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  3. Nr. 246

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 01.08.1829

 Ew Excellenz

Beehre ich mich hiermit den 18ten Bogen meiner Grammatik nebst der zweiten Hälfte der Conjug. Tabellen und dem so eben gedruckten 20ten Bogen mit der Tabelle des vielförmigen Praet. zu überschicken

In S. 325 gebe ich eine allgemeine Charakterisirung der Unregelmäßigkeiten, die ebenfalls auf meine Eintheilung in formae auctae und purae sich gründet. Die Pronominal-Tabelle ist noch nicht gedruckt|.| Ich bin Ew Excellenz sehr verbunden für Ihre belehrenden Bemerkungen über die besprochene Regel. Der Eingang zu S. 308 mußte, wie mir schien darum wegfallen, weil ich in S. 34a angegeben habe wo Guna eintreten kann und wo nicht. Auf diese Regel verweise ich in der Folge sehr oft. Ich geb zu daß ich in S. 308 um Anstoß zu vermeiden noch hätte hinzufügen können „ex mea sententia“. Allein ich muß auch gestehen daß ich von nichts eine festere Ueberzeugung habe als von dem Einflusse der Personal-Endungen auf die Verstärkung oder Rein-Erhaltung der vorhergehenden Sylbe, und ich hielt mich daher für berechtigt, die Sache als keinem Zweifel unterworfen darzustellen. Gerne gebe ich aber zu daß ich mich hierin wie in vielen anderen Sätzen meiner Grammatik geirrt haben mag. Da die englischen Grammatiker, und ich glaube auch die Indischen, die Formen immer blos äußerlich hinstellen, ohne jemals Gründe anzugeben oder nach natürlichen Gesetzen sich umzusehen: so kann ich mich in der Vorrede leicht dahin aussprechen, daß, wo ich Gründe oder Gesetze für Spracherscheinungen aufstelle, dies immer so zu verstehen sey daß sich meiner Forschung über den Entwickelungsgang der Sprach |sic|  zuweilen Gesetze aufgedrungen haben die ich den Kennern zur Prüfung vorlege und nicht als bereits anerkannt und überkommen angesehen wissen wolle. Ich stelle z.B. geradezu das  Sankskrit {y} in  Sankskrit {yūyam}  Sankskrit {bhaveyam},  Sankskrit {diṣīya} als euphonische Einschiebung dar, obwohl dies nicht die herkömmliche Meinung ist und die indischen Grammatiker schwerlich über die Vermittlung dieser Formen etwas sagen. Vom historischen Wege glaube ich mich in meiner Grammatik nicht zu entfernen, weil ich die Formen so gebe wie sie überliefert sind oder in Schriftstellern vorkommen, und sie nicht nach meiner Theorie bilde, sondern im Gegentheil meine Theorie auf die überlieferten Formen stütze.

Unter historischer Sprachforschung ist doch wohl diejenige zu verstehen, die eine Sprache durch alle ihre Zustände zu verfolgen strebt und auch die Seiten-Linien d.h. die alten stammverwandten Sprachen berücksichtigt, die oft allein Rückschlüsse über das Alter einer Form geben und Zeugniß ablegen ob eine Form wohlerhalten oder verstümmelt auf uns gekommen, wie das letztere in Ansehung der ersten Singularperson Atmanepadi durch das Griechische ausgesagt wird? Ob aber solche Gegenstände in ein Lehrbuch, in eine Grammatik gehörn, ist eine andere Frage. Da das Sanskrit-Studium seine Hauptwichtigkeit in der Sprache selbst hat und von den meisten in dieser Beziehung getrieben wird, so scheint es mir auch in einer nach wissenschaftlicher Einrichtung strebenden Sanskritgrammatik ein Bedürfniß, Gegenstände der eigentlichen Sprachwissenschaft aufzunehmen und zu besprechen, so weit es ohne weitläufige Erörterungen geschehen kann wovon man durch Ueberhäufung des Stoffes von selbst zurückgehalten wird. Es sollte mich sehr freuen wenn Ew Excellenz die hier ausgesprochene Tendenz, die ich einmal nicht aufgeben kann, nicht ganz mißbilligten und wenn Sie die Umarbeitung meiner Grammatik auch vom Gesichtspunkte der Lehrmethode und der Darlegung des Anerkannten aus, nicht ganz mißlungen fänden.

Da im Gebiete der Sprachforschung Niemand mit dem Grade der Schärfe und tiefem Eindringen in die Sache untersucht und prüft wie Ew Excellenz, so ist mir von Ihrer Seite ein geringer Beifall immer schon unendlich schätzbar.

Ew Excellenz interessiren sich für den Gebrauch des so seltenen Conditionalis. Hier ein doppeltes Beispiel aus dem Atharva-Veda aus dem ich diese kurze Stelle nur seiner grammatischen Wichtigkeit wegen abgeschrieben habe. Das erstemal hat es|?| das Augment:  Sankskrit {nā}  Sankskrit {’ham}  Sankskrit {imam} ( Sankskrit {puruṣaṃ})  Sankskrit {veda}  Sankskrit {yady}  Sankskrit {aham}  Sankskrit {imaṃ}  Sankskrit {vediṣyaṃ}  Sankskrit {kathaṃ}  Sankskrit {te}  Sankskrit {nā}  Sankskrit {’vakṣyam} „Ich kenne diesen (Geist) nicht, wenn ich diesen kännte, warum sollte ich dir nicht sagen?“

In tiefster Ehrerbietung
Ew Excellenz
ganz gehorsamster
Bopp
1. August 1829.

Über diesen Brief

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Quellen

Handschrift
  • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 56, Bl. 55–58
Druck
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Nachweis
  • Mueller-Vollmer 1993, S. 232, 235
Zitierhinweis

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 01.08.1829. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/246

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