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Wilhelm von Humboldt an Johann Nicolaus Bach, 24.06.1827


An Dr. Nicolaus Bach
Tegel, den 24. Junius, 1827.

Das Exemplar der Fragmente des Kritias, das Ew. Wohlgebohren mir so gütig in Ihrem letzten Briefe ankündigen, ist noch nicht in meinen Händen, aber ich kann es unmöglich abwarten, ehe ich mein nun schon zu langes Stillschweigen breche. Ich bin eben sehr beschäftigt, und muß, da ich doch sehr viele Störungen habe, mit meiner Zeit sehr haushälterisch umgehen. Daher rechne ich auf Ew. Wohlgeboren gütige Nachsicht.

Es ist mir ungemein leid, daß Ihre Ernennung zum Oberlehrer noch immer nicht erfolgt ist. Ich habe mich hier mit dem Praesidenten v. Hippel darüber besprochen, und ihn sehr günstig für Sie gesinnt gefunden. Er hat mir auch versichert, beim Ministerium für Euer Wohlgeboren gewirkt zu haben. Ich habe außerdem Gelegenheit genommen, Sie durch Ihre Ernennung Herrn Geh. Rath Schultze, der vorzüglich einflußreich ist, ganz besonders zu empfehlen. Ew. Wohlgeboren können versichert seyn, daß mein Antheil an Ihnen immer gleich lebendig ist, und ich mich immer freue, wenn ich hoffen darf, Ihnen nützlich seyn zu können.

Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen anliegend eine kleine von mir in Paris erschienene Schrift zu überschicken. Sie tritt eigentlich aus dem Gebiete der Grammatik wie wir das Wort nehmen, heraus, weckt eben darum vielleicht doch mehr Ihr Intresse. Sie giebt mir wirklich den Punkt außerhalb, den Archimedes verlangte, um selbst die Erde zu bewegen. Ernsthaft zu sprechen scheint es mir in der That wahr, daß man jetzt als[a] zu sehr in der Grammatik befangen ist, um sie mit Freiheit der Ansicht zu beurtheilen, u. dadurch daß man sich von der Form der klassischen Sprachen mehr losmacht, hat wirklich schon das Sprachstudium unter uns einen neuen Standpunkt genommen. Ich bin jetzt mit Sprachen beschäftigt, die grammatischer sind, als die Chinesische, u. ungrammatischer als die Amerikanischen und ich verspreche mir interessante Resultate in der Untersuchung. Es sind dies die Sprachen der Südsee Inseln, die bisher grammatisch noch so gut, als gänzlich unbekannt waren. Es ist aber ein mühsames und zeitraubendes Studium. Dennoch klage ich nicht darüber, u. gestehe gern, daß es mich in hohem Grade anzieht. Da ich mich so viel mit den klassischen Sprachen beschäftigt habe, u. noch beschäftige, so fühle ich eigentlich den Unterschied dieses zwiefachen Gebiets, den ich nicht in den Grad sondern in die Art des Interesses setzen möchte. die griechische u. römische Literatur wird nie durch etwas anderes erreicht werden, auch durch das Indische kommt man ihr kaum nahe. Sie ist einzig in Schönheit der Größe, Tiefe des Geistes. Aber man hat es mit Individuen u. mit Kultur zu thun, der Mensch überhaupt u. die Naturentwickelung treten eher zurück. Wenn man dem Bau von Sprachen nachgeht, die noch gar keinen Grad von Bildung erreicht haben, öffnet sich die Geschichte des Menschengeschlechts selbst, u. in den alltäglichen Ausdrücken, u. mit materiellem Bedürfen u. Ergötzen beschäftigten Menschen erkennt man das Gewebe eines über alles Bewußtseyn des Individuums hinaus in der Masse liegenden Geistes.

Ich werde meine Frau in das Bad Gastein im Salzburgischen begleiten. Wir reisen in wenigen Tagen ab, u. werden erst in der Mitte September zurückkehren. Ich muß also das Vergnügen von Ew. Wohlgeboren Briefe zu erhalten, erst dann erbitten.

Leben Sie indeß recht wohl, und seyn Sie meiner hochachtungsvollsten und aufrichtigsten Theilnahme versichert.
Humboldt.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Bei Theodor Bach: „oft“; vielleicht soll es aber „all“ heißen?
    Zitierhinweis

    Wilhelm von Humboldt an Johann Nicolaus Bach, 24.06.1827. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/1112

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