Bonn den 24. Dec. 1823.
Sehr lieb ist es mir, die Rede auf den Bhagavad Gita
gebracht zu haben, weil Ew. Excellenz dadurch veranlasst worden sind, über das
Alterthum und den Charakter des Werkes sich ausführlich zu äussern und
Betrachtungen daran zu knüpfen über die höhere Beziehung gewisser Erkenntnisse
oder Anschauungen zu dem Ganzen der menschlichen Bestimmung. Die Wissenschaft
wurde gewiss sehr viel dabey gewinnen, wenn ein letztes oder mir ein höheres
Ziel ihr öfter vorschwebte, und ihre Aufgaben mit unter den Maassstab gebracht
würden, an welchen alle Güter und alle Erfahrungen des Menschenlebens
gemeinschaftlich gehalten werden können. Es bemeistert sich ihrer eine gewisse
leichtsinnige, mit äusserlichen, augenblicklichen Erfolgen zufriedene
Weltlichkeit unvermeidlich, nachdem an die Stelle anfänglicher, dem Erhabenen
günstigerer Einfachheit eine grosse Ausbreitung und Ausbildung getreten ist.
Sehr gegründet ist gewiss die Bemerkung, dass diejenigen Erkenntnisse, welche
mit der Neuheit eines Lebensverhältnisses in uns aufgehn und mit der Frische und
Stärke einer in unserer eigenen Natur gemachten Erfahrung auf das Bewusstseyn
wirken, ganz unvergleichbar denen vorzuziehen sind, welche einer fortgehenden
Reihe von Entwicklungen gleichen. In jenen ist die bedeutende Augenblicklichkeit
einer durchaus spontanen oder auch heroischen Handlung, und der eigentliche
schönste Charakter der Jugend. Das Fortschreiten auf irgend einer Bahn, wie z.
B. durch die glücklichsten Combinationen und Entdeckungen im Naturstudium, oder
in unerforschten Gebieten der Geschichte ist doch nur wie die glückliche
Fortsetzung eines geselligen oder beruflichen Lebensverhältnisses: das Neue und
Erste hat eine gewisse Magie voraus. Auch darin bin ich vollkommen mit Ew.
Excellenz einverstanden, dass das Bewusstseyn für jede höhere Anlage und
Empfänglichkeit in uns den rechten Stoff, die rechte Stunde gefunden haben, den
Gedanken des Abtretens aus dieser Reihe der Entwickelungen mit Heiterkeit
umgeben kann. Nur ist ausser dieser mehr positiven Erhebung, wenn nicht
schmerzliche Erfahrungen gegen das Leben gleichgültiger machten, nach meinem
Gefühl, um uns den Tod, in Gedanken oder in der Wirklichkeit noch mehr zu
erleichtern, auch eine Art negativer Kraft erforderlich, nur Ergebung, die wie
ein inneres Schwergewicht uns in die allgemeine Bestimmung, in die grossen
Wellen fortreisst, und dann auch ausser uns vollkommen Liebe, und Theilnahme,
die alles leicht machen, und deren geheime Wirkung vielleicht sehr oft den
Heldentod und das Märtyrerthum versüssen, indem eine geistig verbundene Familie
sie unsichtbar zu umgeben scheint.
Ich habe Ew. Excellenz längere Zeit nicht geschrieben, weil ich höre, wie sehr
Sie wissenschaftlich beschäftigt sind. Mögen Sie auch niemals Ihren Kräften
zuviel zumuthen, da anhaltendes Beschäftigen der Gedanken, und vielleicht am
Meisten die Thätigkeit der Urtheilskraft, wenn sie sich von den Übrigen Vermögen
fast gewaltsam trennen muss, auch für den Körper doch leicht etwas spannendes
und ermüdendes hat. Die letzte Vorlesung, welche Sie in der Akademie hielten, ist meines Wissens immer noch nicht gedruckt.
Ich habe denn auch nach Berlin gar keinen
Briefwechsel. Schlegel ist sehr zufrieden
aus England zurückgekehrt, und hat Ihnen vielleicht schon geschrieben: er sprach
mir davon. Niebuhr lebt leider sehr
zurückgezogen; ich wenigstens habe ihn nur ein einziges mal gesprochen, obgleich
ich ihn gleich nach seiner Ankunft aufsuchte. Ich hatte mich sehr auf sein
Hierseyn gefreut, weil er in Berlin sehr
gütig und wissenschaftlich mittheilend gegen mich gewesen war. Schlegels Rec.
seiner Geschichte ist ihm so unangenehm gewesen, dass
er mit ihm keine Bekanntschaft gemacht hat; und überhaupt scheint er eher
verdrieslich gestimmt zu seyn. Doch gedeiht, trotz allem was die Recensenten
gesündigt haben mögen, die Fortsetzung des Werkes.Die Römische Geschichte erschien
1827–1832 in einer zweiten, völlig umgearbeiteten Auflage; weitere Auflagen
folgten. [FZ] Mich beschäftigen in dieser Zeit die Vorlesungen wieder
ziemlich stark, indem ich über Horaz und die
philologische Encykläpodie zum erstenmal lese. Zu dieser habe ich mir
den Plan gebildet, wie es mir gutdünkte, und da ich keine Möglichkeit sah, sie
durch innere Gründe zu einem selbstständigen Fach zusammenzuhalten, so habe ich
ihr das tiefbegründete und auf andere Weise nur bey Einzelnen etwa, im Ganzen
durchaus nicht zu befriedigende Bedürfniss der Gesellschaft und der gelehrten
Welt zur Basis gegeben, und so also auch einen praktischen Theil, wie die
Theologie, Medicin haben, bestimmt. Im Uebrigen die allseitige Kenntniss des
classischen Alterthums zum Gegenstand nehmend, habe ich fünf Theile oder Seiten
unterschieden, Sprache, Religion, Litteratur (Poesie mit Musik; Mimik,
Orchestrik, Philosophie, Geschichtsschreibung, Beredsamkeit, Gelehrsamkeit),
bildende Kunst, Staats- und Gesellschaftsverhältnisse. Ich halte es für einen
wesentlichen Mangel, dass mann niemals gesucht hat die Sprache als
einen Theil der Nationalität und Cultur (in diesen philologischen Kreisen) zu
behandeln, ihre Eigenthümlichkeiten zu entwickeln, wie man vergleichend, die
übrigen Hauptbestandtheile untersucht: immer wird sie als eine sogenannte
instrumentale Disciplin; und nur nach der Methode des Erlernens betrachtet, und
so wird eher eine Geschichte der Grammatik als eine Schilderung der Sprache
daraus. So stellt man denn gewöhnlich in eine Linie mit der Grammatik – Kritik
und Interpretation, welche ich mir erlaube auf die bildende Kunst auszudehnen
und als besondere instrumentale Hülfsdisziplinen des ganzen Fachs darzustellen.
Wie viel fehlt, um eine befriedigende Beurtheilung beyder Sprachen auch nur
skizzenhaft geben zu können, bin ich von Neuem lebhaft inne geworden: und
beklagen muss man die Herrschaft schulmässig hergebrachter Mothoden,
wenn man sieht, wie so Manches leicht zu leisten wäre, wenn nur die Rubriken
angestellt oder nicht vielmehr durch die aufgestellten und so fleissig und
rühmlich bearbeiteten bey den Meisten die Meynung verbreitet wäre, dass nur in
diesen Richtungen zu suchen und zu finden sey.
Ein trefflicher Aufsatz von Dahlmann über Herodot und die
Logographen stellt Creuzers früheres Buch über die Griechische Geschichtschreibung nicht in
das beste Licht. Auch was im 1. Bande von Dahlmanns Forschungen über Saxo
Grammaticus ausgeführt ist, war mir höchst erfreulich und lehrreich.
In der Abhandlung über Herodot, der befriedigendsten
vielleicht, die wir über einen einzelnen Punkt griechischer
Entwicklungsgeschichte besitzen, vermisse ich nur zwey Kapitel, über Herodot’s Befangenheit, Beschränktheit und
Widersprüche hinsichtlich des äusseren Zusammenhangs der Religionen
verschiedener Völker, und seine geringe Kenntniss altgriechischer
Religionsideen, und dann über eine hexametrische Logographie und
Genealogieenschreibung, welche freylich allgemein scheint übersehen zu werden;
obgleich mir klar dünkt, dass sie seit dem Anfang der Olympiaden, besonders in
Samos und Sparta, im Kynäthon, Antimachos, Simmias, Korophilos, Asias, später in
Attika und Böotien, im Hegesimus und Charsias dagewesen ist; der Prosa die
Hexameter vorangehend wie in der Philosophie. Auch dieser Punkt wie die meisten
in nachrichtenarmen Zeiten, dient zu den verschiedensten Folgerungen, besonders
aber verknüpft er sich mit denjenigen Bemerkungen, welche einer grossen Blüthe
und Fülle Jonischer Productionen in einer meist weit vorher angenommenen Zeit
günstig sind.
Ein Buch einer andern Gattung hat mir ganz neuerlich das grösste Interesse
abgewonnen, Tiecks Novelle
der Geheimnisvolle. Mir scheint, so sey Walter Scott auf Deutsch. Hiebey fällt mir ein, dass ich
ohnlängst in Rousseaus Heloise (T. 4. p 143 einer neueren Ausg.) die Grundlage des
Schiller’schen Liedes
an Emma bemerkte. In Rom erzählte
mir Ihre Frau Gemalin, Schiller sey einst von einer Freundin gefragt worden, ob diesem
Gedicht nicht eigne Erfahrung das Daseyn gegeben? Er habe gelacht, und gesagt:
solche Vorstellungen hegen immer die Frauen von der Poesie: Die Stelle ist
diese: Que n’est elle morte! osai-je m’écrier dans un transport de rage; oui je
serois moins malheureux, j’oserais me livrer à mes douleurs, j’embrasserois sans
remords sa froide tombe, mes regrets seroient dignes d’elle; je direrois: Elle
entend mes cris, elle voit mes pleurs, mes gemissemens la touchent, elle
approuve et reçoit mon pur hommage. J’aurois au moins l’espoir de la rejoindre.
Mais elle vit, elle est heureuse. Elle vit, et sa vie est ma mort, et son
bonheur est mon supplise; et le ciel après me l’avoir arrachée, m’ôte jusqu’ a
la douceur de la regretter. Elle vit, mais non pas pour moi, elle vit pour mon
désespoir. Je suis cent fois plus loin d’elle que si elle n’étoit plus.
Auch diesen Gedanken scheint Schiller
ausgedrückt zu haben: (p. 258) Le pays des chimères est en ce monde le seul
digne d’être habité: et tel est le néant des choses humaines, qu’ hors l’Ètre
existant par lui même il n’y a rien de beau que ce qui n’est pas.
Auch in den Wahlverwandtschaften ist eine schöne Scene
aus diesem reichen, grossen Werke entlehnt, die Scene in der Kapelle mit
Ottiliens Leiche.
Ew. Excellenz haben die grosse Güte gehabt, sich für meine Arbeiten zum Philostratus zu interessiren: Sie liegen nun
weit hinter mir; aber ob das Buch bald wird erscheinen können, weiss ich nicht,
da mein Freund Jacobs noch auf eine
Collation aus Florenz wartet.Die Arbeiten zu Philistrat erschienen 1825
zusammen mit Friedrich Jacobs unter dem Titel:
Philostratorum imagines et Callistrati Statuae. Textum
ad fidem veterum librorum recensuit et commentarium adiecit
Fridericus Iacobs. Observationes, Archaeologici praesertim
argumenti, addidit Fridericus Theophilus Welcker
.
[FZ] Um Ihnen einstweilen zu zeigen, wie ich die Sache meinerseits
aufgefasst habe, so lege ich Ihnen einige Artikel bey, den kleinsten, weil darin
auf der Aenderung eines einzigen Buchstabens die ganze pointe des Gemäldes
selbst beruht, die beyden andern, weil sie Dichter angehen, welche zu Ihren
Lieblingen gehören. Die Schönheit und Anmuth der Gegenstände ist weit grösser in
andern, und ich wage zu behaupten, dass wenn ein geschickter Künstler mehrere,
die meisten dieser Bilder nach der Vorstellung, die ich von ihrer Composition
gefasst und aeusserlich auch dargelegt habe, zeichnete, die alte Kunst sich von
einer andern Seite zeigen würde, und vortheilhafter, als in Meyers, wenngleich lobrednerisch entworfenen, aber
mit dem richtig verstandenen Text grossentheils nicht übereinstimmenden Schilderungen Philostratischer Gemälde in Goethe’s Heftchen.
Jetzt beschäftigen mich Untersuchungen über Kabiren oder Daktylen,Erschienen 1824 in dem Band
Die Aeschylische Trilogie Prometheus und die
Kabirenweihe zu Lemnos, nebst Winken über die Trilogie des Aeschylus
überhaupt
. [FZ] die verworrensten und
missverstandensten aller Nachrichten aus dem mythologischen Alterthum, die ich
früher schon durchgebadet hatte – und die ich, wenn auch wenigen Lesern zur
Lust, doch mir zu Liebe, um Bahn für manches andre zu gewinnen, wieder vornehmen
musste. Eine seltsame Materie! man kann darin nicht einfach, sondern immer nur
hundertfach irren, und es sollte mich nicht äusserst wundern, wenn im
Fortschritt der Sache meine jetzige Darstellung mir ebenso von Irrthümern zu
wimmeln scheinen sollte, wie jetzt die meiner Vorgänger, von denen allen ich
vieles lernen konnte. Vorher habe ich einen kleinen Aufsatz entworfen, wodurch
ich mich fast anheischig machen wollte, Ew. Exellenz als sehr wahrscheinlich
darzuthun, dass Kadmos der erste κὸσμος oder König einer Kretischen Kolonie in
Theben, und dass der Name unsres Welttheils von deren damaliger Göttin Europa
ausgegangen sey. – Möchte dieser lange Brief Sie bei guter Gesundheit und in
gewohnter Heiterkeit treffen, und Gesundheit und Heiterkeit ungetrübt
fortwährend, recht lange Sie und ihre theure Familie begleiten.
Mit den Gesinnungen treuer Anhänglichkeit und Verehrung Ew. Excellenz
ergebenster F. G. Welcker.
Mein Bruder hat mich neulich durch den
Druck seiner Defension vollkommen überrascht. Mein
und Arndts Loos ist noch in der Schwebe.
Ich habe immer und von Anfang an auszuharren gedacht bis zu dem Punkte, wo
die Ehre gebieterisch ein anderes geböte. Dass meine unmittelbaren
Vorgesetzten und einige Freunde mich freysprechen, kann mir nicht genügen:
das Gericht kann man verachten, aber nicht eine gerichtliche Untersuchung;
und deren, welche verunglimpfen, sind mehr als deren, welche rechtfertigen
könnten. Absolution von einer criminellen Anklage zu fordern, scheint mir
müssig; Herstellung im eigentlichen Sinn; so habe ich oft gefühlt, wäre
jenseit des Oceans zu suchen. Aber Jeder lässt viel zurück – und mein
Lebensplan ist von Arbeit abhängig geworden, die ich besser zu beschleunigen
nicht vermöchte.