Ich danke Ihnen herzlich, theuerster Freund, für Ihren gütigen und
freundlichen Brief vom 16. v. M. und bitte Sie
ja, nie über ein längeres Stillschweigen von Ihrer Seite in Verlegenheit zu
seyn. So gern ich Ihre Briefe empfange, möchte ich nie, daß Sie Sich darum in
wichtigeren Arbeiten störten, oder zu einer Zeit schrieben, wo Sie nicht die
rechte Stimmung dazu fühlen. Nur unter diesen gegenseitigen Bedingungen kann man
sich selbst auf freundschaftlichen Briefwechsel einlassen.
Meine Frau, die mit
Carolinen
Sie herzlich grüßt, war
wirklich, als sie ihre Badereise antrat, recht leidend, und mehr, als das,
wirklich bedenklich und gefährlich krank. Glücklicherweise hat das Bad kräftiger
gewirkt, als wir zu hoffen gewagt hatten. Das Befinden ist seit der Rückkehr
ungemein besser, die Kräfte gehoben, alle Symptomen des Uebels gemindert, das
Aussehen mit dem im Frühjahr nicht zu vergleichen und Lebensmuth und Heiterkeit
zurückgekehrt. Bei einem einmal sehr eingewurzelten gichtischen Uebel kann man
niemals wissen, ob nicht der Winter es wieder sehr verschlimmern kann, ist das
aber nicht der Fall, so läßt sich mit Grunde hoffen, daß ein nochmaliger
Gebrauch
Gasteins
eine völlige Wiederherstellung
bewirken wird. Wie viel beruhigter und freudiger mich dies in die Zukunft
blicken läßt, die mich vorher sehr bekümmerte, brauche ich Ihnen nicht zu sagen,
und da Ihre Freundschaft für uns, Ihren Antheil an unsren Schicksalen kenne, so
ist es mir ein wahrer Genuß, Ihnen diese erfreulichen Nachrichten mit-theilen zu können.
Bachs
habe ich mich mit Vergnügen
angenommen, da Sie, liebster Freund, ihn mir empfohlen hatten, und mir sein
Fleiß und seine Kenntnisse eine günstige Meinung von ihm einflößten. Seine
Geschichte in
Bonn
kenne ich durchaus nicht, ich habe
sie mir nicht einmal von ihm selbst erzählen lassen. Ich hasse alle Theilnahme
an Dingen dieser Art, u. war gewiß, daß, wenn
Bach
sich auf eine Weise, die seinem
Charakter keine Ehre machte, darin genommen hätte, Sie mich vor ihm gewarnt
haben würden, da Sie mir ihn empfohlen hatten. Hat er sonst darin gefehlt, so
ist er hart genug dafür bestraft, da er, statt am Rhein
eingestellt zu werden, nach
Oppeln
gekommen ist. Dort weiß und höre
ich nur Vortheilhaftes von ihm.Der Abschnitt
von „Seine Geschichte …“ bis zum Ende des Absatzes fehlt bei Haym
1859.
Ihre Theilnahme und am Kunstverein […]
Meine Abhandlung über die Bhagavad-Gitá
habe ich sous bande
für Sie auf die Post gegeben.Der Gesamtband
der Abhandlungen erschien erst im Jahr 1828, der Beitrag von Humboldt wurde
aber bereits im Herbst 1826 gedruckt; siehe auch Leitzmann in: GS V, S.
479. [FZ] Nehmen Sie, liebster Freund, sie mit gewohnter Güte und
Nachsicht auf. Meine Absicht ist, daß das Gedicht auch unter denen bekannt
werde, die nicht Sanskrit wissen. So treflich die Schlegelsche Uebersetzung ist,
so liest sie niemand, u. wer sie liest, lernt doch das Gedicht nicht kennen. Man
ermüdet über den Wiederholungen, Einschaltungen u. s. f. Es ist durchaus
nothwendig, das Einzelne, wie ich gethan, anders zu ordnen, zugleich zu sichten,
u. geradezu nicht Alles zu geben. Dann ist auch das Lateinische gerade die
Sprache, in die man so etwas nicht übersetzen darf. Endlich sehen die Menschen
Lateinische Uebersetzungen bei Sanskritoriginalen wie
Eselsbrücken für Sanskritlernende an, u. überschlagen
sie. Meine Abhandlung ist aus einer wahrhaft ungemeinen
Liebe zu dem Gedicht entstanden. Ob diese vor Lesern, wie Sie, mein Bester, u.
andren, die alle Bedingungen zum entscheidenden Urtheil mit der Art
Partheilosigkeit, die die Nichtbeschäftigung mit der Ursprache giebt, verbinden,
sich durch meine Arbeit rechtfertigen wird, ist die Frage. Die deutsche
metrische Uebersetzung hätte
Schlegel
unbedenklich viel besser
gemacht, ich habe aber die eigne Treue hineingelegt, die wenigstens ich bei
andren, auch
Schlegel
schen Uebersetzungen, bisweilen
vermisse. Ich wünsche sehr, recht bald Ihr Urtheil zu erfahren.
Die
Schmidt
sche Arbeit über den Infinitiv
schätze ich auch. Nur genügt mir seine Widerlegung
meiner Meinung nicht, u. seine grammatische Grundidee kann ich nicht billigen.
Er hätte nicht von der
Bernhardischen abgehen, sondern diese
vielmehr tiefer studiren sollen, wie er sichtlich nicht gethan. Ich habe ihm
weitläuftig darüber geschrieben.Siehe
Briefkonzept vom 28. Oktober 1826 (Coll.
ling. fol. 55, Mappe 4, Bl. 60–69, Krakau). Humboldts Brief an Maximilian Schmidt wurde unter dem Titel
"Ueber den Infinitiv" in der Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 2, 1853, S. 241–251,
veröffentlicht. [FZ] Es ist überhaupt ein eignes Ding, daß jetzt die
Menschen so gern eigne Theorien aufstellen, ohne die bisherigen zu prüfen u. zu
widerlegen. Auch dem jungen
Görres
muß ich das vorwerfen. Sein
Begriff des Verbum ist sichtlich falsch u. er konnte den
richtigen aus
Bernhardi
schöpfen.Siehe die folgende Anmerkung.
Doch danke ich Ihnen sehr für seine Bemerkungen. Da ich ihn erst in einem halben
Jahr hier sehen könnte, so veranlassen Sie ihn doch, mir seine
Preisschrift mitzutheilen. Ich werde dann auf seine
Bemerkungen, die einen guten, wenn auch nicht klaren Kopf verrathen,
antworten.Siehe "Erwiderung auf einen
Aufsatz von Guido Görres" (Handschrift, AST), in: GS VII/2, S.
645–649, mit der Wiedergabe des handschriftlichen Aufsatzes von Görres, der über Welcker an Humboldt gelangte, auf S. 649–652. [FZ]
Leben Sie herzlich wohl! Mit der innigsten u. hochachtungsvollsten
Freundschaft
der Ihrige,
Humboldt.
Tegel, den 10. October,
1826.