldt an Ignaz von Olfers, 26.07.1826

|174r| An Olfers.[a]

Da ich Ew. Hochwohlgeboren wegen Eifer für jede wissenschaftliche Bemühung kenne, und auch auf Ihre freundschaftliche Güte für mich rechnen kann, so bin ich so frei, Ihnen zu Ihrer bevorstehenden Reise nach Amerika die beiden Anlagen zuzuschicken.

Die französische, die ich auch auf anderm Wege zu verbreiten versucht habe, wünschte ich so viel als möglich an geeignete Personen in den verschiedenen Theilen Amerikas vertheilt zu wissen[b]. Ich erwarte davon gar keinen sichern Erfolg. Habe ich doch von dem in Münster 1777. gedruckten Chiliduga Havestader |sic| nur durch die angestrengten Bemühungen unsers Freundes Vincke ein Exemplar bekommen können, das man seinem Besitzer fast gewaltsam entrissen hat! Allein der Zufall kann herbeiführen, was man gar nicht erwartet, u. man muß wenigstens Alles thun, um ihm die Möglichkeit zu verschaffen, einen zu begünstigen. Es ist nicht anders, als wenn man in die Lotterie setzt. Ich habe die Liste mit Fleiß so klein gemacht, |174v| als möglich. Unter den mir bekannten Schriften sind dies die einzigen, deren Entbehren meiner Arbeit wirklich nachtheilig wird. Ew. Hochwohlgebornen werden Sich vielleicht wundern, Masinassis |sic|[c]  Kiriri Gramm. aufgeführt zu finden, von der ich eine Abschrift durch Ihre Güte besitze. Allein es wäre sehr angenehm, das Original mit dieser vergleichen zu können.

Die deutsche Anlage habe ich bloß für den Fall bestimmt, daß Ew. Hochwohlgebornen Lust u. Gelegenheit hätten, Sich damit zu beschäftigen. Ich würde es sehr natürlich finden, wenn Sie dieselbe auf sich beruhen ließen. Ew. Hochwohlgebornen lächeln vielleicht über die Kleinlichkeit der Fragen u. darüber, daß ich in diesen Sprachen eine solche Genauigkeit suche. Allein in grammatischen Dingen dienen ungenaue oder allgemeine Notizen wirklich eigentlich zu gar nichts, u. es ist das größeste Misgeschick, das diese Sprachen erfahren haben, daß so viele, die sie hätten gründlicher behandeln können, nachdem sie |175r| einige, ihrer Meinung nach, auffallende Sonderbarkeiten aufgeführt haben, plötzlich mit der Aeußerung abbrachen, daß es ermüdend u. unnütz sey, mehr ins Einzelne einzugehen. Es ist viel wichtiger, zwei oder drei Amerikanische Sprachen ganz genau u. gerade so, wie man Griechisch u. Sanskrit behandelt, bearbeitet, als einzelne Notizen über 60 oder 70 aufgehäuft vor sich zu haben. Ueber den innern grammatischen Bau können Reisende schwerlich mehr, als schon im Lande gesammelte Notizen mitbringen. Es gehört langjähriger Umgang mit den Eingebornen dazu, wirklich in eine Sprache einzudringen. Aber über die Aussprache ist es viel eher möglich, in der Kürze das Richtige aufzufassen u. mitzuschreiben, und die Vergleichung genauer, jetzt mündlich aufgenommener Zeugnisse mit den Behauptungen der Missionarien gewährt auch für die bei der Benutzung der Schriften der letztern so wichtige Kritik die bedeutendsten Aufschlüsse. Die Grundlage meiner ganzen Arbeit macht eine vergleichende Tabelle der Buchstabenlaute der bekannten Amerik. |175v| Sprachen, in der ich schon sehr weit vorgerückt bin u. die Hauptsprachen fertig bearbeitet habe.[d] Meine Hülfsmittel erlauben mir, mich überhaupt über den grammatischen Bau von etwa 40 Sprachen zu verbreiten. Ich suche in dieser Tabelle alle in jeder Sprache vorhandenen einfachen u. verbundenen Laute aufzuzählen, u. merke immer an, wie die verschiedenen Sprachlehrer jeden bezeichnet haben. Eine solche Lautaufzählung hat man noch von sehr wenig Europaeischen Sprachen. Sie fehlt noch von der Englischen, wie ich mich in London, wo ich versucht habe eine zu entwerfen, überzeugt habe. Die einfache Thatsache, daß <dem Englischen> unser kurzes a in Mann eigentlich fehlt, ist, soviel ich weiß, nirgends gedruckt. Aus meiner Amerik. Tabelle wird sich nun mit einem Blick sehen lassen, wie diese Sprachen mit einander übereinkommen (so haben sie fast gar keine Verbindungen eines stummen mit darauf folgendem liquiden Buchstaben, besonders nicht mit nachfolgendem r u.s.f.) welche in den Lauten verwandt, welche abweichend sind. Aber die Arbeit muß, den Hülfsmitteln nach noch unvollständig u. in einzelnen Punkten unrichtig seyn. In der Anlage habe ich über das Brasilianische nur das berührt, worüber man bei der Lesung der Sprachlehren und Wörterbücher sehr zweifelhaft bleibt.

Ich habe unendlich bedauert, Ew. Hochwohlgebornen neulich hier verfehlt zu haben. Vielleicht erlaubt Ihnen Ihre Zeit noch einmal uns das Vergnügen zu verschaffen Sie hier zu sehen. Meine Frau ist Sonntag abgereist. Wir haben unsre ganze Hoffnung auf die Badecur gesetzt.

Empfangen Ew. Hochwohlgebornen die Versicherung meiner herzlichsten u. ausgezeichnetesten Hochachtung.

Humboldt.
Tegel, den 26. Julius, 1826.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Hinzufügung in Leitzmanns Hand. Abschrift insgesamt von anderer Hand.
    2. b |Editor| Bei der hier genannten Anlage wird es sich um die Bücherliste handeln, die in zwei leicht von einander abweichenden Versionen erhalten ist: zum einen in Coll ling. fol. 57 (Krakau), zum anderen als lithografierte Beilage zum Brief von Olfers an Humboldt vom 23. Oktober 1827. [FZ]
    3. c |Editor| Vermutlich ist Lodovico Vincenzo de Mamiani gemeint.
    4. d |Editor| Diese Buchstabentabelle ist abgedruckt in: Humboldt, Wilhelm von (2016): Einleitende und vergleichende amerikanische Arbeiten, hrsg. von Manfred Ringmacher, Paderborn: Schöningh (= SZS III/1).

    Über diesen Brief

    Abschrift von Schreiberhand
    Schreibort
    Antwort auf
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    Folgebrief
    -

    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Jena, ThULB, Nachlass Leitzmann, Inv.-Nr. 250 (Abschrift)
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mattson 1980, Nr. 7640
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Ignaz von Olfers, 26.07.1826. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/881

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