Tegel, 25. September
1823.
Ihre beiden gütigen Briefe, liebster Freund, vom 26. v. M.
Der
Brief ist offenbar nicht erhalten. [FZ] u. den kleineren, besonders
für Herrn Professor
d’Alton
Joseph Wilhelm
Eduard d’Alton (1772–1840), Anatom, Archäologe, Kupferstecher und
Kunstkritiker. Seit 1818 außerordentlicher Professor für (antike)
Kunstgeschichte an der Universität Bonn. bestimmten, habe ich
erhalten u. sage Ihnen in meinem u. meiner Frau
Namen meinen herzlichsten Dank für alles Liebe u. Freundschaftliche, was beide
für uns enthalten. Herrn Prof.
d’Alton
habe ich leider nicht gesehen. Er hat
vermuthlich nicht Zeit gehabt, mich hier auf dem Lande aufzusuchen. Wenn ich
mich nicht irre, ist er derselbe, der mir schon aus ziemlich frühen Jahren als
ein überaus geistvoller Mann bekannt ist. Ich habe desto mehr bedauert, seine
Bekanntschaft nicht gemacht zu haben, denn ich habe ihn auch früher nie selbst
gesehen. – Ich muß zwar fürchten, daß diese Zeilen Sie nicht in
Bonn
finden, da Sie, wie Sie mir
schrieben, einige Reisen zu machen gedachten, ich möchte aber doch auf keinen
Fall meine Antwort noch länger verzögern.
Schlegel
habe ich auf seinen letzten
Brief nicht mehr geantwortet, da ich überzeugt war, daß er schon abgegangen seyn
mußte, u. er wohl längere Zeit ausbleibt, obgleich er mir nie bestimmt
geschrieben hat, wie lange er sich in
London
aufhalten wird. Ich bin
überzeugt, daß seine Reise seinen Studien sehr beförderlich seyn wird. Ich weiß
nicht, ob seine letzten Aufsätze in der Indischen
Bibliothek Ihnen auch so sehr gefallen haben; uns außerordentlich.
Sie scheinen zwar keines sehr wichtigen, noch weniger tiefen Inhalts, aber sie
sind doch so geistvoll verfaßt, u. so hübsch geschrieben, daß
Sie
sie
, dächte ich, jedem Leser sehr viel Interesse
einflößen müssen. Ich kann es mir denken, daß meine Begeisterung über den Bhagavad Gita, wie Sie es mit Recht nennen, Ihnen hat
befremdend vorkommen müssen. Es giebt zwar einige Stellen, die auch in der
Uebersetzung frappiren u. erhaben u. tief erscheinen müssen. Auch ist die ganze
Scene, im Angesicht zweier feindlichen Heere zu philosophiren, u. viele Gesänge
hindurch die Waffen ruhen zu lassen, im höchsten Grade wunderbar, aber
großartig. Endlich wird diese Großartigkeit dadurch gesteigert, daß der Krieger
u. Held sich scheut, das Blut so verwandter Geschlechter zu vergießen, u. der
zum Menschen gewordene Gott diese Schwachheit bekämpft, u. ihm zeigt, daß doch
Alles Lebendige nur diesen großen Kreisgang durch den Tod zu neuem
Leben gehen muß. Allein Alles dies ist sehr weit entfernt, das, was ich
Schlegel schrieb, vor den Augen dessen
zu rechtfertigen, der nur die Uebersetzung, wie gut sie selbst sey, liest. Das
Eigentliche, was doch keine Uebersetzung nachbilden kann, liegt in dem Ton, dem
Zusammendrängen u. Auseinanderlegen der Gedanken in die einzelnen Worte, der
Folge der Gedanken u. Bilder, der Art der Metaphern, u. in dem Unbegreiflichen,
was sich, weil es unzertrennlich der Sprache anklebt, nicht analysiren u.
angeben, aber doch darum nicht wegläugnen läßt. Ich habe noch nicht Gelegenheit
gehabt, historisch je das Alter dieser Indischen Gedichte zu untersuchen, u.
weiß also nicht, ob sie in ein so sehr hohes über Homer hinausgehen mögen. Es scheint mir aber darin auch Vieles
nur relativ zu seyn. Denn selbst das uns näher Stehende, u. mithin Jüngere kann
ja durch die Abgeschiedenheit, in der es entstanden ist, dem Urzustande der
Menschheit näher liegen, als das in der That bei weitem Aeltere. Das aber nun
ist mir eine unumstößliche Ueberzeugung, daß diese Indischen Gedichte eine Farbe
des Alterthums an sich tragen, gegen die Homer
gewissermaßen jung erscheint. Hierzu tritt nun die Eigenthümlichkeit hinzu, daß
sich dieses Alterthum gerade in philosophischer u. theosophischer Tiefe, aber
verbunden mit jugendlich scheinenden u. reizenden Bildern ausspricht. Ich
glaube, daß man ohne Vorurtheil sagen kann, daß man eigentlich immer nur in der
Ursprache eine Nation selbst in ihrer Individualität reden hört, in der
Uebersetzung kommt immer nur das Material der Gedanken zurück, u. das
wenige, was die beste auch von der Form beibehält, wird in der Wirkung wahrer
Aehnlichkeit wieder durch die Veränderung geschwächt, die selbst das Material in
der neuen Form erleidet. Dies gerade, daß man die Nation selber hört, halte ich
für den höchsten, vielleicht einzigen Nutzen u. Reiz des Studiums von Sprachen,
unabhängig von den Zwecken dadurch sonst nicht zu erlangender
Einsichten oder Notizen,
u. erhalten,
u. je älter eine Nation ist, desto mehr steht sie gerade in einer
solchen Verbindung mit ihrer Sprache, als nöthig ist, das Studium dieser
wahrhaft anziehend zu machen. Alles wahre Erkennen u. Wissen muß doch am Ende
darauf hinausgehen, das zu erreichen, was der Mensch, seinem Vermögen, das
Universum zu erfassen u. selbst mit umzuschaffen, nach, wirklich ist, die Kraft u. die Begeisterung des Seyns werden
aber nicht eigentlich verstärkt u. entzündet durch etwas, was sich bloß erkennen
u. begreifen läßt, sondern nur durch die Anschauung dessen, was der Mensch schon
einmal gewesen ist, u. das Erahnden dessen, was er seyn kann. Darum ist, wenn man alle Mittelzwecke
vergißt, u. nur auf das Letzte u. Wesentlichste geht, wahre Erweiterung der
Erkenntniß nur wahre Erweiterung des Daseyns, u. diese ist auf historischem Wege nur durch Anschauen gewesenen Daseyns möglich. Insofern nun das
Studium einer wichtigen Originalsprache allein dies Anschauen in einiger
Vollständigkeit gewähren kann, nenne ich eine darin gemachte größere Erfahrung,
wie z. B. das Lesen des
Bhagavad Gita
, ein so wichtiges Lebensmoment,
daß man sich Glück wünschen kann, das noch, ehe man hinweggeht, erlangt zu
haben. Insofern man immer eine stille Sehnsucht in der Seele nährt, die
verschiedenen Arten, in welchen sich der menschliche Geist groß u.
das menschliche Gemüth groß zeigen, selbst angeschaut u. gefühlt zu haben, so
ist ein Theil dieser Sehnsucht gestillt, u. eine Beruhigung für das Hinaustreten
erlangt. Denn wenn ich mir denke, wie man wohl, ohne ekle u. mir sehr fremde
Sattheit am Leben, auf eine edle u. würdige Art den Kreislauf hier so vollendet
zu haben denken kann, daß man nicht voraussieht, daß leicht etwas hinzukommen
könnte, so ist es nicht durch Vollendung einer Reihe von Thaten, noch einer
Masse von Richtungen, nicht durch ein Erschöpfen eines Kreises des Wissens, denn
das Thun u. das Wissen sind nie aufhörende Reihen von Einzelheiten, durch die
man doch nie zur Unendlichkeit gelangt, aber wohl dadurch, daß jedes Vermögen,
das man in sich spürt, einmal einen Gegenstand in sich gefunden hat, in dem es
ganz aufgegangen ist, wo nun jede neue Beschäftigung gleichsam nur eine
Wiederholung seyn würde. Nur also, was im Stande ist, ein Geistes- oder
Gemüthsvermögen so zu beschäftigen u. zu bewegen, kann für den Menschen eine
absolute Wichtigkeit haben, eine solche, bei der Leben u. Tod in Betrachtung
kommt; alles Uebrige fällt in den Kreis des Zufälligen u. Außerwesentlichen, u.
wird, wie man den ernsten Gedanken des Todes faßt, so bis zur Gleichgültigkeit
entfärbt, wie Kohlen ihren Schimmer verlieren, wenn daneben eine Flamme
auflodert. Sie müssen mir verzeihen, liebster Freund, daß ich hierüber so
weitläuftig geworden bin. Allein ich möchte sehr ungern bei Ihnen in den
Verdacht kommen, Schriften, die, aus zufälligen Umständen, jetzt von Wenigen in
der Ursprache gelesen werden, darum zu überschätzen, u. einer Kenntniß, die
jetzt nicht häufig seyn kann, einen zu hohen Werth beizulegen; ich mußte Ihnen
daher weitläuftiger auseinandersetzen, wie ich in meiner individuellen Ansicht
eine Aeußerung genommen hatte, die wirklich aus einem momentanen u.
individuellen Gefühl floß, die aber darum nicht weniger in mir wahr u. dauernd
ist, u. seyn wird. – Bei
Schwencks Recension im Hermes, die ich zu lesen suchen werdeWahrscheinlich ist damit die Rezension
Schwencks zum Werk E.T.A. Hoffmanns gemeint, mit dem Titel: Ueber E.T.W.
[sic] Hoffmann’s Schriften. In: Hermes oder kritisches
Jahrbuch der Literatur, Erstes Stück für das Jahr 1823, Nr. XVII
der ganzen Folge, S. 80–143. Dort ist der Beitrag namentlich nicht
gekennzeichnet, sondern trägt lediglich die Signatur "38.". Die Rezension
wird Schwenck zugeschrieben: Detlef Kremer (Hrsg.) (2010): E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung. 2., erweiterte Auflage,
Berlin: DeGruyter, S. 148. [FZ] , fällt mir eine von Voß
Aristophanes
, oder vielmehr ein philosophischer Aufsatz über Aristophanes selbst ein. Da Sie sie mir nicht nennen,
glaube ich nicht, daß diese Recension auch von
Schwenck
herrührt.Die Rezension ist am Ende mit "11." gekennzeichnet, daher ist
es unwahrscheinlich, dass sie von Schwenck stammt, der mit "38." zeichnete.
[FZ] Es war sehr gut u. nöthig, Vossen einmal zu sagen, daß er wirklich, u. ordentlich
absichtlich untreu übersetzt, nur hätte ich gewünscht, daß es mit noch mehreren
Beispielen geschehen wäre. Ueber die Natur des Komischen an sich u.
im Aristophanes war viel Gutes gesagt,
allein das wahre Wesen der Sache doch, wie es mir schien, nicht erreicht. – Die
Bonn
ische Gypssammlung muß ja sehr
hübsch u. ansehnlich seyn, u. wo nun einmal ein Grund vorhanden ist, wird das
Vermehren leicht. – Auf die den
Philostrat
, den ich bisher so gut, als gar
nicht kannte, bin ich ungemein begierig. Er wird doch nunmehr, hoffe ich,
unverzüglich erscheinen. Die Bearbeitung konnte gewiß nur dem gelingen, der, wie
Sie, mit lebendiger Phantasie eine so sehr ausgebreitete Kenntniß der
vorhandenen Kunstwerke besitzt. Denn gewiß haben Sie Recht zu sagen, daß diese
durchaus nöthig ist, um sich in den Gemälden zurecht zu finden. Es muß Sie auch
diese Beschäftigung zu schönen Bemerkungen über die verschieden- und
gleichartige Composition der Alten in Gemälden u. Basreliefs geführt haben. –
Ihre Darstellung der
Polygnot
ischen Gemälde werde ich mit
großer Freude empfangen.Die Abhandlung über
die "Die Composition der Polygnotischen Gemälde in der Lesche zu Delphi"
erschien erst 1849 in den Abhandlungen der Königlichen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1847, S. 81–151. Ein
Sonderdruck erschien bereits 1848. Der Text entstand gleichzeitig mit der
Beschäftigung an den Gemälden des Philostratos; siehe Welcker a. O., S. 84. [FZ] – Ich
wünsche von Herzen, daß Sie recht bald Muße zur Ausarbeitung Ihrer Aeschyleischen Ideen finden mögen. Ich bin sehr ungeduldig,
sie zu sehen. Gewiß ist Aeschylus auch
schon im Alterthum nicht so gewürdigt u. gefaßt worden, wie er eigentlich
verdient hätte. Die Versuche, die Titel u. Fragmente der verloren gegangenen
Stücke nach Trilogien zu ordnen, müssen eine sehr unterhaltende Arbeit gewähren,
u. zugleich auf feine u. für die Dramatik der Alten wichtige Bemerkungen zu
führen. – Sehr schmeichelhaft ist es mir, daß Sie sagen, Gelegenheit gefunden zu
haben, auch von meinen Bemerkungen Gebrauch gemacht zu haben. Ich wünschte aber
nicht, daß Sie ihnen zu viel Gewicht beilegten, u. am wenigsten möchte ich die
Vergleichung der Sagen verschiedener Völker gewissermaßen ganz verwerfen. Meine
Meinung war nur, zu warnen, daß man nicht aus zu wenigen Zügen der Aehnlichkeit
gleich auf Identität, noch weniger aber, auch bei größter Aehnlichkeit, auf
Verwandtschaft schließen möchte. Ganz gleiche Mythen können sehr füglich, jede
selbständig, an verschiednen Orten emporkommen. – Meine
Frau hat mit wirklich recht glücklichem Erfolg die Böhmischen Bäder gebraucht, u. grüßt Sie auf das
freundschaftlichste. Wir sind jetzt hier fast
alle vereinigt, gehen aber ba in wenigen Tagen nach
Berlin
.
Leben Sie recht herzlich wohl u. schreiben Sie mir recht bald wieder. Mit
der hochachtungsvollsten Freundschaft der Ihrige
Humboldt.