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  3. Nr. 503

Christian Friedrich Wurm an Wilhelm von Humboldt, 09.07.1833

Hamburg 9 Juli ’33.

Meine Abwesenheit von der Stadt habe ich sehr bedauert, als ich vernahm, daß Ew. Excellenz mir die Ehre Ihres Besuches zugedacht hatten. Sonnabend frühe hoffte ich zwar Ew. Excellenz noch im Gasthof zu treffen, kam aber zu spät; erst gestern Abend ward mir von dorther, wie ich vermuthe, Ihre verehrte Zuschrift vom 5.te d.s M.ts zugeschickt.

Ich säume nicht, Ew. Excellenz mitzutheilen, was ich über die Quipos gesammelt und in Erfahrung gebracht habe.

Dr. Julius[a] irrt, wenn er von mir gehört zu haben glaubt, daß mir eine americanische Quelle zugänglich sei. Als ich der Quipos flüchtig gegen ihn erwähnte, war meine Aufmerksamkeit nur eben durch den Aufsatz in Nr. XXI des Westminster Review S. 228–253 auf den Gegenstand gerichtet worden. Das Heft liegt hier bei. Hier war eine Entdeckung angekündigt, die sich, wenn sie ächt war, zu einer historischen, im schlimmsten Fall aber, dem einer Forgery, zu einer bedeutenden psychologischen Curiosität zu gestalten versprach. Der Umstand, daß die Sache zwei volle Jahre von der periodischen Presse ganz unbeachtet geblieben, konnte mich darüber trösten, daß sie mir während meines Aufenthalts in London, (bis zum December ’27) entgangen war.

Ich ließ den Prospectus der Quipola kommen, und erhielt die gleichfalls beiliegende, äusserst diminutive Schrift. Zugleich aber hatte ich an den Schiffszimmermann, Alex.r Strong, geschrieben, den das Westm.r Review als den Besitzer der Quipos und der dazu gehörigen Clavis bezeichnete. Ich hatte ihm einige Fragen über die äussere Beschaffenheit der Quipos vorgelegt, und den Wunsch ausgedrückt, eine kleine Probe der Clavis, wenn es auch nur wenige zusammenhängende Zeilen wären, in Abschrift, und wo möglich eine Zeichnung der dazugehörigen Knoten zu erhalten: seine Auslagen würde ihm der Agent der Börsen-Halle in London jeden Augenblick ersetzen: mein Zweck sei, das gelehrte Publicum in Deutschland mit seiner Entdeckung bekannt zu machen.

Strong’s Antwort vom 10 Aug.t ’29 (A) bestätigte ganz den nahe liegenden Schluß auf den Grad seiner persönlichen Bildung, zu welchem sein Prospectus und seine ganze Geschichte zu berechtigen schien. Er habe die Quipos an Lord Kingsbury um ₤60 verkauft, habe aber dennoch so viel davon zurückbehalten, daß er hoffe, meinen Wünschen zu entsprechen, sobald die Sorge für sein tägliches Brod ihm erlaube, sich mit der Abschrift zu beschäftigen. War das fair play gegen Lord Kingsbury? Doch ging aus dem Brief überzeugend hervor, daß Gewinnsucht zu des Mannes Hauptmotiven nicht gehörte. Indessen erwartete ich kaum, von Strong wieder zu hören.

Die Peerage belehrte mich, daß es keinen Lord Kingsbury gebe: es mußte wohl Kingsborough heissen. An diesen schrieb ich also, erkundigte mich, ob vielleicht zur Untersuchung der in seinem Besitz übergegangenen seltsamen Documente bereits geschritten sei, und ob er mir bei einem intendirten Besuch in London etwa gestatten würde, zum Zweck einer öffentlichen Notiz mich durch den Augenschein über dieselben zu belehren.

In der mittlern Weile bemühte ich mich vergebens, unter der auf unsrer Bibliothek vorhandenen, nicht eben verächtlichen Sammlung älterer spanischer Schriftsteller etwas Neues über die Quipos aufzufinden.

Lord Kingsborough’s Antwort (B) vom 13 Oct.r ’29 füge ich bei, weil sie mir den Mann zu charakterisiren scheint, der eine Seltenheit an sich gebracht hat, ohne sich persönlich dafür zu interessiren, und ohne recht zu wissen, oder sich darum zu kümmern, was nun weiter damit werden soll.

Wenige Tage nach dem Empfang dieser Antwort besuchte mich Dr. Bowring, der Redacteur des Westminster Review, und Verf. des Artikels über die Quipola. Er brachte mir einen zweiten Brief von Strong (C), vom 20 Oct.r ’29, der dann zu meiner Verwunderung wirklich ein Stück der Clavis (D) in Abschrift enthielt – offenbar dasjenige, das im Prospectus unter der Rubrik Bunch 1. paraphrasirt ist. So schwer es auch fält |sic|, aus diesem Actenstück irgend Etwas zu machen, so fällt doch beim ersten Anblick ein Mißverständniß auf, das noch bedenklicher erscheint, als die im Westm.r Review S. 252 und 253 angeführten. Der Mond ist nach dem Prospectus (Bunch 1. Zeile 5 v. o.) „Lord and Ruler of the Sea“. Vergleicht man das unglückliche pluere (D S. 1. Zeile 5 v. o.) so kann man sich schwer überreden, daß der Calambour[b] rain für reign einem Andren begegnen konnte, als eben einem Engländer, dessen Orthographie so bestellt ist, wie die von Alexander Strong.

Diese Abschrift war von einer sehr ernstlichen Vermahnung über deren Gebrauch begleitet. „I do this upon strict faith (oder strick fath, wie Strong schreibt) that you will not publish any part of it, at least till Lord Kingsbury has published his &c.“ Das war denn βους ἐπι γλωσσῃ μεγας! Daß der edle Lord irgend Etwas darüber zum Druck befördert, oder daß seitdem irgend eine öffentliche Erwähnung der Sache geschehen, ist mir wenigstens nicht bekannt geworden. Kann es Ew. E. interessiren, so wird es mir Vergnügen machen, in London darüber Nachfrage anstellen zu lassen.

Die schwer zu erkennenden Züge auf der Adresse des Briefes C hat Bowring mit dem Bleistift gezogen, um das Aeussere des Knotenbündels einigermaassen zu versinnlichen.

Eine mündliche Mittheilung von Bowring schreckte mich von der weiteren Untersuchung zurück, weil es schien, daß ohne Autopsie, ohne Nachforschungen über die Substanz der Knotenbündel sowohl als des Kastens, worin sie enthalten, (Westm.r Rev. S. 247) und worüber ein certificat d’origine so wünschenwerth als schwer auszumitteln sein dürfte, überhaupt ohne ein, nicht sowohl kritisches als inquisitorisches Verfahren kein Resultat zu hoffen sei.

Dr. Bowring erzählte, er habe Strong mehrmals befragt, ob er denn gar nichts Schriftliches von Robert Baker besitze, von welchem er, nach seiner Aussage (Westm.r Rev. S. 239) die Quipos für ₤10 gekauft. Endlich sei Strong gekommen: ja, er habe nun einen Brief von Baker wieder aufgefunden. Ich weiß nicht, was Bowring’s Verdacht schon damals vage gemacht: indessen, er hielt das Blatt gegen das Licht, und die Jahrszahl in der Wassermarke des Papiers war später, als das Datum des Briefes. Strong war sehr unglücklich über die Entdeckung: man habe ihm auch gar zu wenig getraut, gar stark zugesetzt, so sei er auf den fatalen Einfall gekommen, den er auch bereue, die Zweifel auf diese Weise zum Schweigen zu bringen. Bowring lehnte das Geschenk einer von Strong verfertigten Tabaksdose, mit ähnlicher sehr künstlicher Vorrichtung zum Oeffnen, wie im Westm.r Rev. S. 247 Zeile 10 v. unten beschriebene, ab, weil er, zumal nach einer solchen Scene, keine Lust hatte, sich von Strong Etwas schenken zu lassen. Doch wünschte Bowring, daß weder des einen noch des andern Umstandes öffentlich erwähnt werde.

Auf eine Anfrage bei einem verständigen jungen Mann in einem Handelshaus zu Lima, auf dessen Bereitwilligkeit ich zählen konnte, ward mir binnen achtzehn Monaten die Antwort, er habe Niemand getroffen, der sich erinnerte, von Quipos Etwas gesehen oder gehört zu haben. Ebensowenig wußte ein gebildeter junger Spanier, der von hier nach Kopenhagen ging, der ganz Südamerica bereiset haben wollte, und ex professo von Curiositäten Notiz zu nehmen gewohnt war, das Mindeste darüber zu erzählen.

– Habe ich nun Unrecht gethan, mich von weiterer Nachforschung zurückhalten zu lassen, während ich mich doch der Ueberzeugung nicht entschlagen konnte, hier sei mehr als ein gewöhnlicher, und mehr überhaupt, als blosser Betrug: so bin ich Ew. Excellenz um so dankbarer für die dargebotene Gelegenheit, mein Unrecht wieder gut zu machen, indem ich die, freilich sehr dürftigen Materialien, die mir Neugierde und Zufall in die Hand gespielt, ganz und gar zu Ihrer Disposition stelle. Es ist einzig das Heft des Westminster Review, das ich mir, wenn Ew. E. davon Gebrauch gemacht haben werden, ganz gleichgültig zu welcher Zeit, zurück erbitte, da es zu der Sammlung der Börsen-Halle gehört.

Ich habe Nichts beizufügen, als den innigsten Wunsch, daß Norderney seine ganze Kraft erproben möge, und den Ausdruck der aufrichtigsten Ehrerbietung und Ergebenheit.
C. F. Wurm.


|Anhang|

| Handschrift Schulz| Das diesem Briefe beiliegende Journal-Heft was ich zurückgegeben ist the  Westminster Review. Nummer 21 Julius 1829.

Die andren Beilagen des Briefes die ich behalten sind

1. ein gedrukter |sic| Prospectus

2. ein Brief von Strong gez. A.

3, ein Brief von Lord Kingsborough gez. B.

4, ein zweiter Brief von Strong gez. C.

5, eine Abschrift eines Theils der Clavis gez. D.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Gemeint ist wohl Nikolaus Heinrich Julius (1783–1862), Arzt und Literaturforscher in Hamburg und Berlin; s. Allgemeine deutsche Biographie 14, Leipzig: Duncker & Humblot 1881, S. 686–689. [FZ]
    2. b |Editor| Gemeint ist Franz. "calembour" (= Kalauer, Wortspiel). [FZ]

    Über diesen Brief

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    Quellen

    Handschrift
    • Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. quart. 38, Nr. 3 und Nr. 1
    Druck
    -
    Nachweis
    • Mueller-Vollmer 1993, S. 290f.
    Zitierhinweis

    Christian Friedrich Wurm an Wilhelm von Humboldt, 09.07.1833. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/503

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