Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 20.06.1832<idno type="BBAW">262</idno> Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der sprachwissenschaftlichen Korrespondenz Frank Zimmer Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 12 E, Mappe 6 S. 144 Becker, Dr., Arzt aus Hildesheim Lieber, Franz Rosen, Friedrich August Wilson, Horace Hayman Bopp, Franz: Grammatica critica linguae Sanscritae 1 (Berlin: Dümmler 1829) Rosen, Friedrich August: Radices Sanscritae (Berlin: Dümmler 1827) Wilson, Horace Hayman: A Dictionary in Sanscrit and English: translated, amended, and enlarged from an original compilation (Calcutta: Educ. Press 1832) Ew Excellenz Sage ich meinen innigsten Dank für die gütige Übersendung Ihres Briefes an Dr Lieber, der gewiss Hrn Becker sehr große Freude machen wird und für ihn sehr ehrenvoll ist … Bopp, Franz Berlin Humboldt, Wilhelm von 14.06.1832 Eigenhändig Arabisch Kawi Persisch Sanskrit AD 18. Juli 2013 in Bearbeitung, einmal selbst gegengelesen 29. November 2013
Ew Excellenz

sage ich meinen innigsten Dank für die gütige Uebersendung Ihres Briefes an Dr Lieber, der gewiß Hrn Becker sehr große Freude machen wird und für ihn sehr ehrenvoll ist. Um zu den übrigen Gegenständen Ihres geehrten Schreibens überzugehen, so bin ich mit Ew Excellenz vollkommen einverstanden, daß man als ein nicht persisches nicht arabisches Wort, aus einer Sanskritischen Wurzel womöglich erklären müsse. Es bietet sich in formeller Beziehung nichts besseres als tajjñ dar, denn die Nasale vor einem schließenden Consonanten machen niemals einen sehr wesentlichen Bestandtheil einer Wurzel aus. Ich möchte aber das das inî in tadschinî nicht mit dem inî von padminî zusammenstellen und als eine Fülle andeutend ansehen. Ueber padminî erlaube ich mir mich auf Seite 271 der lateinischen Ausgabe meiner Grammatik zu berufen; dagegen würde ich tadschinî als das Fem. eines Kridanta -Wortes ansehen, weil in an die Wurzel selbst getreten ist, wie in cārin gehend. Freilich kommen diese Wörter wovon ich l. c. S. 260. 61. handele vorzüglich nur am Ende von Compositen vor. Die Bedeutung der Wurzel tañj stimmt ebenfalls gut, besonders wenn man aus den englischen Uebersetzungen die Bedeutung zuschnüren folgert, die jedoch nicht ganz sicher darin liegt.  Rosen scheint sich an der Sanskr. Erklärung saṅkoce gehalten zu haben. – Doch sehe ich erst eben, daß Wilson diesen Ausdruck durch schutting , closing , contracting übersetzt; was in besonderer Anwendung allerdings ein Zuschnüren ist.

Die Ableitung von tigris aus tig scheint mir ganz zuläßig. Man müßte wenn vyāghra mit tigris verwandt ist eine Entstellung des Indischen Wortes annehmen. Wilson erklärt vyāghra aus ghrā reichen; man könnte aber, wenn vyâghra seinen Anfang nicht entstellt hat, auch an die Wurzel han denken, die ihr h häufig in gh umwandelt.

In tiefster Ehrerbietung Ew Excellenz ganz gehorsamster Bopp Berlin den 20. Juni 1832.

P.S. Wollte man tājinī als Derivativum ansehen, aus einem primitiven Substantiv tāj was etwa Falte bedeuten möchte, so würde es „die Falten habende“ bedeuten.

Sr Excellenz Herrn Geheimen Staats-Minister Freiherrn W. von Humboldt in Tegel