Wilhelm von Humboldt an Carl Friedrich Neumann, 08.01.1830<idno type="BBAW">353</idno> Wilhelm von Humboldt: Online-Edition der sprachwissenschaftlichen Korrespondenz Frank Zimmer Editor Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0) Grundlage der Edition: Ehem. Preußische Staatsbibliothek zu Berlin, gegenwärtig in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Coll. ling. fol. 17, Bl. 138–141 S. 159 Mattson 8145 Abel-Rémusat, Jean-Pierre Morrison, Robert Humboldt, Wilhelm von (1832): Über die Verwandtschaft der Ortsadverbien mit dem Pronomen in einigen Sprachen. Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 17. December 1829. In: Abhandlungen der historisch-philologischen Klasse der Königlichen Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1829, S. 1–26. – Vgl. GS VI, S. 304–330 Bei der Ueberarbeitung meiner neulichen Abhandlung sind mir über das chinesische nai noch einige Zweifel aufgestossen … Humboldt, Wilhelm von Tegel Neumann, Carl Friedrich 16.01.1830 Konzept in Schreiberschrift mit Korrekturen von Humboldts Hand Chinesisch FZ 14. April 2020 in Bearbeitung
An Herrn Professor Neumann Wohlgebohren in Berlin.
Darunter nachträglich vermerkt: "emd den 8/1 30." Tegel der 8t Januar 1830.

Bei der Ueberarbeitung meiner neulichen Abhandlung, sind mir über das Chinesische N nai noch einige Zweifel aufgestoßen, und ich schmeichele schmeichle mir mit der Hoffnung, daß Ew p mir nicht übel deuten werden, wenn ich Ihnen dieselben freymüthig äußere, obgleich ich es selbst sehr gewagt fühle, Ihnen, der Sie eine genaue Kenntniß der Sprache besitzen, aus meiner sehr geringen, geringen Einwendungen entgegenzusetzen. entgegenzustellen.

Bei der Auseinander-setzung der Bedeutungen dieses Worts, sind mir nehmlich folgende Bemerkungen aufgestoßen.

1, Ew p gehen bei demselben von dem Begriff des gewaltsam ausgestoßenen Athems aus. Morrison aber legt den mit Schwierigkeit ausgestoßenen Athem zum Grunde, und diese scheinbar kleine Verschiedenheit bringt doch eine ziemlich große in den nachherigen Erklärungen hervor. Denn Ew p kommen nur dadurch, wie es mir scheint, auf den Begriff des Entfernten, da in Morrisons Worterklärung mehr der einer Hemmung liegt, so daß daraus die trennende Eigenschaft der Partikel herstammt. Nun läßt sich zwar beides vereinigen, und gewiß ist es sehr richtig, daß Ew p in dem Worte, daß das außerhalb des Redenden vorhandene finden. Ich habe Sie aber fragen wollen, ob Sie nicht den Begriff und das Wort des Entfernten ganz weglassen und dagegen: anderes, verschiedenes, setzen wollten?

2, Fällt mir, wie ich offenherzig gestehen muß, Ihre Uebersetzung der Worte tchy fang nai hse su auf. Sie nehmen nai für ein seinem Substantiv folgendes Atjectivum. Sollte es aber nicht hier blos die zugleich trennende und bindende verbindende Partikel, sondern, sein: er erhob sich in eine Gegend, aber starb daselbst. Nach Ihrer eigenen Erklärung, in der Sie nai unserm sondern ganz gleich stellen, würde man eher so übersetzen, als wie Sie thun. Auch pflegt ja das Adjectivum vor seinem Substantivum zu stehen.

3, In der Fra Phrase Ti te huang u. s. f. nehmen Ew p nai als eine Art Artikel, oder vielmehr als das lateinische ille . Mir ist hierbei eingefallen, ob aber auch nicht hier das Wort die Partikel ist, welche das Anstehen, die Suspension des Redenden, anzeigt, wenn er mehrere Dinge nach einander nennen will, auf welche sich ein und derselbe Begriff bezieht. bezieht, etwa wie unser theils theils, oder sowohl als auch u. s. f. Der Unterschied liegt hier wieder in dem Grundbegriff, den man in dem Worte sucht. Ist dieß der der Schwierigkeit und der Trennung, so ist man mehr geneigt, das Wort hier als Partikel zu nehmen. Das Gegentheil trifft ein, wenn man an etwas gewaltsam aus sich hinauswirkendes denkt.

4, Das Resultat von allem diesem ist, daß mir für den Zweck meiner Abhandlung sehr viel daran liegen würde, die scharfsinnige und geistreiche Idee Ew p daß nai zugleich an die Stelle der zweiten und dritten Person tritt, durch solche Beispiele zu beweisen, die gar keinen Zweifel übrig laßen. ließen. Durch Von dieser Art nun scheinen mir die bis jetzt von Ihnen angeführten nicht. Ich wünschte daher sehr, daß Sie die Güte haben könnten mir andere mitzutheilen. Wirklich beweisend würde ein solches sein, was von eben der Art wäre, wie daß das von Ew p für die zweite Person gegebene, wo aber der Context deutlich bewiese, daß nicht von der zweiten, sondern von der dritten die Rede wäre. Die Anführung einer solchen Beweißstelle scheint mir schon darum ganz unerlaßlich, weil die Behauptung, daß das nai auch die dritte Person vertreten könne, durchaus neu ist, und sowohl die einheimischen Grammatiker, als Remusat gänzlich hiervon schweigen. Hier beginnt ein längerer Einschub, der mit "[…] Sprache wirklich so gebraucht worden ist?" endet.<Die einheimischen Grammatiker haben zwar insofern nicht unrecht über diese Partikel, daß sie dieselbe zugleich eine verbindende nennen, da wie das grichische griechische Lücke im Text. beweißt, Trennungspartikeln zugleich zu Verbindung der Wörter dienen können.

Nehme ich das Gesagte zusammen, so halte ich wie als für vortrefflich durch Ew p bewiesen:

a, daß man nicht nai geradezu, wie Remusat thut, als ein Pronomen zweiter Personen ansehen kann,

b, daß es vielmehr ein Wort ist, dessen Begriff in etwas außer dem Redenden Vorhandenem und von ihm als von sich verschieden Erkanntem besteht, und daß dies in dem Symbol des schwierigen Athemholens liegt, in welchem sich das Ausströhmen mit der Hemmung verbindet, also dieß das außer sich, und ver das verschiedene.

c., Daß auf diese Weise das Wort an die Stelle des Pronomens zweiter Person tritt.

c, d., daß es, seinem Begriff nach, eben so wohl an die Stelle der dritten treten könnte, daß es aber darauf ankommt zu beweisen, ob es in der Sprache wirklich so gebraucht worden ist?>

Ich wiederhole noch einmal die Entschuldigungen, mit welchen ich diese Zeilen anfing, und bitte Ew p die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung anzunehmen.