Oben links die Anmerkung
Schlegels: abgesendet d. 5ten Dec.
Bonn d. 1sten Decbr. 22.
Ew. Excellenz haben mir durch Ihre reichhaltige [Sendung](1085) vom 18ten
Oct. eine große und seltene Freude gewährt. Ich hätte früher meine
lebhafteste Dankbarkeit bezeugt, aber ich wollte nicht gerne schreiben, bis ich
Ihre vortreffliche Abhandlung mit Ruhe gelesen
hätte, und die Ankunft fiel gerade in den Zeitpunkt der Eröffnung meiner
Vorlesungen, wo mir keine Stunde freyer Muße übrig blieb. Ich habe die
Abhandlung nun gelesen, aber erst Einmal, und das ist wenig für eine so
gründliche und meisterhafte Arbeit. Ew. Excellenz legen zuerst Hand an eine
schwere und wissenschaftliche Aufgabe: die Syntaxis des Sanskrit; denn die paar
Blätter bei Carey und Wilkins, welche diese Überschrift führen, sind ja kaum der Rede
werth. Sind die Indischen Grammatiker eben so karglaut? Haben sie ihren
Scharfsinn so ganz an der Wortbildung erschöpft, daß ihnen für die Wortfügung
gar nichts übrig bleib? Ich weiß es nicht, aber auf jeden Fall wird
es viel Kopfbrechen kosten, was sie enthalten, gehörig ans Licht zu ziehn; und
ich glaube, wir thun wohl unterdessen auf dem praktischen Wege
durch Beobachtung des Sprachgebrauchs fortzugehn. Allein dazu gehören
zuverlässige Texte, womit wir leider noch sehr schlecht bestellt sind. Doch
hierüber nachher. Zuerst wünsche ich Ew. Excellenz Befehle über einige
Bestimmungen bey dem Druck des Aufsatzes zu erfahren, welcher der Indischen Bibliothek zur erwünschten Auszeichnung
gereichen wird. Der Gebrauch der kleineren Schrift würde einen Übelstand
verursachen, indem meine Devanagari-Lettern weit größer sind, und daher jede
Zeile, worin dergleichen vorkommen, einen doppelten Durchschuß erfodert. Kaum
läßt es sich mit der gewöhnlichen Schrift leidlich einrichten, wie Ew. Excellenz
an dem Aufsatz über Wilsons Wörterbuch gesehn haben
werden. Ich habe noch nicht genau berechnet, wieviel Seite Manuscrip
sich zu einer gedruckten verhält. Jedoch wünsche ich die Abhandlung in zwey Hefte bringen zu können, es wäre Schade, sie
allzu sehr zu zerstückeln. Ein Unterhaltungsblatt kann die Indische Bibliothek nun einmal nicht seyn, und das etwas
leichtsinnig gegebene Versprechen, die nicht eigentlich Gelehrten,
sondern bloß gebildeten Leser sollten in jedem Heft nur wenige Blätter zu
über-schlagen finden, habe ich doch schon brechen müssen.
Übrigens ist der Absatz für eine wissenschaftliche Zeitschrift nicht ganz übel:
es sind ungefähr 400 Ex. abgesetzt, und es finden sich fortwährend neue Käufer,
für welche, sobald das 4te Heft fertig seyn wird,
das Ganze als Ein Band ausgegeben werden soll. Ich arbeite eben an
diesen vierten Heft, und es kann um so früher erscheinen, wenn
ein Theil Ihrer Abhandlung darin abgedruckt wird.
Allein es würde daraus der Nachtheil entstehn, daß sie in zwey Bände auseinander
gerissen wäre. Im ersten und zweiten Heft des 2ten
Bandes hingegen könnte sogar die Seitenzahl ununterbrochen fortlaufen. Ich bitte
um ein Wort der Entscheidung hierüber. Je früher es in Deutschland und im
Auslande bekannt wird, daß ein Denker und Sprachkenner wie Sie dem Studium des
Sanskrit seine Neygung zugewendet hat, desto willkommner ist es mir.
Von der Vollmacht, welche Ew. Ex. mir ertheilen, kleine Versehn nach eigner
Einsicht zu berichtigen, möchte ich nicht wagen, Gebrauch zu machen, weil ich
sehr gut weiß, wie viel mir in der Auslegung und Kritik dieser Sprache zu lernen
übrig bleibt. Die Bemerkungen, welche ich so frey bin, auf einem
beyliegenden BlatteDieses Blatt ist nicht
erhalten, Humboldt bezieht sich im [Brief](1086) vom 13.12.1822 auf die von
Schlegel besprochenen Stellen. dem Urtheile Ew. Excellenz zu
unterwerfen, betreffen auch gar nicht die Behandlung, sondern den Stoff, den Sie
verarbeitet haben. Es sind Zweifel über die Richtigkeit einiger Lesearten. Nach
meiner freylich noch beschränkten Erfahrung, urtheilen Ew. Excellenz zu günstig
von den Indischen Abschreibern, wenn Sie annehmen, sie würden nicht leicht den
ungewöhnlichern Sprachgebrauch aus ihren eignen Kopf an die Stelle
des üblichern gesetzt haben. Sie haben nur allzu oft an gar keinen
Sprachgebrauch gedacht, sondern das Unzusammenhängende und verwirrte mit
gedankenloser Nachläßigkeit hingeschrieben. Allerdings kann das Gewerbe eines
Abschreibers nicht ohne grammatische Kenntniß des Sanskrit ausgeübt werden, aber
diese Kenntniß mag oft sehr oberflächlich gewesen seyn; und ich glaube, wir
dürfen im ganzen genommen den heutigen Indischen Abschreibern nicht so viel
Einsicht in ihre classische Sprache und Litteratur zutrauen, als den
Griechischen des funfzehnten Jahrhunderts. Vor allen Dingen fehlt es ihnen aber
an Gewissenhaftigkeit. Colebrooke, der darin eine große Erfahrung besitzt, ist noch
weit
mistraurischer
mistrauischer
als ich, und gab
mir den Rath, bey dem Ankauf von Handschriften ja nicht auf Kalligraphie und
Eleganz zu achten; die abgenutzen, wo gelehrte Leser ihre
Verbesserungen an den Rand geschrieben, seyen die eigentlichen schätzbaren.Zu dieser Einschätzung der Arbeitsmaterialien
vgl. den Brief Colebrookes an Schlegel vom 31. Januar 1821: Rosane Rocher /
Ludo Rocher (2013): Founders of Western Indology. August
Wilhelm von Schlegel and Henry Thomas Colebrooke in Correspondence
1820–1837, Wiesbaden: Harrassowitz, S. 43; ebenda Anm. 86 zitiert
diese Stelle des Schlegel-Briefes an Humboldt. [FZ]
Ew. Excellenz haben die Beyspiele aus dem
Hitôpadêsa
, dem
Ramayana
und dem
Nalas
gewählt.
Die am meisten authentischen Texte sind für die, für welche ein commentarius perpetuus mit Wiederholung aller Worte
Gewähr leistet. Solche Commentaren giebt es theils von heilig
geachteten Büchern der patriarchalischen Vorzeit, theils von
Bewunderten
des gelehrten Zeitalters. Der Styl der letzen dürfte meistens zu
künstlich und verwickelt seyn, um zu grammatischen Beyspielen bequem gebraucht
werden zu können. Zu der ersten Classe gehört der
Bhagavad-Gîtâ
; ich habe gefunden, daß es
darin gar keine Varianten giebt. Wenn ein S solches
Buch auch ohne den Commentar abgeschrieben wird, so darf sich der
Abschreiber doch keine Willkühr mit Auslassungen, Versetzungen u.
s. w. erlauben, weil jedermann es so zu sagen auswendig weiß. Die Gesetze des Manus sind, als Privat-Unternehmung eines
Indischen Gelehrten mit dem Commentar gedruckt; ich habe mir die mögliche Mühe
gegeben, aber keines Exemplars habhaft werden können. Sonst würde ich glauben,
durch den Abdruck des Textes allein dem Studium einen wesentlichen Dienst zu
leisten, und sogleich dazu schreiten.
Der Hitopadesa gehört nicht zu dieser Classe: als ein
populares und vielgelesenes Buch ist er immer sehr willkührlichen Behandlungen
ausgesetzt gewesen. Vermuthlich
Ergänzt nach Leitzmann 1908, S. 89. In der Abschrift
befindet sich hier eine kleine Lücke am Ende der Zeile. hat eine
Abschrift ungefähr ihren laufenden Preis: um geschwinder mit ihrem Tagewerk
fertig zu werden, haben die Abschreiber viele Sprüche ausgelassen, und die
prosaische Erzählung abgekürzt. Ich glaube daß die gedruckten Ausgaben in
Absicht auf die Vollständigkeit des versifizirten Theils wenig zu wünschen übrig
lassen, ja ich würde hier und da eine überlästige und unpassende Sentenz ohne
Bedenken herauswerfen. Die Sprüche stehn durch ihre Form und die
symmetrischen Wendungen ziemlich fest: doch habe ich auch hier in einer einzigen
Handschrift bedeutende Varianten gefunden, zuweilen durchaus verschiedene
Hemistichien und ganze Verse. In der Prosa schwankt nun aber alles wegen der
unbestimmten Form: ich glaube von dieser Seite kann das Buch durch fortgesetzte
Vergleichung der Handschriften noch sehr gewinnen.
Die Herausgeber in Serampora waren damals
noch ganz unfähig über den Werth der Lesearten zu entscheiden: allein sie hatten
Handschriften und Indische Gelehrte zur Seite. Wilkins hat manche Fehler der Seramporer
Ausgabe verbessert, andre hineingebracht. Glauben Ew. Excellenz doch
ja nicht, daß alles was in der Londner Ausgabe steht,
in irgend einer Handschrift gelesen worden sey. Es sind eben Druckfehler. Ich
wäre ein gemachter Mann, wenn ich für jeden nachgewiesenen Druckfehler im Hitopadesa, in Wilkins Grammatik, in Wilsons Wörterbuch, im
Ramayana u. s. w. nur eine Guinee bekäme.
Man sollte vermuthen, man wäre besser daran mit den inländischen
Herausgebern; aber diese scheinen nun vollends das Correcturen-Geschäft beym
Druck gar nicht zu verstehn. Denken Ew. Excellenz, daß ich im Bhagavad-gitâ, einem Gedicht von ungefähr 1600 Versen, in der Ausgabe von Calcutta 69 Druckfehler entdeckt habe. Ich
fand rathsam, diese am Schluß meines jetzt beendigten Abdrucks aufzuführen,
damit jedermann sehe, wie es mit den bisherigen Ausgaben bewandt ist. In meiner
ersten Schülerzeit habe ich mir oft um diese verwünschten Druckfehler
Stundenlang den Kopf zerbrochen; jetzt glaube ich so weit zu seyn, daß ich
bestimmt weiß, wenn ich etwas nicht verstehe, ob die Schuld an mir liegt, oder
an dem fehlerhaften Text.
Wie sehr der Ramayana von Serampora im Argen liegt, ist
gar nicht zu sagen. Es ist aber mit den epischen Gedichten überhaupt eine eigne
Sache. Die Laxität und Überfülle des Styls öffnete den Abänderungen Thür und
Thor; und die starken Abweichungen der Handschriften rühren wohl nicht bloß von
den Abschreibern her sondern von den Rhapoden, wie bey den Homerischen Gesängen vor der
Alexandrinischen Periode
daß es
Rhapsoden in Indien gab, sieht man bestimmt aus dem Eingange des Mara Mahabharata. – Am
wenigsten möchte ich die Inhaltsanzeige des Ramayana
als eine Auctorität bey grammatischen Fragen anführen. Sie ist ja offenbar
später hinzugefügt, und wahrlich ein schlechtes Meisterstück mit ihren
holperichten Versen, athemlosen Wortfügungen und ewiger Wiederhohlung derselben
Wörter.
Unmöglich kann ich mir denken, daß es im Nalas nicht
mehr Varianten geben sollte, als Bopp angeführt
hat. Indessen kann es seyn, daß der Text dieser Episode als eines
Lieblingsstückes frühzeitig durch die Bemühungen Indischer Kritiker gereinigt,
und nachher besser bewahrt worden. Vielleicht verhält es sich ebenso mit dem
Durgâmahâtmyam
. So viel Bopp auch im Vergleich mit seinen Vorgängern geleistet hat, so
finde ich bey oft wiederholtem Lesen doch noch manche verdächtige Lesearten im
Nalas.
So drehen wir uns für jetzt noch in einem fehlerhaften Kreise herum: nur durch Kritik können die Texte gereinigt werden; und wie kann die Kritik
mit Sicherheit zu Werke gehn, bevor nicht durch eine Masse gereinigter Texte der
Sprachgebrauch ausgemittelt ist?
Der Lesearten, welche ich entschieden verwerfe, sind nur wenige. Wenn Ew.
Excellenz meiner Meynung oder vielmehr der Auctorität einer Handschrift
beytreten, so wird die Classification der Fälle dadurch vereinfacht werden, und
es wird nichts weiter nöthig seyn, als die darauf sich beziehenden Zeilen
wegzulaßen.
Zugleich nehme ich mir die Freyheit, eine in etwas b
abweichende Auslegung einiger Stellen Ihrer Prüfung anheim zu stellen.Leitzmann 1908, S. 86: anheimzugeben.
Die Zuthaten zum
Bhagavâd-gitâ
, Vorrede, kritische Anmerkungen
und Lateinische Übersetzung sind noch nicht fertig. Wenn es Ew. Excellenz aber
angenehm seyn kann, den bloßen Text bequemer als in der Calcuttaschen Ausgabe, mit möglichster Sonderung der Wörter und
vereinfachter Schreibung gedruckt zu haben, so werde ich Ihnen selben mit dem
größten Vergnügen zusenden.S. 255/256
vacat.
Ich bin immer so mit dem Praktischen beschäftigt gewesen, daß ich
mit vielen Puncten Punkten der allgemeinen Grammatischen Theorie noch
gar nicht im klaren bin. Ew. Excellenz so tief eingehende Erörterungen werden
mich veranlassen, an die Griechischen Grammatiker zu gehn, wovor ich immer eine
gewisse Furcht gehabt. Ich bin noch nicht weit über den Priscian hinaus gekommen, wo mir denn der Mangel an Grundsätzen und
das empirische Herumtappen sehr widrig aufgefallen ist. Bey dem Grundirrthum,
die 1. pers. praes. und der
nominatif
sey das Wort selbst, konnten sie
ohnehin in der Lehre von den Flexionen auf keinen grünen Zweig kommen. Bey allem
dem müssen wir dennoch die Lateinische Kunstsprache beybehalten; nur denke ich
mit dem Vorbehalt passendere Benennungen, nach derselben Analogie gebildet, an
die Stelle der Alten zu setzen, und wo eine Sprache etwas
eigenthümliches hat, ganz neue zu erfinden. Könnte man nicht das tvā
und ya
den Absolutivus nennen? Doch ich muß erst reiflich
durchdacht und wiederholt gelesen haben, ehe ich mir irgend eine
Bemerkung erlauben darf.
Was Ew. Excellenz in [Ihrem Briefe](1085) über die
Nothwendigkeit sagen, das Einzelne zuvörderst genau zu ergründen, möchte ich bey
jedem Worte unterschreiben, und bin überzeugt, daß wir nur auf diesem Wege, den
Sie eingeschlagen haben, sichre Schritte sowohl in der vergleichenden
Sprachkunde als in der allgemeinen Theorie vorwärts thun können. Man kann sich,
denke ich, die Mühe sparen, die etymologische Willkühr, die fast eine unheilbare
Krankheit des menschlichen Geistes zu seyn scheint, ausdrücklich zu widerlegen.
Sobald die wissenschaftliche Forschung eintritt, muß dieß alles von selbst in
sein Nichts versinken. So hat z. B. der sonst schätzbare Dr. Schwenck in seinen mythologischen Andeutungen jetzt eben wieder Etymologien
vorgebracht, wobey mir ordentlich die Haare zu Berge stehn.
Haben Ew. Excellenz schon die neue chinesische Grammatik
von Remusat gesehn? und wie urtheilen Sie über
Grimms Deutsche
Grammatik?
Ich wünsche von ganzem Herzen, daß Ew. Excellenz der
vollkommensten Gesundheit und Heiterkeit bey diesen mühseligen Arbeiten
genießen mögen, welche der Wissenschaft so große Resultate versprechen, und
verbleibe mit unbegränzter Verehrung
Ew. Excellenz
unterthänig
gehorsamster
A.W.v.Schlegel.
Bey der Abschrift der Abhandlung ist der Name des
Verfassers weggelassen. Ich bin doch bevollmächtigt, ihn hinzuzufügen, und
mit welchen Bestimmungen?