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Bergholz an Wilhelm von Humboldt, 20.06.1831

 Hochwohlgeborener Herr,
Höchstverehrter Herr Staatsminister,
Gnädigster Herr,
Ew. Hochfreiherrliche Excellenz

habe ich die Ehre anliegend die Javanische Geschichte von Raffles, den X Tom. der Asiatischen Untersuchungen und Ewald über Sanscritmetra zu übersenden. Ich sage Ew. Excellenz für die gnädigste Mittheilung derselben meinen unterthänigsten und innigsten Dank. Unter den mir von Ew. Excellenz bemerkten Metren bei Raffles habe ich nur drei in dem Memoire von Colebrooke gefunden; nämlich das Metrum Suvandaná, Sragdhará und Vasantatilaka. Die übrigen habe ich nicht angetroffen, weder dem Namen noch der Bezeichnung der Bezeichnung |sic| nach.

Schon Herr von Schlegel und Ewald klagen über die Undeutlichkeit der Colebrook’schen Abhandlung; ich glaube, daß diese Schrift ganz entbehrlich sey, bis auf einiges Material, welches vom Verfasser dargeboten wird. Die Kenntniß des todten Systems der Indischen Grammatiker scheint mir für die Wissenschaft höchst nutzlos. Ja es dünkte mich eine betrübende Erscheinung, als neulich Gelehrte von Ruf und Verdienst, eigenes Denken abweisend, zu litterärischen Handlangern sich stempelten, durch Hervorbringung ähnlicher Werke wie das von Colebrooke. Was so eigentlich das Wesen einer Versart sey, darüber sucht man vergeblich etwas zu erfahren; alle Veränderungen eines Metrum’s werden angeführt, ohne ihren Grund und Zweck, als in der Natur jedes Maaßes begründet nachzuweisen. Welches Glied aber eines Verses, gleichsam das Herz desselben, auch nicht eine leise Berührung ertrage, ohne daß des Rhythmus und der ganze Organism |sic| desselben gestört werde – daß dieß nachgewiesen werde, glaube ich, wäre eine billige Foderung |sic|, die wir an die Darstellung der Metren einer Sprache zu machen berechtigt sind. Wenigstens sollte ich denken, daß wir an einen Deutschen dieselbe in ihrem ganzen Umfange geltend machen sollten, wenn man auch dem grundgelehrten und überaus verdienstvollen Engländer seine Unwissenschaftlichkeit verzeiht. Nur die abstruse Manier seiner Darstellung, und die Undeutlichkeit derselben, welche alle seine Schriften bezeichnet, kann man ihm nicht hingehen lassen.

  Colebrooke beschreibt das Metrum Vasanta tilaka ( Asiatic Res. X, 437 Raffles p 424) als bestehend aus folgenden Füßen: – –, ⏑ –, ⏑ ⏑ ⏑, – ⏑ ⏑, – ⏑, – – ; dieß ist die erste Hälfte eines Halb-Sloca. Das Beispiel, welches er angiebt, läßt sich schwer erkennen. Mir war diese Versart, welche auch Ewald p 22 anführt in dem Devi-mahátmyam vorgekommen; nämlich im Vierten Gesange, auf der 24t Seite des Calcuttaer Textes, nicht wie bey Ewald steht p 14. Der erste Vers lautet so:

 Sankskrit {devyā}  Sankskrit {yayā}  Sankskrit {tatam}  Sankskrit {idaṃ}  Sankskrit {jagad}  Sankskrit {ātmaśattyā}

 Sankskrit {niḥśeṣadevagaṇaśakttisamūhabhūrtyā} &c –

Ich möchte dieses lyrische Versmaaß lagooedisch |sic| so auffaßen:

 Sankskrit

Solche Reihen mit catalectischer und acatalectischer Basis sind nicht selten bei Pindar. Ewald theilt in seiner Schrift anders ab. Mit dieser Reihe nun stimmt der erste Halbvers bey Raffles p 424 genau überein.

Tang’eh ya din kawuning’an rarafing maninjo.

 Sankskrit

Die folgenden aber laßen kaum das ursprüngliche Maaß erkennen. Ich darf ohne Kenntniß der Sprache keine Vermuthungen hierüber wagen, besonders da mir die Quantitäts-Bezeichnung von Raffles nicht recht genau erscheint. Was die andere Gestalt dieses Silbenmaaßes betrifft, so habe ich keine dem ähnliche im Sanscrit gefunden. Der gänzliche Mangel der Quantitätsbezeichnung war mir sehr fühlbar.

Von dem Metrum Suvandaná sagt Colebrooke ( l. c p 436. – Raffles p 421. 439.) daß der Vers aus 20 Sylben bestehe, welche in drei Abtheilungen gebracht würden. Also so:

– –, – –, ⏑ – – | ⏑ ⏑ ⏑ ⏑, ⏑ ⏑ – | – –, ⏑ ⏑, ⏑ – ||

Hiervon unterscheide sich das Metrum Sragdhará  l. c p 437. nur im dritten Fuße, als welcher zusammengesetzt sey aus einem Trocheus, Spondeus und Bacchius, so daß die Silbenzahl der Füße gleich werde. Weitere Belehrung ertheilt der Verfasser nicht, er versäumt sogar eine Probe mitzutheilen, so daß es naiv erscheinen möchte, wenn er namentlich vom Sragdhará sagt, es sey a very common metre. Mir sind beide Arten noch nicht vorgekommen, so daß ich mir kein Urtheil über dieselben erlauben möchte. Mit beiden Silbenmaaßen scheinen in der Kawisprache wesentliche Veränderungen vorgegangen zu seyn.

Indem ich Ew. Excellenz nochmal meinen ergebensten Dank sage, erlaube ich mir zu bemerken, daß ein sehr kränklicher Zustand mich verhindert hat, Ew. Excellenz schon vor längerer Zeit diese Zeilen zu überreichen.

Mit der tiefsten Verehrung zeichne ich mich
Ew. Excellenz
unterthänigster Diener
Bergholz[a]
Berlin 20 Juni 1831.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Leider ist es nicht gelungen, den Absender des Briefes identifizieren. [FZ]

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    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 53, Bl. 14–15
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 214
    Zitierhinweis

    Bergholz an Wilhelm von Humboldt, 20.06.1831. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/234

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