Wilhelm von Humboldt an Theodor von Schön, 05.01.1829
|23r| Ew. Excellenz freundschaftliches Schreiben vom 8. v. M. hat mich sehr überrascht und unendlich erfreut. Ich dachte nicht, als ich die Worte über das Litthauische niederschrieb, daß sie würden mit so vieler Wärme und Zustimmung würden aufgenommen werden, als es von Ihnen und Herrn von Bohlen geschehen ist. Meine Freude darüber würde noch ungleich lebhafter gewesen seyn, wenn mich Ew. Excellenz Brief nicht in einer sehr traurigen Lage gefunden hätte. Diesem Umstande, und meinem Wunsche, Herrn von Bohlen’s interessante Schrift auch meinem Freunde Bopp mitzutheilen, müssen Sie meine verspätete Antwort zu Gute halten. Meine Frau ist seit unserer Rückkunft aus dem Bade sehr bedeutend krank, und ihr Zustand läßt mir kaum eine schwache Hofnung der Genesung übrig. Wir haben immer auf das engste mit einander verbunden gelebt, und auf gewisse Weise hatte sie, wie ich mit Wahrheit sagen kann, an Allem Theil, was ich im öffentlichen und Privatleben that. Vorauszusehen, daß alle diese Fäden auf einmal zerreißen, ist eine wahre innre Zerstörung. Aber ich will Sie nicht mit diesen trüben Gedanken unterhalten, sondern mich zu den allgemeinen Ideen wenden, die Sie in Ihrem Briefe so treflich anregen. Die Idee, welche in dem Bau einer fein organisirten Sprache liegt, und sich Jahrtausende hindurch bloß an den redenden Menschen durch alle Nüancen der Bildung und Unbildung hindurch erhält, ohne daß sie selbst sie erkennen und ahnden, beweist allerdings, daß in der Tiefe des Menschen etwas Höheres und Größeres waltet, als sich ihm selbst bewußt, sichtbar entwickelt. Bei der Sprache aber zeigt es sich auch, daß dies höhere durch das ganze Menschengeschlecht und durch alle Zeiten geht, und Verwandtschaften unter ihnen stiftet und an den Tag bringt, von welchen keine Ge-|23v|schichte Zeugniß giebt. Es ist wie ein Geist, der sich der Zungen bemächtigt und sie erfinden läßt, was aus dem Verstande, wie man ihn menschlich zu nehmen pflegt, nicht hergeleitet werden kann, sie sprechen und die Menschen verstehen nicht, wenn sie den tiefen und vollen Sinn erst allmählich entwirren, und der dies Alles in althistorischen Verknüpfungen thut, bald hier den Funken aufflammen, bald dort ihn halb glimmend schlummern läßt, bald ihn wirklich auslöscht um ihn anderswohin zu tragen. Diese verschiednen Richtungen und Wanderungen der Bildung haben gewiß ihre festen und unabänderlichen Gesetze, die in den Kräften der Dinge gegründet sind. Aber das unerklärbare Geheimniß liegt in der Natur desjenigen, wem das menschliche Wollen und Denken nur eine äußre Erscheinung ist, und in deren unsichtbarer Verbindung, in der dies in jedem Einzelnen mit allen übrigen steht. Denn daß die Sprache keines Volks sich weiter in ihrem Bau entfernt, als daß jedes andre sich noch hineinzudenken vermag, und daß dies an jedem Punkte des Erdbodens einzeln, von selbst und ohne Verabredung geschieht, ist der sicherste Beweis, daß es in den Menschen aller Zonen und Zeiten noch etwas tiefer Gemeinsames giebt, als wir zu ergründen vermögen.
Herrn von Bohlens Aufsatz habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Er enthält die vollständigste Vergleichung, die man bis jetzt zwischen diesen Sprachen besitzt. Ich bitte sehr, ihm für die Mittheilung meinen herzlichen Dank zu sagen. Ich hoffe doch, daß die Abhandlung recht bald gedruckt werden wird. Der frühe Aufsatz in Voigts Geschichte war mir bekannt. Zuerst hat Bopp auf die Verwandtschaft des Litthauischen mit dem Sanscrit aufmerksam gemacht. Meine Stelle in der Abhandlung über den Dualis hat daher mehr Glück, als Verdienst. Ich lege aber diese Abhandlung bei, und freue mich sehr, daß Ew. Excellenz an den darin entwickelten Ideen Antheil nehmen. Man hatte den armen Dualis immer als so ganz überflüssig und beinahe widersinnig angesehen, und er ist tiefer, als manche |24r| andre Sprachform in der Natur des Menschen und des Sprechens gegründet. Auch er aber lebt im Deutschen und Polnischen nur noch in Volksdialecten fort. So ist überall das ungebildete Volk die Sprache immer bewahrend. Die Bildung macht Alles flach und gleich.
In 6 bis 8 Wochen werden Ew. Excellenz die Verhandlungen des Kunstvereins vom 30. Dec. 1828. zukommen. Ich bitte Sie, dann mit Güte und Nachsicht meinen Vortrag zu lesen. Er enthält einige allgemeine Ideen über die Kunst und den Gang, den sie genommen.
Mit herzlichster und hochachtungsvollster Freundschaftder Ihrige.
Humboldt.
Berlin, den 5. Januar, 1829.
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Über diesen Brief
Quellen
In diesem Brief
- Bohlen, Peter von (1827): Ueber die Sprache des alten Preußen. In: Johannes Voigt (Hrsg.): Geschichte Preußens: von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft Deutschen Ordens, 1. Band, Königsberg: Bornträger, S. 711–723
- Bohlen, Peter von (1830): Ueber den Zusammenhang der indischen Sprache mit der lithauischen. In: Historische und litterarische Abhandlungen der königlichen deutschen Gesellschaft zu Königsberg, 1. Sammlung, Königsberg: Bornträger, S. 111–140
- Humboldt, Wilhelm von (1829): Verhandlung der am 30. Dezember 1828 gehaltenen Versammlung des Vereins der Kunstfreunde im preußischen Staate, S. 3–18. – Vgl. GS VI, S. 85–93
- Humboldt, Wilhelm von (1830): Ueber den Dualis. Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. April 1827. In: Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1827, Historisch-philologische Klasse, S. 161–188. – Vgl. GS VI, S. 4–30
- Voigt, Johannes (Hrsg.) (1827): Geschichte Preußens: von den ältesten Zeiten bis zum Untergange der Herrschaft Deutschen Ordens, 1. Band, Königsberg: Bornträger
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