1. Startseite
  2. Briefe
  3. Nr. 176

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 15.06.1830

Ew. Excellenz

beehre ich mich anzuzeigen, daß die Recension von Kurz von der Redaction unserer Jahrbücher angenommen worden, und hoffentlich bald gedruckt werden wird. Die Stelle, welche auf Neumann sich bezieht, erregte jedoch einigen Anstoß, umsomehr, da Kurz ein Pamphlet gegen Neumann vorbereitet, woraus bereits in der Spikerischen Zeitung vor einigen Wochen einige der gehässigsten Stellen mitgetheilt worden.[a] Unter diesen Umständen war es wohl zweckmäßig, daß wir nicht ebenfalls zur Verbreitung solcher Ausfälle Veranlassung geben. Ich habe es daher im Auftrage der Gesellschaft übernommen, die Stelle etwas zu beschneiden, doch so, daß alles was zum Lobe Remusat’s darin gesagt ist, stehen bleibt, so wie auch der Umstand, daß auf Veranlassung Remusat’s die besprochene handschriftliche Grammatik gedruckt erscheinen wird. Ich werde an Kurz schreiben, daß die Gesellschaft seine Recension mit Beifall aufgenommen hat, daß man aber von dem fraglichen Gerücht darum in unsern Jahrbüchern nicht reden könne, weil hier und überhaupt in Deutschland ein solches Gerücht nicht bestehe, weil Niemand Remusat’s große und eigenthümliche Verdienste um die chinesische Grammatik in Zweifel zieht. Ich glaube auch, daß es Remusat gar nicht angenehm sein kann, einen Vorwurf gegen ein Plagiat auch selbst in einer Vertheidigung verbreitet zu sehen. Ich schmeichle mir, daß Ew. Excellenz mit diesem Verfahren zufrieden seyn werden; und ich habe auch nur in der Voraussetzung, hierin ganz Ihrem Wunsche zu entsprechen mich zu dem Gesagten entschließen können.

Ihre vortreffliche Abhandlung habe ich nun mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gelesen und die wichtigsten Stellen mehrmals und mir angezeichnet, um sie stets zur Hand zu haben. Der Gegenstand ist von äußerster Wichtigkeit, und Ew. Excellenz haben eine der tiefsten und verborgensten Uranschauungen der Sprache ans Licht gezogen und bis zur Evidenz bewiesen. Die Belehrungen, die Sie aus einem, von Ihnen zuerst gründlich durchforschten Sprachgebiete so scharfsinnig herauszufinden und von den Entstellungen der Grammatiker zu befreien gewußt haben, dürften auch, wie Sie mit Recht andeuten, auf andere uns näher liegende Sprachen ihr Licht verbreiten. Es wird mir daraus wahrscheinlich, oder es scheint der Erwähnung würdig, daß auch das im Singular der 1sten Person vorkommende  Sankskrit {ma} in seinem Ursprung identisch sein könne mit dem das nächste räumliche Verhältniß bezeichnenden Demonstrativstamm, den ich als das letzte Glied der Zusammensetzung  Sankskrit {i} -  Sankskrit {ma} ansehe.

Auch was Ew. Excellenz von Neumann mittheilen ist sehr interessant und zeigt von feiner Beobachtung. Remusat wird aber, soweit er es verhüten kann, nicht gerne eine Ansicht über das Chinesische aufkommen lassen, die er nicht selbst in seiner Grammatik gelehrt hat.

Gegen die Ansicht, daß Graff nunmehr als hier wohnhaft angesehen werden könne, da er auf lange Zeit, wenigstens 6 Jahre, seinen Aufenthalt hier fixirt hat, hat sich in der letzten Sitzung, wie ich wohl vermuthete, Widerspruch erhoben. Man fand passender ihn zugleich mit J. Grimm zum ordentlichen auswärtigen Mitglied vorzuschlagen, und wir haben daher unseren Antrag dahin umgeändert. Er hat dann, so lange er hier ist, alle Rechte eines ordentlichen gegenwärtigen Mitglieds. Die beiden Wahlen werden in der Klassen-Sitzung vom 5ten Juli statt finden. Wenn Ew. Excellenz mit dem umgeänderten Antrage ebenfalls einverstanden, so wäre es mir sehr erfreulich und für Graff sehr wichtig und vielleicht entscheidend, wenn Sie mich mit einem Worte Ihrer Zustimmung beehren wollten. Die neuen Statuten fodern eine große Stimmenmehrheit, gestatten aber die Aufnahme einer größeren Anzahl ordentlicher auswärtiger Mitglieder: So sind auch Schelling, Cousin und Heeren als solche vorgeschlagen, und Letronne in der letzten Klassensitzung dazu gewählt worden.

Mit meinen herzlichsten Wünschen zum besten Erfolg Ihrer Badereise verharre ich in tiefster Ehrerbietung
Ew. Excellenz
ganz gehorsamster
Bopp.
Berlin, den 15. Juli 1830.[b]

Anmerkungen

    1. a |Editor| Heinrich Kurz: Berichtigung. In: Berlinische Nachrichten / Spenersche [= Spikerische] Zeitung, 20.04.1830.
    2. b |Editor| Lefmann gibt das Datum des Briefes mit dem 15. Juli 1830 an; hierbei handelt es sich wohl um einen Druckfehler: Denn Bopp spricht von der Sitzung am 5. Juli in der Zukunft. Daher korrigiert Mattson wohl zu recht auf den 15. Juni 1830.
    Zitierhinweis

    Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 15.06.1830. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/176

    Download

    Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen

    Versionsgeschichte

    Frühere Version des Dokuments in der archivierten Webansicht ansehen