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  3. Nr. 81

Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 05.03.1820

Ew. Excellenz haben mir durch den Brief, womit Sie so gnädig gewesen mich zu beehren, eine sehr große Freude gemacht. Die lehrreichen Bemerkungen, die derselbe enthält und die mir zu jeder Zeit sehr willkommen gewesen wären, haben mich um so mehr erfreut gerade jetzt, wo ich mit einer Englischen Umarbeitung meiner Sprachvergleichung beschäftigt bin; nämlich für eine Litteratur-Zeitung, die unter dem Tittel Annals of Oriental Literature im künftigen März zum erstenmal erscheinen soll. Ich erbitte mir im voraus die gnädige Erlaubniß Ew. Excellenz meine Arbeit zu Ihrer Prüfung zuschicken zu dürfen.

Ich bin jetzo ganz der Meinung Ew. Excellenz, daß es in allen Sprachen nur wenig eigentliche Flexion gebe und daß das, was man mit Recht so nennen dürfte, in der Sprachbildung nur eine geringe Rolle spiele. Man ist aber gewöhnlich mit dem Namen Flexion zu freygebig, und Ew. Excellenz haben gewiß Recht, daß solche Flexionen ursprünglich Worte für sich gewesen sind, deren Bedeutung mit der Zeit verloren gegangen. Ich erkenne jetzo in der Sanskrit-Sprache nur 2 Flexionen, nämlich Veränderung des Stammvokals und Reduplikation; alles übrige halte ich für Zusammensetzung. Jene 2 Flexionen existiren aber in beynahe allen Sprachen, selbst in Amerikanischen Sprachen findet man die Reduplikation, und ich erinnere mich, daß mich H. Bar. Alex. Humboldt darauf aufmerksam gemacht habe, daß in einer derselben der Pluralis durch die Reduplikation angedeutet werde. Fr. Schlegels Sprach-Eintheilung in Organische und Mechanische[a], fällt also ganz zu Boden und ich werde mich stets bestreben das Entgegengesetzte zu beweisen. Dieses thue ich auch in meiner jetzigen Arbeit, wo ich von den Wurzeln ausgehe, zeigend, daß, indem diese einsylbig sind und eine Sylbe nur weniger Umbiegungen fähig ist, man schon a priori schließen könne, die Indische Grammatik müsse sich vorzüglich durch Zusammensetzung bilden. Zusammensetzung, sowohl in den frühesten Elementen als in späterer Wortbildung, ist wirklich ganz der Geist der Sanskrit-Sprache.

Die Sanskrit-Sprache entschöpft nicht einmal die organischen Umbiegungen deren sie fähig ist, und sie verschwendet zum Theil ihre Fähigkeiten hierzu unnützer Weise, d. h. ohne dadurch grammatische Verhältnisse anzudeuten.

Ew. Excellenz werden gewiß bemerkt haben, daß in der Conjugat. ein radikales i gewöhnlich in ê und so u in ô verwandelt werde, ohne irgend eine Modifikation der Bedeutung, z. B. von der Wurzel vid kommt vêdâṇi, ich soll wissen, vêdâma, wir sollen wissen, viddhi (st. vidhi), du sollst wissen. Was soll hier durch die Veränderung des i in ê ausgedrückt werden? – An einer einsylbigen Wurzel ist außer der gewöhnlichen Reduplikation und Veränderung des Stammvokals noch eine andere Flexion möglich, die aber vielleicht in keiner Sprache vorkommt, nämlich die Reduplikation des letzten Consonanten mit dem Stammvokal, wenn man z. B. von vid nicht nur vivid bildete, sondern auch vidid, und so von tup, tupup, zur Ausdrückung irgend eines grammatischen Verhältnisses.

Ich habe gar keine Zeit versäumt die Aufträge zu erfüllen, womit mich Ew. Excellenz beehrt haben. Wilkins läßt sich Ew. Excellenz ehrerbietigst empfehlen, bey Uebersendung seiner Radicals, die ich bereits Hr. v. Bülow übergeben habe. Auch habe ich Hr. Wilkins bemerkt, daß Hamiltons Analyse des Anfangs des Hitopadêsa Ew. Excellenz vielleicht nützlich seyn könnte, und er übergab mir ebenfalls ein Exemplar, bloß 9 Bogen enthaltend, welches ich zu Hr. von Bülow gebracht. Diese Analyse ist nicht im Verkauf, sondern bloß für das Orientalische Coll. in Hertford verlegt. Indem Ew. Excellenz von Hamiltons Analyse ohne die gedruckte Ausgabe des Hitopadêsa keinen Gebrauch machen könnten, so habe ich Hr. v. Bülow gebeten diesselbe beizufügen, überzeugt, daß ich hierdurch den Wünschen Ew. Excellenz nicht entgegen handeln würde. Außer den erwähnten Schriften kenne ich keine Elementar-Werke, die das Sanskrit-Studium erleichtern könnten. Die Ausgabe des Râmâyana mit Englischer Uebersetzung (bis jetzt 3 Bände) ist Ew. Excellenz bekannt.

Mein hiesiger Aufenthalt ist auf ein Jahr, das heißt bis künftigen Oktober, verlängert worden.

Ich bitte Ew. Excellenz mir Ihre Gunst zu erhalten und der tiefschuldigsten Verehrung versichert zu seyn, womit ich verharre,
Hochgebietender Herr Minister,
Ew. Exzellenz
Unterthänigst gehorsamster
F. Bopp.
London den 5ten März 1820
37 Windsor Terrace
City Road.

Anmerkungen

    1. a |Editor| Siehe Friedrich Schlegel (1808): Über die Sprache und Weisheit der Indier, Heidelberg: Mohr und Zimmer.
    Zitierhinweis

    Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 05.03.1820. In: Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der Sprachwissenschaftlichen Korrespondenz. Berlin. Version vom 15.03.2023. URL: https://wvh-briefe.bbaw.de/81

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