Norderney den 1.t August
1832.
Ich begreife selbst nicht, wie es möglich gewesen ist, daß ich Ihnen, theurer
Freund, in so langer Zeit gar nicht geschrieben habe. Wenn ich gerade auch keine
dringende Veranlassung hatte Ihre Güte in Anspruch zu nehmen, so habe ich doch
so oft und soviel Ihrer und Ihrer Beschäftigungen gedacht, daß ich mir öfter
vorgenommen hatte, Ihnen zu schreiben, aber dann immer wieder ins Aufschieben
gerieth. Ich denke mir, daß Sie, freier von wirklichen Berufs-Arbeiten, in Ihren
Vedas
-Studien fortrücken
und daß wir bald hoffen dürfen, wieder etwas davon zu sehen. Es wäre dies
außerordentlich wünschenswürdig.
Bopp
ist, was mich sehr freut, jetzt mit einer vergleichenden Grammatik der Sprachen des Sanskrit Stammes
beschäftigt. Ich bin darin vorzüglich auf das Zend und
das Gothische begierig. Es ist eigentlich dies das erste
Unternehmen dieser Art und Bopp geht darin auf
dem stillen Wege fort, durch den man ihn am Ende doch allgemein als den
anerkennen wird, der dem Sprachstudium eine wahrhaft angemessene Richtung
gegeben hat. Von
Schlegel
werden Sie mehr wissen, liebster Freund, als ich,
da er bei Ihnen in
London
war. Man hat viel Sonderbares von ihm erzählt, ich
weiß aber durch meinen Bruder, daß er in
Paris
sehr
ernsthaft in den Handschriften gearbeitet hat und so darf man wohl mit
Sicherheit hoffen
kann,
daß man jetzt sehr bald
die Früchte davon sehen wird.
Lassens Arbeit über den Hitopadesa
ist wirklich vortrefflich und
verdient alle mögliche Anerkennung. Der Bruch zwischen
Bonn
und
Bopp
ist sehr zu bedauern, er ist aber
unheilbar und seitdem
Schlegel
in dem Aufsatze im
Berliner
Kalender
Siehe dort auf S.
159f., wohin ein solcher Ausfall gar nicht gehörte, das ganze
Sanskrit-Treiben
Bopps,
ihneD.h.: ohne. ihn zu nennen,
auf die unwürdigste Art behandelt hat, kann wohl kein billig Denkender auf
Schlegels Seite
sein. Dieser hat sich dadurch und noch mehr durch die poetischen Angriffe,
welchen es so sehr an Witz und Poesie mangelt, in der Meinung bedeutenden
Schaden gethan. Die Verluste, welche
Paris
durch
Champollion
,
Remusat
und
St. Martins Tod erlitten hat, werden in
langer Zeit nicht ersetzt werden können. Besonders ist zu bedauern, daß
Remusat
gerade von
der größeren Thätigkeit in wissenschaftlichen Arbeiten, die er in diesen letzten
Jahren entwickelte, abgerufen worden ist. Ich bin beschämt zu sagen, daß ich
noch immer in der Abhandlung über die Kavi Sprache stecke, es ist mir aber damit so sonderbar
gegangen, daß ich zweimal so gut als fertig zu sein glaubte, als ich neue
wichtige Hülfsmittel bekam, die mich zwangen, die Sache von neuem vorzunehmen.
Ich kann aber mit Wahrheit sagen, daß diese neuen Hülfsmittel meine schon früher
gefaßten Ideen in den Hauptsachen durchaus nicht andeuten, vielmehr habe ich das
meiste, worauf es ankam, auch in ganz einzelnen Dingen, früher durch Vermuthung
herausgebracht, wo ich jetzt nur die Autoritaet zu citiren brauche. Das
wichtigste Hülfsmittel ist das mir von
Crawfurd
mitgetheilte Manuskript.Crawfurd stellte Humboldt aus seiner
umfangreichen Handschriftensammlung eine zuverlässige Handschrift des Brata Yuddha-Gedichts zur Verfügung. Vgl. dazu
Müller-Vollmer 1993, S. 177. [FZ] Ich erhielt es erst wenige Tage vor
meiner Abreise aus
Berlin
. Es ist ganz und durchaus Javanisch und es ist gut, daß ich mir eine ziemliche Fertigkeit im Javanischen erworben hatte, sonst würde ich es gar nicht
benutzen können. Ich denke jetzt doch bis zum Winter zum Anfang des Drukkes zu
kommen. Die Schrift wird aber immer einen mäßigen Quartband
ausmachen. Vermutlich noch in diesem Monat erscheint ein kleiner Aufsatz von mir über das Tagalische und Bugis Alphabet im Asiatischen Journal
den ich Ihrer nachsichtigen Beurtheilung empfehle.
Ich habe schon vor längerer Zeit durch
Sir A. Johnston
eine Schrift von
Threlkeld
über die Sprache von
Neu-Süd Wales erhalten und mich hier damit genauer beschäftigt. Sie
würden mich ausnehmend verbinden, wenn Sie sich bei
Johnston
, der Asiatischen Gesellschaft und den Missions und
Bibel-Gesellschaften erkundigen wollten, ob etwas anderes über die Sprachen von
Neu-Holland, Neu-Guinea und überhaupt der schwarzen
Bevölkerung in der Südsee vorhanden wäre. In diesem Falle würde mir viel
daran
Die hier und im Folgenden zwischen senkrechten Strichen stehenden Worte
sind ergänzt, da das Blatt durch das Öffnen des Briefes beschädigt
wurde. [FZ] gelegen sein, es recht bald zu erhalten. Das
ausführlichste, welches ich darüber kenne,
steht in
Forrests Reisen, die auf der
Königlichen
Bibliothek
sind.
Crawfurds
Gefälligkeit kann ich nicht genug rühmen. Sie
contrahstirt
contrastirt
sehr
mit
Marsdens
Schwerfälligkeit, der mir nicht einmal auf meinen letzten
Brief geantwortet hat. Ich bin jetzt und noch etwa
für drei Wochen in dem hiesigen Seebade, das mir wieder eine sehr erwünschte
Wirkung zu thun scheint. Strafen Sie mich nicht, liebster Freund, mit
Erwiederung meines langen Stillschweigens und leben Sie herzlich
wohl.
Mit der hochachtungsvollsten Freundschaft Ihr
Humboldt.
An
Herrn Dr. Rosen
Wohlgeboren
in
London