Wilhelm von Humboldt an August Campe, 28.06.1802<idno type="BBAW">113</idno> Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der sprachwissenschaftlichen Korrespondenz Frank Zimmer Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Grundlage der Edition: Hamburg, SUB, Sammlung Campe: CS 6 : Humboldt FWCKF : 1–2 Leitzmann 1949, S. 20 (Ausz.); Freese 1955, S. 437f. (Ausz.) Mattson 730 Bolla, Carlo Bülow, Gabriele von, geb. von Humboldt Humboldt, Caroline von Mendelssohn, Joseph Reimarus, Christina Sophia Louise, geb. Hennings Reinhard, Karl Friedrich Veit, David Humboldt, Wilhelm von Tegel Campe, August 09.07.1802 Eigenhändig Baskisch FZ 03. Februar 2021 in Bearbeitung
Tegel, 28. Junius, 1802.

So unglaublich lange es auch her ist, daß ich Ihnen nicht schrieb, liebster Freund, so rechne ich doch auf Ihre nachsichtsvolle Freundschaft, daß Sie mir dieß ueberlange Stillschweigen verzeihen werden. Ich bin glücklicher- oder unglücklicherweise schon wegen Unfleißes im Briefschreiben bekannt, u. daß nur eine solche oder andre zufällige Ursach an der Unterbrechung unsres Briefwechsels Schuld haben konnte, brauche ich Ihnen gewiß nicht erst zu versichern. Mit demselben Vertrauen, das Sie mir sonst erlaubten, bin ich also auch heute so frei, mich an Sie mit einer Bitte zu wenden.

Wenn Sie, wie ich vermuthe, häufig das Reimarusische oder Reinhardsche Haus besuchen, so wissen Sie unstreitig schon, daß ich bestimmt bin in wenigen Monaten nach Italien zu gehen. Meine Frau, die mir sehr viele freundschaftliche Grüße an Sie aufträgt, ist vor einem Monat glücklich von einer Tochter entbunden worden, sie ist schon jetzt vollkommen wiederhergestellt, u. ich denke ohnfehlbar im Anfange Septembers von hier abzugehen. Mein Aufenthaltsort in Italien wird bestimmt Rom seyn, meine Geschäfte, deren es bei dem Posten, den ich habe, viel mehr giebt, als man sich selbst hier gewöhnlich denkt, werden mir nicht einmal erlauben, oft von dort, wenigstens nicht auf lange abwesend zu seyn. Ich muß also darauf denken, in Rom eine Einrichtung zu treffen. Wieviel ich indeß von hier an Gepäck mitnehmen kann, richtet sich natürlich auch zugleich danach, wie theuer oder wohlfeil der Transport ist. Nun sagen mir hiesige Kaufleute, bei denen ich mich danach erkundigt habe, daß der Wassertransport von Hamburg aus um 2/3 vielleicht wohlfeiler, als der Landtransport seyn würde, u. da ich mit der Zeit weniger pressirt bin, da ich nicht vor dem December in Rom ankommen kann, u. das Nöthigste auch selbst mit mir nehme, so wäre ich sehr geneigt für Wäsche, Bücher u. dgl. diesen Weg einzuschlagen.

Sie würden mir daher einen außerordentlichen Gefallen erzeigen, mein liebster Freund, wenn Sie mir, aber sobald es nur immer möglich ist, recht zuverlässige Auskunft über folgende Punkte, schicken könnten:

1., Ob gewöhnlich, oder doch häufig Schiffsgelegenheiten für Abschickung von Kisten von Hamburg direct bis Ostia oder wenigstens Civitavecchia giebt? oder wenn dies, wie ich fürchte, nicht der Fall seyn sollte, wie man sich alsdann von Livorno aus hilft, ob der Hamburger Spediteur die fernere Absendung von Livorno mit besorgt, oder ich mir eine Adresse in Livorno verschaffen müßte, die ich an unsren Agenten, Hrn. Bolla, dort leicht finden könnte?

2., Wann wohl das nächste zu einer solchen Absendung zu benutzende Schiff jetzt nach Livorno abgeht? oder, wenn dies es mit diesem für mich zu spät seyn sollte? wann wieder eins abgeht? u. wieviel Zeit wohl mit der ganzen Reise von Hamburg bis Rom (vorausgesetzt daß die WeiterSpedition in Livorno keinen Aufenthalt leidet, u. keine außerordentlichen Umstände eintreten) darauf zu gehen pflegt?

3., Wieviel an Fracht der Centner von Hamburg bis Ostia, Civita-Vecchia oder Livorno, u. wieviel an Assecuranz betragen würde?

Habe ich auf diese Fragen durch Sie, mein liebster Freund, eine vorläufige Antwort, so bin ich nachher weit entfernt, Sie noch ferner mit diesem Auftrag bemühen zu wollen. Ich würde mich dann an Herrn Mendelssohn in Hamburg wenden, mit dessen Hause hier ich mich so in Geschäften befinde.

Mit meiner Spanischen Reisebeschreibung habe ich jetzt auch einen Definitiv-Entschluß gefaßt. Ich werde mich bloß darauf beschränken eine Reise durch Biscaya zu schreiben. Diese wird den Titel führen: Die Vasken, oder Bemerkungen auf einer Reise durch Biscaya u. das Französische Basquenland im Frühlinge des Jahres 1801. nebst Untersuchungen über die Vaskische Sprache u. Nation, u. einer kurzen Darstellung ihrer Grammatik u. ihres Wörtervorraths.

Ich muß Ihnen nemlich sagen, weil es sehr erlaubt ist, dies nicht zu wissen, daß die Vaskische Sprache (le Basque) eine der ältesten bekannten Muttersprachen Europens ist, daß man noch gar keine gründliche in Frankreich, England oder Deutschland gangbare Schrift über sie, sondern nur eine sehr seltne spanische u. fr eine nicht häufigere Französische (beide sehr mangelhaft) Grammatik, u. ein noch viel seltneres Spanisches Wörterbuch hat. Ich bin eigentlich in Rücksicht der Sprache im Lande herumgereist, habe eine Menge handschriftlicher Hülfsmittel gesammelt u. gebe nun 1., ein Tagebuch meiner Reise, das eine Schilderung des Landes, u. der Sitten der Nation enthältDie "Cantabrica im Wagen", Humboldts Reisebeschreibung durch das Baskenland im Jahr 1799/1800, liegt in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Ms. germ. qu. 500); der edierte Text erschien in Wilhelm von Humboldt (2010): Schriften zur Anthropologie der Basken, hrsg. von Bernhard Hurch, Paderborn: Schöningh (= Wilhelm von Humboldt. Schriften zur Sprachwissenschaft II/1), S. 79–101. [FZ], 2., eine Uebersicht der Vaskischen sehr sonderbaren Grammatik, 3., eine Abhandlung über den Ursprung der Vaskischen Nation u. Sprache, u. 4., eine gewisse Anzahl von Wörtern in derselben, wozu ich nur wenige, höchstens 6 Bogen bestimmeDie Arbeiten zum Baskischen beschäftigten Humboldt schließlich über zwei Jahrzehnte (siehe Humboldt [2010], S. 7. [FZ]. Das Ganze kann 1 ½ bis 2 Alphabete1 Alphabet entspricht 23 Druckbogen à 16 Seiten. [FZ] ausmachen. Daß ich dies alles, ehe ich Deutschland verlasse, vollende, ist unmöglich, obgleich die Materialien beisammen sind u. ich sie bloß zu ordnen habe. Aber ich mache gewiß wenigstens noch den 1sten Theil d.i. das Tagebuch ganz u. vom übrigen ein Stück fertig. Den Rest vollende ich, höchstens bis Ostern in Rom. Den eigentlichen Sprachuntersuchungen kann außerdem meine Reise noch vortheilhaft seyn.

Ich spreche Ihnen weitläuftiger u. ausführlicher hierüber, weil Sie mir einmal den Gedanken äußerten, Verleger dieser Reise werden zu wollen. Sie wissen, mein liebster Freund, wie ich mich schon damals darüber äußerte, u. so ist es noch damit. Freilich muß ich mir zur ersten Bedingung, den Druck in Berlin zu machen. Thue ich das nicht, u. komme ich nicht selbst vor meiner Abreise mit jemand über die Correctur, für die ich gern aus eignen Mitteln eine ansehnliche Entschädigung hergeben will, überein, so wird das Ganze durch die dann unvermeidlichen Druckfehler durchaus unbrauchbar. Meine Absicht ist aber, mit einem der wenigen Gelehrten in Berlin, die Spanisch verste-hen, eine Abrede deshalb zu treffen, ihm Hülfsmittel, aus denen er sich im Nothfall selbst über einzelne Vaskische Worte Rathes erholen kann, zurückzulassen, u. ihm dafür einen Theils des Honorars abzutreten. In Rücksicht auf die Nothwendigkeit, die Schrift in Berlin zu drucken, ware nun zwar unstreitig ein Berliner Buchhändler am meisten im Stande, den Verlag zu übernehmen. Allein ich habe ausdrücklich noch gegen niemanden mit einer Silbe davon Erwähnung gethan, u. wenn Sie also noch wünschen sollten, es selbst zu verlegen, so bitte ich Sie, es mir zu schreiben. Doch fürchte ich, daß es Ihnen zuviel Kosten u. Weitläuftigkeiten verursacht, in Berlin drucken zu lassen, u. ausdrücklich u. recht drungend bitte ich Sie, wenn es nicht ganz u. gar u. recht sehr Ihre Convenienz ist, die Sache ja mit Stillschweigen zu übergehen. Ich glaubte es nur dem, was wir bisher darüber gesprochen haben, schuldig zu seyn, es Ihnen zuerst anzubieten. Dagegen würde es mir außerordentlich leid thun, wenn Sie am S Ende, da man für den Abgang eines solchen Werks nie stehen kann, Ihre Rechnung nicht dabei fänden.Campe antwortete in einem nicht erhaltenen Schreiben vom 9. Juli 1802; dies erschließt sich aus Humboldts Replik vom 19. August 1802 (Hamburg, SUB, Sammlung Campe: CS 6 : Humboldt FWCKF : 3–4), in der es um die (letztendlich nicht realisierte) Drucklegung des Baskenwerks geht. Campe notiert am Anfang dieses Briefes von Humboldt: "d 31 Aug. geantw. daß es mir leid thäte den Verlag aufgeben zu müssen, um so mehr, da ich wegen die Korrektur einen recht guten Ausweg hätte treffen können. Der Druck hätte näml. dann bei Vieweg besorgt u die Korr. hier v Veith u Wagener gelesen werden können." [FZ]

Ich habe länger geschrieben, als ich dachte, u. muß jetzt eilen, den Brief nach der Stadt zu schicken.

Leben Sie recht wohl, theurer Freund, antworten Sie mir recht bald, empfehlen Sie mich dem Andenken aller, die Sich meiner erinnern, namentlich Hrn Dr. Veit recht freundschaftlich u. seyn Sie überzeugt, daß wir oft mit großem Vergnügen der Zeit gedenken, wo wir zusammen in Paris waren. Wie hübsch wäre es, wenn Sie uns einmal in Rom besuchen könnten!Ihr Humboldt. Ich habe der Fr. Dr. Reimarus u. Hrn Reinhard vor kurzem geschrieben. Beide werden doch meine Briefe erhalten haben. Tegel 28. Jun. 1802Hr. v. Humbold d 1. Jul / – 6 –
Herrn Buchhändler Campe, Wohlgebohren in Hamburg.